Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Freie Radikale

Helene Hegemanns drittes Buch „Bungalow“handelt wieder von einem Teenager in Extremsitu­ationen

- Von Caroline Bock, dpa

Ein Buch von Helene Hegemann kann sich anfühlen, als ob man einem Bus hinterher rennt.

Ihr Roman „Bungalow“beginnt mit einer Szene, in der Erzählerin

Charlie (17) beim

Sex auf der Waschmasch­ine liegt und dann ihren Liebhaber würgt, bis dieser ohnmächtig wird. Ähnlich atemlos geht das Buch weiter. Literatur im Schleuderg­ang, mit der Hegemann (26) es gerade in die Vorauswahl für den Deutschen Buchpreis geschafft hat.

Der Plagiatssk­andal rückt so immer weiter nach hinten in ihrem Lebenslauf. Vielleicht wird er irgendwann nur noch eine Randnotiz sein. Rückblick: 2010, da war Hegemann 17 Jahre alt, erschien „Axolotl Roadkill“. Sex, Drogen, Techno: Alle Welt sprach über das Buch der Tochter des ehemaligen Berliner Volksbühne­n-Chefdramat­urgen Carl Hegemann. Dann kam heraus: Sie hatte Passagen aus einem anderen Roman übernommen. Kopieren als Stilmittel oder Plagiat? Hegemann wurde gehypt und geschmäht. Dabei ging es ihr zufolge nur um einen Bruchteil der 200 Seiten. Sie hat sich davon freigeschr­ieben und -gefilmt. Erst mit einem zweiten Roman („Jage zwei Tiger“), dann mit dem vielgelobt­en und preisgekrö­nten Film „Axolotl Overkill“.

Ihr neues Buch verbindet zwei Welten: Es spielt in einem Weltkultur­erbe-Viertel mit schicken Bungalows, die inmitten von ärmlichen Mietskaser­nen stehen. Charlie lebt dort mit ihrer kettenrauc­henden und trinkenden Mutter. Diese kommentier­t vom Balkon aus die BungalowOb­erschicht wie Szenen aus englischen Melodramen: „Mary, bereiten Sie doch bitte das Gartenzimm­er vor und lassen Sie noch ein paar Fasane schießen!“

Charlie, benannt nach der Schauspiel­erin Charlotte Rampling, ist zwölf, als das Künstlerpa­ar Georg und Maria ins Viertel zieht. Sie verliebt sich, eine Projektion: „Ich war wie dieser Schwan, der sich in das Tretboot verliebt hat.“Es passieren viele merkwürdig­e Dinge im Buch. Es gibt apokalypti­sche Szenen wie tote Tiere und Menschen, die auf schrecklic­he Weise ums Leben kommen. Es geht um Freundscha­ften, Jugend, Nachbarn, Schule, Armut, Gewalt, Sucht und Tod. Also um ganz schön viel.

Berührende Schilderun­gen

Am besten ist das Buch, wenn es den Schmerz beim Heranwachs­en in einer kaputten Familie schildert: Etwa wie es ist, wenn das Geld nur für Toast und Ketchup reicht oder die Mutter vom Wein auf Wodka umsteigt. Die Autorin fängt das Sich-Alleine-Fühlen in einer kaputten Welt ein, wieder geht es um einen Teenager in Extremsitu­ationen.

Man kann in Hegemanns Büchern nach den Spuren ihrer eigenen Biografie suchen. Sie hat ihre Mutter früh verloren und zog mit 13 von Bochum zum Vater nach Berlin. Leben und Roman sind aber etwas anderes. Mit „Bungalow“schwimmt sich Helene Hegemann weiter frei. Man kann ihre Bücher anstrengen­d finden, aber ihr Talent muss sie nicht mehr beweisen.

Helene Hegemann: Bungalow, Hanser, Berlin, 240 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: DPA Helene Hegemann
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