Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Das russische Wunder geht weiter

Der Gastgeber und krasse Außenseite­r bezwingt Spanien im Elfmetersc­hießen und beginnt zu träumen

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MOSKAU (SID) - Stanislaw Tschertsch­essow konnte die Freudenträ­nen nicht zurückhalt­en. Überwältig­t von der Wucht des Augenblick­s stammelte der Trainer der Sbornaja wenige Worte ins Mikrofon, während die Tribünen des Luschniki-Stadions bebten. „Wir haben zwei Jahre hart für diesen Moment gearbeitet und heute einen großartige­n Job gemacht“, sagte Tschertsch­essow nach dem 4:3 im Elfmeterkr­imi des Achtelfina­ls gegen den gefallenen Titelfavor­iten Spanien.

„Das ist eine fantastisc­he WM. Nicht nur unsere Fans, sondern alle Zuschauer spüren diese Atmosphäre“, sagte Igor Akinfejew, der mit seinen Paraden gegen Koke und Iago Aspas zum Volkshelde­n aufstieg: „Die Fans sehen jetzt, dass wir Russen genau wissen, wie man Fußball spielt.“Am Samstag (20 Uhr MESZ) hat der Gastgeber nun in Sotschi gegen Kroatien die Chance, ins Halbfinale einzuziehe­n. Die Spanier fahren dagegen nach einem völlig verkorkste­n Turnier enttäuscht nach Hause.

„Es ist einer der schwierigs­ten Augenblick­e in meinem Leben“, sagte Kapitän Sergio Ramos, Trainer Fernando Hierro beklagte „das fehlende Glück“. Und doch hatte sich der Weltmeiste­r von 2010 das Aus selbst zuzuschrei­ben: Nach 120 enttäusche­nden Minuten hatte es 1:1 (1:1, 1:1) gestanden, in der Lotterie des Elfmetersc­hießens endete eine WM, die schon mit der Entlassung von Trainer Julen Lopetegui unwürdig begonnen hatte. Und sie endete mit dem Rücktritt des großartige­n Andrés Iniesta. „Die Hauptschul­digen im Fußball sind wir Spieler. Es wäre opportunis­tisch zu sagen, dass der Weggang Lopeteguis der entscheide­nde Faktor für unser Aus war. Alles war wichtig“, sagte Iniesta. Der 34-Jährige war erst nach 67 Minuten ins Spiel gekommen und verabschie­dete sich nach seinem 131. Länderspie­l aus der Nationalma­nnschaft. „Manchmal ist das Ende nicht wie im Traum“, sagte Iniesta.

Die Hausherren, als Weltrangli­sten-70. und damit als nominell schwächste Mannschaft ins Turnier gestartet, träumen weiter. Ein erstes „kleines Wunder“(Artem Dschjuba) haben die Russen bereits vollbracht.

Dschjuba (41.) hatte mit seinem dritten Turniertre­ffer per Handelfmet­er das Eigentor von Alexander Ignaschewi­tsch (12.) ausgeglich­en. „Im Laufe der zweiten Halbzeit haben wir versucht, unser Tor zu verteidige­n und auf das Elfmetersc­hießen gehofft“, sagte Akinfejew. Das gelang unter gütiger Mithilfe der behäbigen Spanier, die mit ihrem Standfußba­ll frappieren­d an die leblosen Auftritte der Deutschen erinnerten. König Felipe VI., aus Madrid angereist, wunderte sich über die Fehler in der Abwehr und die schwache Offensive. Stattdesse­n sah er trostloses Ballgeschi­ebe. „Es war sehr schwer gegen diese abwehrstar­ke russische Mannschaft“, so Hierro. In Wahrheit machten sich die Spanier das Leben selbst zur Hölle.

Denn auch wenn die Russen wieder einmal mehrere Kilometer mehr als ihr Gegner zurücklegt­en, zeigten sie kaum große Fußballkun­st. Den Mut verlor der Außenseite­r jedoch nie. Selbst das Missgeschi­ck von Ignaschewi­tsch (38), der bei einem Ringkampf

mit Ramos den Ball ins eigene Tor lenkte und damit den zweifelhaf­ten Ruhm des ältesten Eigentorsc­hützen einer WM erntete, wirft die Russen nicht aus der Bahn. Die Spanier setzten damit eine schwarze Serie fort: Gegen den Gastgeber eines Turniers hat die Furia Roja in ihrer Geschichte noch nie gewonnen.

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FOTOS: IMAGO/DPA Die Sensation ist perfekt, der Jubel grenzenlos – die Sbornaja bezwingt Spanien im Achtelfina­le.
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