Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Porträt eines „außergewöhnlichen Menschen“
ZfP Weissenau zeigt „Eine Begegnung mit Gustav Mesmer – Fotos von Nicole Becker“
WEISSENAU (bac) - Den meisten Menschen ist Gustav Mesmer als „Ikarus vom Lautertal“bekannt. Dort, wo er sich die selbst gebauten Flügel umschnallte und versuchte, sich in die Lüfte zu schwingen. Vergebens, doch der uralte Traum vom Fliegen währt ewig. Ihm widmet das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) im Zentralgebäude Weißenau eine Fotoausstellung. „Eine Begegnung mit Gustav Mesmer – Fotos von Nicole Becker“zeigt den legendären Flugradbauer in bislang unveröffentlichten Aufnahmen.
35 Jahre Aufenthalt in der Psychiatrie sei kein Einzelschicksal, ist im Begleittext zu dieser Ausstellung zu lesen. Und doch eine ziemlich lange Zeit, die Gustav Mesmer von 1929 bis 1964 erst in der Staatlichen Heil- und Pflegeanstalt Schussenried, dann ab 1949 in der Heilanstalt Weissenau brachte. Schizophrenie lautete die Diagnose. Auslöser war ein „religiöser Unfall“, wie es Mesmer selbst nannte, als er am 17. März 1929 die Kirche in Altshausen betrat und eine Konfirmationsfeier unterbrach. Mit den Worten dies sei „nicht Christi Blut, was hier ausgeteilt werde“. Auf eine baldige Entlassung hat er gehofft. Vergebens. Doch Mesmer wusste sich in seiner erzwungenen Gefangenschaft zu helfen – als Korbflechter, Setzer, Buchbinder, Hilfsbibliothekar.
Davon erzählt die bislang unveröffentlichte Bildserie der aus Hamburg stammenden Fotografin Nicole Becker. Sie hat den gebürtigen Altshausener 1988 im Altenheim Buttenhausen auf der Rauhen Alb besucht, um einen „außergewöhnlichen Menschen“zu porträtieren. Gestoßen ist sie auf Mesmer im Zuge ihrer Ausbildung durch ein Foto des „Ikarus vom Lautertal“in der Illustrierten Stern. Becker zog 1987 nach West-Berlin und hat von daher eine Vorstellung des Eingeschlossenseins. Das mag die beiden ein Stück weit verbinden. In drei Tagen entstand die Fotoserie, die jetzt in einer Auswahl zu sehen ist. Kuratiert hat die Schau Psychiater Wolfram Voigtländer als ehemaliger Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung am Kreiskrankenhaus Heidenheim zusammen mit Thomas Müller und Bernd Reichelt vom Württembergischen Psychiatriezentrum Zwiefalten und Bad Schussenried. „Neben dem unbestrittenen ästhetischen Aspekt der Bilder sind sie auch historische Dokumente der Psychiatrie der 80er-Jahre“, erklärt Kurator Voigtländer.
Die in Schwarzweiß aufgenommenen Fotografien zeigen einen alten Mann, der stets ein Lächeln im Gesicht trägt. Selbstvergessen und ganz dem Tun hingegeben, wirkt er beim Korbflechten, das einem heute wie aus einer anderen, längst vergessenen Zeit erscheint. Sie lichten den „Visionär“und „Privatmönch“in seiner Werkstatt ab, Und natürlich zeigen sie viele Entwürfe zu poetisch anmutenden Flugapparaten, die Gustav Mesmer faszinierten und beim Überleben halfen. Am Anfang und am Ende der Serie steht ein Selbstporträt.
Die Ausstellung „Eine Begegnung mit Gustav Mesmer. Fotos von Nicole Becker“im Zentralgebäude Weißenau des ZfP Südwürttemberg, Weingartshofer Straße 2 in Ravensburg dauert bis 31. August 2018. Sie ist täglich von 8 bis 16 Uhr geöffnet.