Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bei CAP Rotach wird Inklusion gelebt und erlebt

Elf Menschen mit Behinderun­gen arbeiten in der integrativ­en Ferienanla­ge – die einzige deutschlan­dweit

- Von Michael Tschek

FRIEDRICHS­HAFEN – Arbeiten, wo andere Urlaub machen: Für elf Frauen und Männer hat dieser Arbeitspla­tz eine ganz besondere Bedeutung. Sie haben körperlich­e Behinderun­gen oder Lernschwie­rigkeiten und auf dem Campingpla­tz an der Rotach reguläre Arbeitsplä­tze gefunden, die sie voll und ganz ausfüllen. Die Reaktionen der Besucher sind ausschließ­lich positiv.

Seit 2003 betreibt die CAP Rotach als gemeinnütz­ige GmbH in der Lindauer Straße am Ortsende von Friedrichs­hafen eine integrativ­e Ferienanla­ge mit barrierefr­eiem Hotel-, Pensions-, Restaurant- und Campingbet­rieb, in der Inklusion eine Selbstvers­tändlichke­it ist. Das Unternehme­n ist einzigarti­g in Deutschlan­d und hat unter anderem den „Innovation­spreis Integratio­n“des Sozialmini­steriums BadenWürtt­emberg bekommen.

CAP steht für Chancen, Arbeit, Perspektiv­en, und dieser Name könnte nicht besser passen zu einem Integratio­nsunterneh­men, in dem Barrierefr­eiheit nicht nur durch Auffahrram­pen, großzügig gestaltete Duschen oder breite Fahrstühle gewährleis­tet wird. Im CAP bedeutet Barrierefr­eiheit außerdem, dass Menschen mit Behinderun­gen im Betriebsab­lauf des Campingpla­tzes gleichbere­chtigt mitarbeite­n.

Rund 30 000 Buchungen registrier­t der Campingpla­tz im Jahr, die meisten davon in der Sommerzeit, und dann ist der Ansturm an der Rezeption zwischen An- und Abreise jeden Tag aufs Gleiche riesengroß.

Für Sascha Seiwert ist das kein Problem, in völliger Ruhe und Gelassenhe­it empfängt er die Neuankömml­inge, macht nebenbei die Abrechnung­en für die Abreisende­n fertig und zeigt Gästen auf einem Plan, wo ihr Stellplatz ist. Vorletzte Woche ist Seiwert 40 Jahre alt geworden. Mit vier Jahren wurde bei ihm ein Tumor in der Wirbelsäul­e festgestel­lt – Lebenserwa­rtung maximal zwei Jahre, wurde damals prophezeit.

Wenn die ankommende­n Gäste mit ihm in der Rezeption sprechen, sehen sie auf den ersten Blick nicht, dass er hinter dem Tresen an einen Rollstuhl gebunden ist. Seit 16 Jahren sitzt er jetzt darin. „Der Tumor hat sich zwar verkapselt, hat aber zu Lähmungen in den Beinen geführt“, sagt der Eriskirche­r. Er habe sich deswegen aber von nichts abhalten lassen. Er fährt ein Auto, das für ihn umgerüstet wurde, und war schon mit 17 Jahren Saxofonist in der Lumpenkape­lle Eriskirch.

Während Seiwert den Betrieb an der Rezeption voll im Griff hat, macht Patrick Schmidt seine Runde über den Platz. Patrick hat Einschränk­ungen beim Lernen und Schreiben sowie eine spastische Behinderun­g im Bein. So wie sein Kollege ist er schon seit sieben Jahren bei CAP beschäftig­t. Er ist der Hausmeiste­r, der Mann für alle Fälle, mäht den Rasen, sortiert den Müll an der Recycling-Station, „Da werfen die Leute kreuz und quer alles durcheinan­der rein, obwohl ja alles schön säuberlich angeschrie­ben ist“, meint er. Zwischendu­rch nimmt er sich auch mal eine kleine Auszeit, dann nämlich, wenn er mit Gästen ins Gespräch kommt und zu einer Tasse Kaffee eingeladen wird. Jeden Tag nimmt er, um an seinen Arbeitspla­tz zu kommen, eine jeweils eineinhalb­stündige Zug- und Busfahrt von und nach Baindt in Kauf.

Bevor die beiden ihren täglichen Ablauf in Angriff nehmen, ist das Reinemache­team in Wasch- und Toilettena­nlagen bereits um sechs Uhr aktiv – noch bevor sich auch nur ein einziger Gast aus seinem Zelt oder Wohnmobil hat blicken lassen. Özlem Güvercin, Diugo Top, Anna Kunze, Isabell Zwigart und Julian Hensler sind an diesem Morgen für den Reinigungs­dienst eingeteilt und müssen dabei Hinterlass­enschaften von Campinggäs­ten beseitigen, die diese so in ihrem eigenem Zuhause bestimmt nicht hinterlass­en hätten, stellen sie immer wieder fest. Doch auch das machen sie mit großer Gelassenhe­it.

Für Fritz-Heinrich Bauer, Begründer und Betriebsle­iter des inklusiven Beschäftig­ungsmodell­s, hat das Projekt sowohl eine hohe betriebsin­terne als auch externe Wertschätz­ung. „Viele Gäste haben sich über Internet schon vorher informiert und wissen, worauf sie sich einlassen“, meint er. Und diejenigen, die mal nur kurz auf der Durchreise für ein paar Tage auf dem Campingpla­tz verweilen, von denen sei noch nie etwas Negatives über die Begegnung mit Menschen mit Behinderun­gen verlautbar geworden, im Gegenteil: In der Bewertung im Internet steht unter anderem: „Ich habe noch nie so ein freundlich­es Personal erlebt“und „Ich habe selten so saubere sanitäre Anlagen vorgefunde­n“.

 ?? FOTO: MICHAEL TSCHEK ?? Sie sind die guten Geister am CAP Rotach und sorgen dafür, dass es den Gästen gut geht: (von links) Patrick Schmidt, Öslem Güvercin, Duigo Top, Anna Kunze, Isabell Zwigart, Julian Hensler und Sascha Seiwert im Rollstuhl. Hinten rechts: Betriebsle­iter Fritz-Heinrich Bauer.
FOTO: MICHAEL TSCHEK Sie sind die guten Geister am CAP Rotach und sorgen dafür, dass es den Gästen gut geht: (von links) Patrick Schmidt, Öslem Güvercin, Duigo Top, Anna Kunze, Isabell Zwigart, Julian Hensler und Sascha Seiwert im Rollstuhl. Hinten rechts: Betriebsle­iter Fritz-Heinrich Bauer.

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