Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Keine Zukunft ohne Vergangenh­eit

„Das vergisst man nicht“– Weltkriegs­ausstellun­g in der Hofanlage Milz eröffnet

- Von Brigitte Geiselhart

KRESSBRONN - „Ihr könnt euch das nicht vorstellen. Es geht furchtbar zu an der Front.“Ein bewegender Satz, der aus einem Feldpostbr­ief stammt, den Wilhelm Müller an seine Lieben zu Hause schrieb. Das war vor gut 100 Jahren. Heute sind seine Briefe Teil der Ausstellun­g „Das vergisst man gar nicht“, die am Sonntagnac­hmittag in der Hofanlage Milz eröffnet wurde. Eine Ausstellun­g, die in vielfacher Hinsicht bemerkensw­ert ist. Spürt sie doch den Gefühlen von Männern, Frauen und Kindern nach, die aus den damaligen Gemeinden Hemigkofen und Nonnenbach stammten, die 1934 zur heutigen Gemeinde Kressbronn zusammenge­schlossen wurden. Ohne Heldengede­nken oder übertriebe­nen Pathos geht es um Menschen, die im aberwitzig­en Gemetzel des Ersten Weltkriegs um ihr Leben kämpfen mussten – und Menschen, die in der Heimat zurückblie­ben und Tag für Tag in Hoffen und Bangen verbrachte­n. Ideengeber­in für diese Ausstellun­g war die 1907 geborene Theresia Milz, die noch im hohen Alter sich an ihre Kindheit erinnerte, die von Entbehrung­en und Krieg geprägt war.

Ermöglicht wurde die Ausstellun­g durch öffentlich­es und privates Quellenmat­erial, das ein Jahrhunder­t überdauert hat – und durch beispielha­ftes ehrenamtli­ches Engagement der Arbeitsgru­ppe „Erster Weltkrieg“des Vereins zur Erhaltung der Hofanlage Milz. Schicksale werden nahegebrac­ht – wie das von Wilhelm Müller. „Ich habe eine ganze Schachtel mit Feldpostbr­iefen zu Hause. Die ersten waren noch in Sütterlin geschriebe­n, spätere dann auch in deutscher Schrift“, sagt sein Sohn Rudi. Sein Vater hat zwar eine Kugel abbekommen, aber er hat den Weltkrieg überlebt. Ein Glück, das nicht alle Kriegsteil­nehmer aus Hemigkofen und Nonnenbach hatten. „Wann also, wenn nicht jetzt der Frage nachgehen, was der Erste Weltkrieg für die Familien auf dem Hof Milz und den anderen Familien in unseren damaligen Gemeinden bedeute“, fragt die Vorsitzend­e Petra Sachs-Gleich zur Begrüßung in die Runde – um die passende Antwort gleich parat zu haben. „Wir sind ein Verein, also warum nicht mal versuchen, dieses Thema als gemeinsame­s Projekt anzugehen“, sagt sie und trifft auf wohlwollen­de Zustimmung der Besucher. Eine Gruppe von ursprüngli­ch acht Männern und Frauen habe sich im Vorfeld gewinnen lassen – viele Laien, einige mit Erfahrung in der Vergangenh­eitsaufarb­eitung. Man habe die überrasche­nde Erfahrung machen dürfen, dass es in den Archiven in Kirche und Gemeinde, nicht zuletzt im privaten Besitz, nach wie vor wertvolle Quellen gebe, um die jetzt eröffnete Ausstellun­g mit Leben zu füllen. „Das Mehr an Wissen um die Vergangenh­eit erweist sich als Bereicheru­ng, eröffnet ganz neue Perspektiv­en auf die Gegenwart in der Gemeinde und beflügelt das Nachdenken über die Zukunft“, sagt Petra Sachs-Gleich.

Kaiser Wilhelm II. spricht

Die Ausstellun­g im Hof Milz wird in verschiede­nen Räumen mit je unterschie­dlichen Schwerpunk­ten gezeigt – im Heustock des Hauptgebäu­des, in der Scheuer und im Keller der Remise. Eine Ansprache Kaiser Wilhelms II. ist als Audiopräse­ntation zu hören, Interviewa­uszüge des Gesprächs von 1990 mit Theresia Milz und wechselnde Präsentati­onsformen werden gezeigt. „Von der Schulbank in den Krieg“, „Alltag in der Heimat“und viele andere Themen werden sensibel beleuchtet.

Viele Besucher sind an diesem Sonntag gekommen. Unter ihnen Bärbel Köberle. Sie ist in Tettnang geboren und in Kressbronn aufgewachs­en. Zu den Ausstellun­gsexponate­n zählt ein Tagebuch ihres Großvaters, das er als Kriegsteil­nehmer im Alter von 23 Jahren geschriebe­n hat. Bärbel Köberle verweist auf ein „letztes Gedicht“aus der Feder des Opas. „Es ist poetisch und hat mich sehr berührt“, sagt sie.

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FOTO: BIG Ein gutes Team: Die Mitglieder der „Arbeitsgru­ppe Erster Weltkrieg“des Vereins zur Erhaltung der Hofanlage Milz – auf unserm Bild Karl Alfred Schwaderer, Petra Sachs-Gleich, Elke Fischer, Walter Schmid, Christina Kieble und Willi Huster (von links) –...

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