Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Das Ende der Opposition­szeitung „Cumhuriyet“

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Aydin Engin zählt zum journalist­ischen Urgestein in der Türkei. Er hat wegen seiner Arbeit im Gefängnis gesessen, Jahre im deutschen Exil verbracht. Noch vor zwei Jahren wurde der 78-Jährige zusammen mit anderen Journalist­en der angesehene­n Opposition­szeitung „Cumhuriyet“in Untersuchu­ngshaft gesteckt. Jetzt hat Engin bei „Cumhuriyet“gekündigt – aber nicht, weil er sich zur Ruhe setzen will: Ein Machtkampf bei seiner Zeitung hat nationalis­tische Hardliner an die Führung des Traditions­blattes gebracht. Journalist­en wie Engin sind nicht mehr erwünscht.

„Cumhuriyet“– Die Republik – ist eine Institutio­n in der Türkei und nur ein Jahr jünger als der 1923 gegründete Staat. Der erste Chef, Yunus Nadi, war ein enger Vertrauter von Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk. Seit ihren Anfangsjah­ren ist „Cumhuriyet“auf Atatürks Prinzipien wie den Säkularism­us festgelegt.

Schon in den 1970er-Jahren gab es in der Redaktion allerdings Differenze­n zwischen Hardlinern und Reformern. Diese Gegensätze verschärft­en sich in den vergangene­n Jahren, als die Reformer unter dem inzwischen nach Deutschlan­d geflohenen Chefredakt­eur Can Dündar das Ruder übernahmen. Nun schlägt das Pendel zurück. Der Lagerkampf sei „ein Mikrokosmo­s der türkischen Linken“, sagte der in den USA lebende Türkei-Experte Selim Sazak der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Tatsächlic­h kämpften die Nationalis­ten bei „Cumhuriyet“mit allen Mitteln um die Macht bei der Zeitung: Einige von ihnen sagten kürzlich sogar vor Gericht als Zeugen der Staatsanwa­ltschaft gegen ihre inhaftiert­en Kollegen aus. Bei der Neuwahl des Stiftungsr­ates, der „Cumhuriyet“lenkt, setzten sich die Hardliner am vergangene­n Freitag endgültig durch. Der bisherige Chef Murat Sabuncu wurde gefeuert. Engin und andere prominente Journalist­en, darunter der für seine spöttische­n Erdogan-Zeichnunge­n bekannte Karikaturi­st Musa Kart, verlassen von sich aus das Blatt.

Hinter der Wende bei „Cumhuriyet“stehe eine „Große Koalition“, die sich in der Türkei herauskris­tallisiere, sagte Engin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Regierungs­partei AKP von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan verbünde sich mit der rechtsnati­onalen Partei MHP und nationalis­tischen Ex-Generälen sowie kemalistis­chen Hardlinern.

Die neuen Chefs bei der Zeitung betonen, sie wollten die Werte Atatürks wieder stärker hervorhebe­n. Dass die Zeitung jetzt der AKP zu Diensten sein werde, sei eine Lüge, schrieb Orhan Bursali, Kolumnist und Mitglied der neuen Chefredakt­ion. Engin erwartet dagegen, dass „Cumhuriyet“etwaige Kritik an Erdogan nur noch milde vorbringen wird. Angesichts der Lira-Krise und steigender Papierprei­se steht das Blatt auch vor schweren wirtschaft­lichen Herausford­erungen.

Engin will zu der von ihm mitgegründ­eten Onlineplat­tform T24 zurückkehr­en, die zu einem Sammelbeck­en regierungs­kritischer Journalist­en geworden ist. Auch weitere „Cumhuriyet“-Aussteiger könnten dort landen. Sehr viele andere Medien stehen türkischen Erdogan-Kritikern nicht mehr zur Verfügung.

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