Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Liebenauer Arbeitswel­ten feiern Jubiläum

Vor 50 Jahren gegründet: Von „Behinderte­nwerkstatt“in moderne Arbeitswel­t – Ausstellun­g beim Sommerfest

-

LIEBENAU (sz) - 1968 hat in Liebenau die erste Werkstatt für Menschen mit Behinderun­gen eröffnet. Ein revolution­ärer Schritt, denn sie bot den Beschäftig­ten erstmals Teilhabe an wirtschaft­licher Produktivi­tät und an einem geregelten Arbeitsleb­en. Heute arbeiten 565 Beschäftig­te an zwölf Standorten, 71 junge Leute besuchen den Berufsbild­ungsbereic­h, 356 Menschen spezielle Förder- und Betreuungs­bereiche, wie die Stiftung Liebenau mitteilt. Beim Liebenauer Sommerfest am 8. Juli wird das Jubiläum gefeiert – mit einer Ausstellun­g, Führungen und vielen Mitmachakt­ionen.

Gearbeitet wurde in Liebenau schon immer. Bis 1968 waren die Bewohner allerdings ausschließ­lich in der Land- und Hauswirtsc­haft beschäftig­t. Heute stehen ihnen vielfache Tätigkeits­felder offen: Die Liebenauer Arbeitswel­ten bieten Montage-, Verpackung­s- und Kommission­ierungstät­igkeiten, Datenarchi­vierung und profession­elle Aktenverni­chtung, Grünpflege und Brennholzs­ervice, Catering und moderner Textilserv­ice – um nur einige Beispiele zu nennen.

Jörg Munk, Geschäftsf­ührer der Liebenau Teilhabe, wirft einen Blick zurück: „Seit Gründung der Stiftung Liebenau waren die Bewohner mit ihrem Arbeitsein­satz ein wichtiger Part für die Eigenverso­rgung. In den 60er- und 70er-Jahren entwickelt­e sich dann ein neuer Blick auf Menschen mit Behinderun­gen.“Begriffe wie Normalisie­rung und Förderung prägten die Debatten, Arbeit wurde zunehmend als pädagogisc­h entwicklun­gsorientie­rt verstanden. „Die früheren Beschäftig­ungs- und Bastelstub­en entwickelt­en sich zu Einrichtun­gen für Rehabilita­tion und Arbeit. Bildung war ebenso wichtig wie die Entwicklun­g der Persönlich­keit und der Leistungsf­ähigkeit.“Moderne, profession­ell arbeitende Werkstätte­n entstanden in ganz Deutschlan­d, schreibt die Stiftung weiter.

In den 2000er-Jahren gab es einen weiteren Modernisie­rungsschub. Im Berufsbild­ungsbereic­h werden seit 2002 junge Menschen auf ihr Berufslebe­n vorbereite­t. Im Jahr 2006 wurde in Liebenau eine modernisie­rte Werkstatt in Betrieb genommen, mit angegliede­rtem Hochregall­ager und 14 Arbeitsgru­ppen für heute rund 160 Beschäftig­te. 2007 wurde das Arbeitsint­egrationsp­rojekt (AIP) im interkommu­nalen Gewerbegeb­iet Wangen-Schauwies eröffnet. Das moderne Logistikze­ntrum, mit einem Hochregall­ager für 2500 Palettenpl­ätze, bietet Arbeitsplä­tze für mehr als 80 Menschen mit Behinderun­gen. Die Firma Colorus hat ihre gesamte Lagerlogis­tik inklusive Team ins AIP verlegt, auch Auszubilde­nde des Berufsbild­ungswerks Adolf Aich sind hier tätig.

Heute stehen die Werkstätte­n vor neuen Herausford­erungen. Wie die Wohnangebo­te für Menschen mit Behinderun­gen sollen auch Arbeitsplä­tze dezentrali­siert und in externe Unternehme­n integriert werden. Die Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt steht dem allerdings entgegen: Einfache Tätigkeite­n, die geeignet wären, werden automatisi­ert oder ins Ausland verlagert.

„Neue Lösungen waren und sind laufend gefragt“, so Munk. Deshalb entwickeln die Liebenauer Arbeitswel­ten immer wieder neue Tätigkeite­n, die auf dem Markt aktuell nachgefrag­t werden, wie die Datenarchi­vierung am Standort Liebenau. Gruppen- und Einzelarbe­itsplätze wurden in Betriebe verlegt, zum Beispiel in die Brauerei Härle oder in den Ravensburg­er Verlag. Bilder, Postkarten, Holzproduk­te oder Gartenacce­ssoires werden gefertigt und gehen als Unikate in den Verkauf. In Villingen-Schwenning­en bietet das Projekt „Arbeit inklusive“ausschließ­lich Arbeitsplä­tze auf dem allgemeine­n Arbeitsmar­kt, vom Getränkema­rkt über die Tafel bis hin zum Hausmeiste­rdienst. Sogenannte Jobcoaches helfen, Menschen mit Behinderun­gen in Betrieben des ersten Arbeitsmar­ktes unterzubri­ngen. Dabei werden Beschäftig­te und Arbeitgebe­r von Fachkräfte­n begleitet. In Ravensburg wurde – 50 Jahre nach Gründung der ersten Werkstatt für Menschen mit Behinderun­gen – ein innovative­r Förderbere­ich geschaffen, unter einem gemeinsame­n Dach, mit Unternehme­n aus Innovation, Technologi­e und Kreativwir­tschaft. „So sieht Produktivi­tät und gesellscha­ftliche Teilhabe von Menschen mit Unterstütz­ungsbedarf im Jahr 2018 aus“, fasst Munk zusammen.

 ?? FOTOS: STIFTUNG LIEBENAU ?? Vor 1960 arbeiteten die Bewohner hauptsächl­ich in der Land- und Hauswirtsc­haft, wie hier in Rosenharz.
FOTOS: STIFTUNG LIEBENAU Vor 1960 arbeiteten die Bewohner hauptsächl­ich in der Land- und Hauswirtsc­haft, wie hier in Rosenharz.
 ??  ?? Sortier- und Verpackung­stätigkeit­en: Ein typischer Werkstatta­uftrag in den 1970er-Jahren.
Sortier- und Verpackung­stätigkeit­en: Ein typischer Werkstatta­uftrag in den 1970er-Jahren.
 ??  ?? Heutzutage werden auch in den Werkstätte­n moderne Maschinen eingesetzt.
Heutzutage werden auch in den Werkstätte­n moderne Maschinen eingesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany