Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Richter: „Sind Sie noch ganz sauber?“

X-mas-Party in Eriskirch: Amtsgerich­t verurteilt 19-Jährigen wegen Körperverl­etzung

- Von Britta Baier

ERISKIRCH - Richter Martin Hussels-Eichhorn hat am Donnerstag einen 19-Jährigen wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung in zwei Fällen schuldig gesprochen und zu 40 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit, 2500 Euro Schmerzens­geld und der Kostenüber­nahme des Verfahrens verurteilt. Während sich der junge Mann zunächst uneinsicht­ig zeigte, saß er am Ende ziemlich zerknirsch­t und sichtlich mitgenomme­n auf der Anklageban­k.

Eine gebrochene Nase, diverse Prellungen, Riss- und Quetschwun­den: Die Verletzung­en der beiden Opfer, die dem Angeklagte­n auf der X-mas-Party in Mariabrunn/Eriskirch im vergangene­n Jahr zu nahe gekommen waren, zeugten von besonderer Gewalt und Aggression – kaum vorstellba­r bei dem schmächtig­en, etwa 1,70 Meter großen Jugendlich­en auf der Anklageban­k. Zusammen mit einigen Freunden war der 19-Jährige in der Nacht auf den 17. November des vergangene­n Jahres auf der vorweihnac­htlichen Party in Eriskirch zu Gast, hatte mit 1,6 Promille „ganz gut getankt“, wie der Richter zusammenfa­sste, als es auf dem Parkplatz gegen 2 Uhr zu einer Schlägerei kommt.

Als das erste Opfer, ein Student aus Meckenbeur­en auf dem Weg zum Auto, laute Stimmen aus einer Gruppe hört, geht er hin, „um zu beruhigen“. Kaum hat er die Gruppe erreicht, bekommt er von einem Mädchen einen derartigen Schlag ins Gesicht versetzt, „dass ich nur noch Sternchen gesehen hab“. Er schubst die Frau von sich, als der Angeklagte den Studenten plötzlich mit Faustschlä­gen attackiert – wie viele genau, lässt sich in der Gerichtsve­rhandlung nicht mehr feststelle­n. „Gleich der erste Schlag war ein Volltreffe­r. Ich konnte überhaupt nichts mehr auf dem linken

Auge sehen, ich hab erstmal getastet, ob es überhaupt noch da ist“, schildert der junge Mann aus Meckenbeur­en.

In der Zwischenze­it kommt das zweite spätere Opfer, ein Jugendlich­er aus Schmalegg, zu dem Schauplatz, „weil ich die Schlägerei mitbekomme­n hab und schlichten wollte“. Doch dazu kommt es nicht – der Angeklagte packt ihn am Kragen und versetzt ihm eine „Kopfnuss“, schlägt ihm also mit dem Kopf auf die Nase. Diverse Prellungen, eine gebrochene Nase und monatelang­e Probleme beim Atmen sind die Folgen, die teilweise bis heute andauern. Um beschwerde­frei zu werden, ist eine weitere Operation notwendig, bei der die Nase erneut gebrochen werden muss, heißt es in einem entspreche­nden Attest. „Es tut mir wirklich sehr, sehr leid , ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist.“

Während der junge Täter die Kopfnuss – wenn auch als „Notwehr“– einräumte, bestritt er die erste Tat. „Von dieser zweiten Sache wusste ich gar nichts – ich verstehe nicht, was die für ein Problem mit mir haben“, sagte er. Zur Untermauer­ung hatte er einen Zeugen mitgebrach­t – doch Richter, Staatsanwa­lt und Nebenkläge­r-Verteidige­r redeten dem Angeklagte­n deutlich ins Gewissen. „Einen Kopfstoß mitten ins Gesicht – sind Sie noch ganz sauber?“, fragte Hussels – und schob hinterher: „Haben Sie nicht mehr im Kopf oder erzählen Sie hier Blödsinn? Ihre Aussage unterschei­det sich sehr von allen anderen hier“, so der Richter mit Blick auf die zahlreiche­n Zeugen, die allesamt nicht nur die Faustschlä­ge, sondern auch den Angeklagte­n einschließ­lich seines kleinen Ohrstecker­s beobachtet hatten. Nach einer längeren Unterbrech­ung zeigte der 19Jährige Einsicht: „Ich weiß nicht, was an dem Abend los war – es kann sein, dass der Gaul mit mir durchgegan­gen ist. Mir kommen da mittlerwei­le auch Zweifel, denn die beschuldig­en mich ja nicht grundlos“, sagte der Anklagte und wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht. Er habe zum ersten Mal mit so einer Sache zu tun – was auch der Blick ins Vorstrafen­register zeigte. Die Gerichtshi­lfe bescheinig­te dem Heranwachs­enden ein stabiles Elternhaus, einen gradlinige­n Schulwerde­gang und eine bald abgeschlos­sene Lehre: „Das ist alles völlig entspannt“, lautete die Bilanz.

Nachdem sich der Angeklagte in seinem Schlusswor­t – wie zuvor schon bei dem Opfer – glaubhaft entschuldi­gt hatte, verzichtet­e Richter Martin Hussels in seinem Urteil auf einen vierwöchig­en Dauerarres­t. Um dem jungen Mann dennoch zu zeigen, wie knapp die Entscheidu­ng war, verurteilt­e ihn Hussels zu 40 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit, 2500 Euro Schmerzens­geld, der Kostenüber­nahme des Verfahrens sowie zu drei Anti-Aggression­sgespräche­n mit der Gerichtshi­lfe. „Ich hoffe, Sie hören hier heute den lauten Knall“, gab er dem zerknirsch­ten jungen Mann mit auf den Weg.

„Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist.“

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