Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fall Maaßen wird zum Fall Seehofer
Innenminister stellt sich hinter Verfassungsschutzchef – SPD will Sondersitzung des Innenausschusses
BERLIN - Der Fall Maaßen ist längst zu einem Fall Seehofer geworden. „Wie lange will Horst Seehofer noch seine schützende Hand über diesen außer Kontrolle geratenen Verfassungsschutzpräsidenten halten?“fragt der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. „Es ist erschreckend, dass auf deutschen Straßen durch Rechtsextremisten gleich mehrfach offen der Hitlergruß gezeigt wird, während der Präsident des Inlandsgeheimdiensts öffentlich Zweifel an den Geschehnissen schürt.“
Vertreter von SPD, FDP, Grünen und Linken haben Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident HansGeorg Maaßen zu den Vorfällen von Chemnitz scharf kritisiert und seine Entlassung gefordert. Maaßen hatte erklärt, seinem Amt lägen „keine belastbaren Informationen zu angeblichen Hetzjagden auf Ausländer“vor. Im Internet verbreitete Videos könnten gefälscht sein. Politisch brisant ist dies auch deshalb, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst von Hetzjagden in Chemnitz gesprochen hatte. Sie betonte noch einmal, es habe Bilder gegeben, die Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen gezeigt hätten.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) aber stellt sich weiter hinter den Verfassungsschutzpräsidenten. Maaßen war in letzter Zeit wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil ihm vorgeworfen wurde, die AfD politisch beraten zu haben und einen V-Mann im Umfeld von Attentäter Anis Amri verschwiegen zu haben. „Spätestens im Fall Amri hätte Seehofer Herrn Maaßen zum Gespräch laden müssen“, sagt Benjamin Strasser.
Durch die Ausführungen von Maaßen in der „Bild“-Zeitung und die Rückendeckung von Seehofer wird das Klima in der Großen Koalition stark belastet. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) griff Horst Seehofer frontal an. Er bezeichnete ihn als Fehlbesetzung auf dem Posten des Innenministers und als Zumutung als Verfassungsschutzminister.
Dresdner Auswertung
Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden sagte, die Videoaufnahmen der Ausschreitungen in Chemnitz Ende August dokumentierten zahlreiche Straftaten, darunter Landfriedensbruch, Körperverletzung und Beleidigungen. Anhaltspunkte für sogenannte Hetzjagden habe man bei der Auswertung aber bisher nicht gefunden. Bei Hetzjagden stelle man sich vor, dass Menschen durch die Straßen gejagt und verprügelt würden. Das habe man nicht gesehen. Die SPD will wegen der Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen jetzt das Parlamentarische Kontrollgremium anrufen, das die Geheimdienste kontrolliert. Dort werde Maaßen in der kommenden Woche Gelegenheit haben, „seine Behauptungen zu hinterlegen“, sagt die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles am Freitag nach einer Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. „Herr Maaßen sollte, statt öffentlich zu spekulieren, Beweise darlegen. Seine Aufgabe ist es, Verfassungsfeinde zu enttarnen und zu stellen, und er bewirkt mit seinen Äußerungen das Gegenteil, wenn er sie nicht unmittelbar belegen kann.“ In der Unionsfraktion stellt man sich hinter Maaßen, die CSU deutlich, die CDU verhalten. Unions-Fraktionschef Volker Kauder rät, dessen Ausführungen vor dem Innenausschuss abzuwarten. „Wenn Maaßen andere Erkenntnisse hat, wird er das in der Sitzung darlegen müssen.“Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster wundert sich, dass das nicht längst geschehen ist. Es wäre „unheimlich wichtig gewesen, dass Maaßen schon viel früher objektiv dargelegt hätte, was die Behörden über die Chemnitzer Vorfälle wissen“, sagte Schuster in der „Stuttgarter Zeitung“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt empfahl, erst mal Maaßens Worte ernst zu nehmen. Wie Maaßen zu seiner Einschätzung kommt, weiß allerdings auch sein Dienstherr Horst Seehofer nicht. Seehofer sagte aber, es sei ein ähnlicher Informationsstand, wie ihn auch andere Sicherheitsbehörden hätten, die ihm unterstünden. Er habe gewusst, dass der Verfassungsschutzchef dieses Bild habe – „worauf er das stützt, weiß ich nicht“, sagte der Innenminister.
Großvater der Probleme
Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hält Horst Seehofer in der Flüchtlingsfrage für „hoffnungslos überfordert“. Auch in anderen Parteien wird in den letzten Wochen dieses Bild von Horst Seehofer gezeichnet.
Seehofer hatte die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“bezeichnet und damit viel Protest geerntet. SPD-Vize Ralf Stegner hatte gekontert, Seehofer selbst sei der „Großvater aller Berliner Regierungsprobleme".
Ob Horst Seehofer selbst viel übers Aufhören nachdenkt, ist nicht bekannt. In Berlin aber rechnen viele Beobachter mit den Rücktritt des Innenministers und CSU-Chefs nach der Bayernwahl. Zumindest wenn die Umfragen recht behalten, und die CSU keine 40 Prozent mehr bei der Landtagswahl am 14. Oktober holt.