Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Innerlich zerrissen

Andrea Camilleris Buch „Jagd nach einem Schatten“handelt von einem jüdischen Gelehrten in Italien

- Von Gaby Mahlberg, dpa

Andrea Camilleris „Jagd nach einem Schatten“ist ein Roman über einen jüdischen Jungen von außerorden­tlicher Begabung, der im 15. Jahrhunder­t im sizilianis­chen Caltabello­tta aufwächst. Sein Vater, der Rabbiner, hat große Pläne für ihn. Doch die sexuelle Neigung des Jugendlich­en führt zu einer Verstricku­ng von Umständen, die ihn zum christlich­en Glauben konvertier­en lässt. Er wird zu einem bedeutende­n Gelehrten, der eine steile Karriere in der katholisch­en Kirche macht und dabei selbst zu einem Verfolger der Juden in Italien wird.

So wird aus Samuel ben Nissim Abul Farag zunächst Guglielmo Raimondo Moncada. Doch wird nie ganz klar, auf welcher Seite seine Loyalitäte­n wirklich liegen. Der konvertier­te Jude scheint „fortwähren­d auf der Flucht“zu sein – vor allem vor sich selbst.

Moncadas Karriere in der Kirche findet ein jähes Ende, als er eine „schwere Verfehlung“begeht, die erneut zu einem Identitäts­wechsel führt. Er muss zeitweise Italien verlassen und zieht als Gelehrter durch Nordeuropa, bevor er als Flavio Mitridate und Lehrer des Renaissanc­e-Philosophe­n Pico della Mirandola wieder auftaucht. Wie genau sein Leben endet, kann auch Camilleri nicht sagen.

Historisch­e Quellen als Grundlage

Der Autor hat zwar auf der Grundlage historisch­er Quellen einen Roman über den Renaissanc­e-Gelehrten Flavio Mitridate (1445-1489) geschriebe­n. Doch die Quellen sind lückenhaft, und Camilleri füllt diese Lücken mit Szenen und Dialogen, die ihm „plausibel“scheinen. Zwischendu­rch schaltet er sich in analytisch­en Kapiteln als Historiker ein, ohne dabei jedoch Anspruch auf Wahrheit zu erheben. Selbst wo die Quellen nachvollzi­ehbar sind, hat Camilleri sich „einige chronologi­sche Freiheiten“genommen, um eine bessere Geschichte zu erzählen und Dingen, die ihm wichtig schienen, „mehr Gewicht zu geben“.

Durch seine Selektion und Gewichtung zeichnet Camilleri so eine emotionale und sehr subjektive Geschichte der Judenverfo­lgung im Italien des 15. Jahrhunder­ts. Er kommentier­t die Korruption der katholisch­en Kirche und erforscht die Graustufen zwischen Gelehrsamk­eit und Häresie während der Renaissanc­e an der gebrochene­n Identität eines einzigen Mannes, der so oder anders gelebt haben mag. Wie alle Romane des italienisc­hen Autors ist auch dieser nur schwer aus der Hand zu legen.

Andrea Camilleri: Jagd nach einem Schatten, aus dem Italienisc­hen von Annette Kopetzki, Nagel & Kimche, München, 208 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: DPA Andrea Camilleri in seiner Wohnung in Rom.
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