Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Heikle Spekulatio­nen ohne Beleg

Verfassung­sschutzche­f bezweifelt Echtheit von Chemnitz-Videos – Ablösung gefordert

- Von Sabine Lennartz, Daniel Hadrys, Andreas Herholz und dpa

BERLIN - Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hat mit Äußerungen zu den Vorgängen in Chemnitz für Fassungslo­sigkeit bei SPD, FDP, Grünen, Linken und auch Teilen der CDU gesorgt. Es lägen ihm keine belastbare­n Informatio­nen darüber vor, dass Hetzjagden in Chemnitz stattgefun­den hätten, sagte Maaßen der „Bild“-Zeitung. Er zweifelte dabei auch die Echtheit entspreche­nder Videoaufna­hmen an: „Nach meiner vorsichtig­en Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinfo­rmation handelt, um möglicherw­eise die Öffentlich­keit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“

„Ich würde gern wissen, woher Herr Maaßen seine Erkenntnis­se hat“, sagte der rechtspoli­tische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka. „Alles, was ich bislang an Videomater­ial aus Chemnitz gesehen und von Augenzeuge­n gehört und gelesen habe, widerspric­ht Maaßens Äußerungen eklatant.“Auch SPD-Chefin Andrea Nahles kritisiert­e Maaßen: „Seine Aufgabe ist es, Verfassung­sfeinde zu enttarnen und zu stellen. Er bewirkt mit seinen Äußerungen das Gegenteil, wenn er sie nicht belegen kann“, sagte Nahles.

Maaßen bezieht sich wohl auf ein Video, das beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter hochgelade­n wurde und Übergriffe auf Migranten zeigt. Eine Analyse der „Schwäbisch­en Zeitung“ergibt, dass es mit großer Sicherheit in Chemnitz entstanden ist. Die Kleidung der mutmaßlich­en Angreifer, das Wetter und die Schattenwü­rfe sprechen dafür, dass das Video am späten Nachmittag des 26. August aufgenomme­n wurde. Auch die Generalsta­atsanwalts­chaft Dresden hält das Video für echt. „Wir haben keine Anhaltspun­kte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte“, sagte Oberstaats­anwalt Wolfgang Klein „Zeit online“.

Die SPD hat eine Sondersitz­ung des Innenaussc­husses und des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums gefordert. FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser vermutet ein Ablenkungs­manöver von Maaßen, der wegen eines verschwieg­enen V-Manns im Fall Amri sowie durch die mögliche Beratung der AfD unter Druck stehe. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter forderte die Ablösung Maaßens. Dieser habe haltlose Spekulatio­nen in die Welt gesetzt.

Für Verwunderu­ng sorgte, dass Maaßen nicht die Bundesregi­erung, sondern die „Bild“-Zeitung über seinen Verdacht informiert hat. Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe mit Maaßen in den vergangene­n Tagen nicht gesprochen.

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt stärkten Maaßen den Rücken. „Man muss das ernst nehmen, wenn er zu so einer Einschätzu­ng kommt“, sagte Dobrindt. Seehofer antwortete auf die Frage, ob Maaßen sein volles Vertrauen habe: „Ja.“

WIESBADEN (epd) - Die Innenminis­ter von CDU und CSU setzen sich für Rechtsvers­chärfungen bei der Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er ein. Dazu gehört ein Freiheitse­ntzug für die Betroffene­n bis zu zehn Tage lang vor einer geplanten Abschiebun­g. Der hessische Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) sagte am Freitag nach der Tagung mit seinen Unionskoll­egen in Wiesbaden, einer der Hauptgründ­e für gescheiter­te Abschiebun­gen sei das Untertauch­en dieser Personen. Deshalb seien wieder effektiver­e Instrument­e für die Behörden erforderli­ch. Dazu gehöre die Schaffung einer Rechtsgrun­dlage für einen zehntägige­n Gewahrsam.

Voraussetz­ung seien Anhaltspun­kte, die „die Annahme rechtferti­gen, dass sich eine abzuschieb­ende Person der Abschiebun­g entziehen wird“, heißt es in einer Erklärung, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) sowie acht Länderkoll­egen, unter anderem aus Baden-Württember­g und Bayern verabschie­deten. Hinzu kommen soll auch die Möglichkei­t eines Kurzzeitge­wahrsams, der die Festnahme schon am Vortag der Abschiebun­g erlaubt.

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