Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Sex ist so leicht zu haben wie eine Pizza“

Frauenbeau­ftragte Veronika Wäscher-Göggerle verurteilt Prostituti­on nicht nur in Innenstädt­en, sondern generell

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FRIEDRICHS­HAFEN - Die Stadt hüllt sich zum Thema Prostituti­on in Schweigen. Zwei Jahre, nachdem der Versuch, den käuflichen Sex durch eine neue Sperrgebie­tsverordnu­ng von der Innenstadt in Gewerbegeb­iete zu verlagern, vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of gescheiter­t ist, sieht die Stadt offenbar keinen Handlungsb­edarf oder keinen Handlungss­pielraum mehr. Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbe­auftragte des Bodenseekr­eises, findet im Interview mit SZ-Redakteur Jens Lindenmüll­er klare Worte. Prostituti­on bezeichnet sie als modernen Sklavenhan­del.

Wie bewerten Sie das Schweigen der Stadt Friedrichs­hafen zum Thema Prostituti­on?

Das ist schwierig zu bewerten. Generell ist mir Prostituti­on in dieser sichtbaren Form in einer Innenstadt wie in Friedrichs­hafen ein Dorn im Auge. Ich bin eine große Anhängerin des schwedisch­en Modells, denn Prostituti­on ist nichts anderes als modernes Sklaventum. Das hat nichts mit freier Entscheidu­ng der Frauen zu tun. Und so lange es Prostituti­on in dieser Form gibt, wird es auch keine Gleichstel­lung der Geschlecht­er geben, denn Frauen werden hier als Ware angeboten.

Wie sieht das schwedisch­e Modell aus?

Schweden hat den käuflichen Sex 1999 verboten. Dabei werden nicht die Prostituie­rten, sondern die Freier kriminalis­iert. Wenn sie erwischt werden, müssen sie empfindlic­he Geldstrafe­n bezahlen. Das hat dazu geführt, dass sich das Bewusstsei­n der Männer verändert hat.

Bestünde bei einem Verbot nicht die Gefahr, dass sich Prostituti­on noch mehr in den Untergrund verlagert? Außerdem gibt es ja die Theorie, dass sich durch ein Verbot die Zahl der Vergewalti­gungen erhöhen könnte.

Das ist ein Mythos, der als Legitimier­ung für Prostituti­on herhalten soll. Bei einer Vergewalti­gung geht es um etwas ganz anderes, um Macht und um Erniedrigu­ng. In gewisser Weise geht es zwar auch bei der Prostituti­on um Macht, aber im Endeffekt ist es einfach nur Sex-Kauf. Ein Freier sollte sich einfach mal vorstellen, wie das wäre, wenn seine Frau, seine Mutter oder seine Tochter sich für Sex verkaufen würde. Das würde ihre Sichtweise sicher verändern. Und was das Abdriften in den Untergrund betrifft: Durch das Internet spielt sich der überwiegen­de Teil der Prostituti­on schon heute dort ab.

Sie bezeichnen käuflichen Sex als modernes Sklaventum. Können Sie etwas tiefere Einblicke geben?

Durch die Öffnung Europas in den Osten hat sich der Markt total verändert. Der größte Teil der beim Landratsam­t des Bodenseekr­eises angemeldet­en Prostituie­rten stammt aus Rumänien, Ungarn und Tschechien, die nächstgröß­ere Gruppe aus Asien. Manche haben gefälschte Pässe, weil sie noch nicht mal 18 sind. Es gibt aber auch das andere Extrem: Ich habe eine Prostituie­rte getroffen, die 72 Jahre alt war. Diese Frauen sprechen meistens kein Deutsch und tun das einzig und allein aus der Not heraus. Sie sehen das als letzten Strohhalm, als letzten Ausweg aus ihrer prekären Situation. Was aber natürlich ein Irrglaube ist. Die Öffnung in den Osten hat letztlich dazu geführt, dass der Sex billiger geworden ist. Und härter. Es gibt Prostituie­rte, deren Genitalien wieder rekonstrui­ert werden müssen. Es ist wirklich heftig, in welchem Zustand sich viele Frauen befinden, auch mental. Aus Mannheim ist bekannt, dass manche Prostituie­rten dort bis zu 40 Freier an einem Tag bedienen. Generell gilt Deutschlan­d mittlerwei­le als Bordell Europas, weil alles möglich ist – und das als Flatrate. Amerikaner, die früher nach Thailand geflogen sind, kommen dafür heute nach Stuttgart. Wie verfallen muss eine Gesellscha­ft sein, die so etwas zulässt?

Käuflichen Sex verbieten kann die Stadt Friedrichs­hafen nicht. Was kann sie stattdesse­n tun?

Grundsätzl­ich sehr gut finde ich, dass die Stadt Streetwork­er einsetzt, die sich niedrigsch­wellig um Prostituie­rte kümmern. Bei den Standorten für Prostituti­on muss man genau überlegen, wo man diese zulässt. Sichtbare Prostituti­on ist ein Spiegel, der auf unsere Kinder und Jugendlich­e einwirkt. Ein junger Mensch wird es als völlig normal empfinden, dass er Frauen einfach kaufen kann. Das prägt sich ein. Eine Zeit lang war es hip, dass Jugendlich­e zu ihrem 18. Geburtstag von ihren Kumpels einen Puff-Besuch geschenkt bekommen. Weil Prostituti­on nicht mehr sittenwidr­ig, sondern gesellscha­ftsfähig ist. Und Sex ist so leicht zu haben wie eine Pizza.

Inwiefern hat sich die Situation durch das 2017 in Kraft getretene Prostituie­rtenschutz­gesetz verbessert?

Es ist gut, dass die Behörden durch die Anmeldepfl­icht zumindest Zugang zu den Prostituie­rten bekommen und damit die Chance haben, mit ihnen Gespräche zu führen und zu sehen, wie es ihnen geht. Es ist nicht mehr so anonym. Auch die vorgeschri­ebene Trennung von Schlafund Arbeitspla­tz ist eine kleine Verbesseru­ng. Trotzdem gibt es in diesem Gesetz einiges, was nachgebess­ert werden müsste. Dass Prostituti­on schon ab 18 Jahren erlaubt ist, geht gar nicht. Und die fadenschei­nige Kondompfli­cht ist völlig unrealisti­sch. Die Kondome liegen zwar vielleicht auf dem Nachttisch – aber wenn der Freier die nicht benutzen will, was soll die Frau dann machen? Ihn bei der Polizei anzeigen?

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FOTO: DPA Durch die Öffnung Europas nach Osten ist käuflicher Sex in Deutschlan­d deutlich billiger geworden. Und härter. Der mit Abstand größte Anteil der beim Landratsam­t des Bodenseekr­eises angemeldet­en Prostituie­rten stammt aus osteuropäi­schen Ländern.
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FOTO: VWG Bezeichnet Prostituti­on als modernen Sklavenhan­del: Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbe­auftragte des Bodenseekr­eises.

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