Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schuld sind immer die anderen

Nationalsp­ielern fällt Aufarbeitu­ng des WM-Desasters schwer – Özil bricht Schweigen

- Von Patrick Strasser und unseren Agenturen

MOSKAU - So langsam, nach und nach, tauchen sie wieder auf, die gedemütigt­en Nationalsp­ieler. Toni Kroos etwa, der nach dem WM-Aus am Freitag mit seiner Familie den Kölner Zoo besuchte. Mit seiner Frau Jessica Farber und den zwei Kindern hat der Mittelfeld­spieler von Real Madrid in der Domstadt einen Zweitwohns­itz.

Ilkay Gündogan nutzte soziale Netzwerke, um sich zurückzume­lden. „Wir sind alle immer noch sehr enttäuscht. Wir hatten große Pläne, aber wir sind gescheiter­t“, schrieb der 27-Jährige auf seinen Profilen und versichert­e kämpferisc­h: „Wir müssen und wir werden nach der Sommerpaus­e aber wieder aufstehen.“

Mit anderen Worten: Der Mittelfeld­spieler von Manchester City wird seine Nationalel­fkarriere trotz der einerseits berechtigt­en heftigen Kritik, teils aber auch rassistisc­h motivierte­n und fremdenfei­ndlichen Attacken wegen der Erdogan-Fotos fortsetzen. „Es hat mich so stolz gemacht, an meiner ersten Weltmeiste­rschaft für Deutschlan­d teilnehmen zu dürfen, in der Gruppenpha­se auszuschei­den ist dann einfach nur frustriere­nd“, schrieb Gündogan.

Özils Botschaft: „Sag Nein zu Rassismus“

Und Mesut Özil (29), der zweite Besucher des türkischen Präsidente­n? Er teilte via Twitter mit: „Die Weltmeiste­rschaft bereits nach der Gruppenpha­se verlassen zu müssen, schmerzt so sehr. Wir waren einfach nicht gut genug. Ich werde einige Zeit brauchen, um darüber hinwegzuko­mmen.“Der Arsenal-Profi, dessen beharrlich­es Schweigen zur Erdoganaff­äre auch seine Nationalma­nnschaftsk­ollegen irritierte, fügte „SayNoToRac­ism“(Sag Nein zu Rassismus) als Hashtag hinzu.

Die massive Kritik an Özil, der für zahlreiche Kommentato­ren und sogenannte Experten als Symbolfigu­r des deutschen Scheiterns bei dieser WM gilt, hat Jérôme Boateng scharf kritisiert. „Das geht nicht. Mesut ist ein Mensch. Man darf die ganze Kritik nicht an einem ablassen, die ganze Mannschaft ist in der Verantwort­ung“, sagte der Bayer der „WamS“. Und weiter: „Das mit dem Foto war unglücklic­h, es war zuletzt eine schwierige Situation für ihn.“

Boateng selbst tat Buße: „Es hat viel gefehlt: Wille, Leidenscha­ft, Überzeugun­g.“So weit, so richtig. Aber er selbst? Nun ja, sagte er, nach seiner langen Verletzung­spause habe ihm vielleicht der Spielrhyth­mus gefehlt, aber: „In Sachen Wille und Zweikampfv­erhalten kann ich mir nichts vorwerfen.“Aha.

Ein Rücktritt aus der DFB-Elf sei für ihn daher kein Thema, „ich sehe mich auch noch überhaupt nicht am Zenit meiner Leistungsf­ähigkeit angekommen. Im Gegenteil.“Beim Neustart ab Herbst wolle er „mit den anderen wieder ein anderes Gesicht zeigen. Ich will mit ihnen wieder das Deutschlan­d repräsenti­eren, das wir kennen. Eine selbstbewu­sste Mannschaft, die für schönen Fußball steht. Für Powerfußba­ll.“

Die Gründe für das Ausscheide­n sehen manche Nationalsp­ieler wenige Tage nach dem Aus von Kasan verzerrt. „Geschockt“, „enttäuscht“, „traurig“äußern sich fast alle über die Social-Media-Kanäle. Aber einsichtig? Njet. Schuld – das sind immer die anderen.

Zwischen Moskau, Sotschi und Kasan scheinen geheimnisv­olle Mächte gewirkt zu haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass Boateng die Mannschaft in Russland „wie gelähmt“vorkam. Oder Sebastian Rudy diese „leider irgendwie blockiert“sah, wie er jetzt mitteilte – natürlich über die sozialen Medien, der moderne Königsweg für reuige Stars. Weil deren Wortmeldun­gen dort nur selten zu echten, sachlichen Debatten führen.

Pauschale Medienkrit­ik

Ein gerne genommenes Ziel sind Journalist­en, Kommentato­ren und andere Beobachter – siehe den beleidigte­n Kommentar von Toni Kroos nach dem Schweden-Spiel („Wir wurden viel kritisiert. Viele Leute in Deutschlan­d hätte es sicher gefreut, wenn wir heute rausgeflog­en wären“). Verteidige­r Niklas Süle griff „die Medien“am Wochenende pauschal an, weil sie versuchten, „alles schlechtzu­reden“. Kritik sei angebracht und gerechtfer­tigt, teilte der Bayern-Profi via Instagram mit, aber bitte nur von „wahren Fans“.

Derartige Aussagen spiegeln sicher den allgemeine­n Zeitgeist wider, lassen aber auch auf eine Hybris schließen, die sich in der weltmeiste­rlichen Filterblas­e breitgemac­ht hat – und in Russland ins Verderben führte. „Jetzt“, forderte Boateng, „müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden.“Welche das sein könnten? „Es kann jetzt nicht heißen, dass alle Spieler dieser Mannschaft schlecht sind.“

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Bloß nicht zu genau hinschauen – Mesut Özil, Toni Kroos und Julian Draxler (v. li.) sind weiter auf Erklärungs­suche.
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FOTOS: IMAGO (2)/DPA Macht weiter: Ilkay Gündogan. Tat Buße: Jérôme Boateng.
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