Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die alten Skorpione stechen noch
Die Scorpions spielen sich in Salem durch ihre jahrzehntelange Heavy Metal-Karriere
SALEM - „Es ist immer noch fantastisch, nach all diesen Jahren auf der Bühne zu stehen und für euch zu spielen“, sagt Klaus Meine vor 6000 Fans, und er sieht tatsächlich gerührt aus. Ein großer Showman ist er nicht. Die Show überlässt er beim Konzert in Salem Rudolf Schenker. Der demnächst 69-Jährige ist körperlich gestählt und hat seine Posen aus den 80ern, als die Scorpions die internationalen Metal-Könige waren, bis ins Heute gerettet. Aber was heißt schon
gerettet: Schenkers Show sitzt wie seine zerrissenen Jeans. Er ist immer noch das Biest, das mit aufgerissenem Raubtiermaul in die Saiten greift, und damit der Gegenpol zu Matthias Jabs. Der zweite Gitarrist wirkt so unbewegt wie eine Dampflok, lässt seine ganze Ausdruckskraft in die Gitarre wandern und lächelt bei einem ekstatischen Solo nur mal ein wenig in sich hinein.
Die Geschichte der Scorpions geht zurück bis ins Jahr 1965. Diese im Kern immer noch intakte Band ist zwei Jahre älter als Deep Purple – und wie diese machen die Scorpions ihr Konzert zum Happening für die Fans. Sie wollen nicht bejubelt sein, aber sie wissen, dass die Fans jubeln wollen. Diesem Zweck dienen auch Schenkers Posen, die noch aus einer Zeit stammen, bevor erst der Trash Metal von Metallica die Szene umwälzte, dann der Grunge von Nirvana und Konsorten. Die Scorpions sind sich in diesen Umbruchzeiten treu geblieben und bringen in Salem ihren charakteristischen Sound mit jener Perfektion auf die Bühne, die sie auf den Alben „Blackout“(1982) und „Love at first sting“(1984) definierten.
Perfekt klingt zuvorderst immer noch Klaus Meine: Er singt so unverbrüchlich, klar und durchdringend, als würde er täglich über dem Anblick eines lupenreinen Diamantglasschneiders meditieren. Das zeigt sich am besten in den Über-Hits der Band: der epischen Ballade „Still loving you“und dem Song „Rock you like a hurricane“, mit dem die Scorpions zum Schluss des Auftritts alles wegblasen. Wer sich hier beim Luftgitarrespielen ertappt, braucht sich nicht zu schämen.
So ausgefeilt – wenig begeisterte Kritiker schrieben damals auch: „amerikanisiert“– war der Sound der Scorpions nicht immer. Die Band reist mit dem Song „Top of the bill“zurück in die frühen Tage. „Wir waren damals unterwegs mit unserem alten, klapprigen, leicht verrosteten Van“, erinnert sich Klaus Meine. Irgendwann „1971, ’74 oder ’75“müsse das gewesen sein, spekuliert Meine; „wer weiß das schon so genau“. Jedenfalls schwingt in „Top of the bill“was Psychedelisches mit, das in einem rostigen Van mit Gras im Handschuhfach ganz gut aufgehoben ist. Zwischen diesem Song und dem neuesten, „We built this house“von 2015, stehen Klassiker wie „The zoo“(1980), das wüst-aggressive „Blackout“(1982) oder die Gänsehaut-Ballade „Send me an angel“(1990). Letztere spielt die Band mit akustischen Gitarren am äußersten Ende des Laufstegs, fast umrundet von den Fans. Näher als hier sind die Scorpions auch der Melodieführung der Kelly Family nie gekommen. Bewegender geht’s nur noch mit „Winds of change“. Klaus Meine pfeift das Intro astrein runter, beim mitgesungenen Refrain liegen sich die Fans pärchenweise in den Armen.
Aber dann wird es gefährlich – auch für die Scorpions selbst. Sie haben nämlich seit zwei Jahren den ehemaligen Schlagzeuger von Motörhead in der Band, Mikkey Dee. Mit ihm covern sie den MotörheadSong „Overkill“. Gefährlich ist das, weil den Scorpions in Metal-Kreisen gerne vorgeworfen wird, zu gelackt zu sein. Motörhead galten dagegen stets als dreckig, hässlich, echt. Die „Overkill“-Variante der Scorpions klingt denn auch nach stark poliertem Edelstahl, und das nicht wegen Mikkey Dee. Er bekommt sogar ein fünfminütiges Solo. Dazu wird er mit seiner Schlagzeugbatterie in geschätzte sieben Meter Höhe gehievt. Dort trommelt der virtuose Berserker mit Grimassengesicht und fliegender Löwenmähne so aus dem Bauch heraus, dass klar ist, was ihn vom Rest der Scorpions unterscheidet.
Trotzdem werden die Hannoveraner verdientermaßen als Helden verabschiedet – nach leider nicht mehr als der üblichen 90 Minuten Spielzeit. Ein Viertelstündchen hätten die unverwüstlichen Veteranen schon noch drauflegen können.