Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Maaßen weiter von allen Seiten unter Druck
Verfassungsschutzchef relativiert Aussagen – Vorwurf: Behörde gab Informationen an AfD
BERLIN/KÖTHEN - Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen soll Medienberichten zufolge seine Aussagen zur Echtheit eines Videos zu den Ereignissen in Chemnitz relativiert haben. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“erklärte er in einem Schreiben an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), das Video sei nicht gefälscht, er sei falsch verstanden worden. Zweifel, so Maaßen dem Bericht zufolge, seien angebracht, ob das Video „authentisch“ eine Menschenjagd zeige. Dies habe er mit seiner Kritik gemeint.
Nach „Spiegel“-Informationen bestreitet Maaßen nicht mehr, dass das Video echt ist. Unter Berufung auf das Umfeld des Verfassungsschutzpräsidenten heißt es, Maaßen kritisiere „nur noch“, dass die schnelle Veröffentlichung des Videos unseriös gewesen sei, weil niemand die Quelle und die Echtheit der Aufnahme zu dem Zeitpunkt hätte einschätzen können.
Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) zeigte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ wenig Verständnis für Maaßens Vorgehen. Er könne sich nicht erklären, weshalb Maaßen nicht sofort Beweise vorgelegt habe, so Wolf: „Es wird jetzt über Begrifflichkeiten diskutiert und es besteht die Gefahr, dass das die Aufarbeitung der tatsächlichen Geschehnisse überlagert.“Auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, Maaßen habe mit seiner Aussage eine „relativ konkrete Deutung“vorgenommen. „Da kann man erwarten, dass er sie anhand von Fakten belegen kann.“
SPD-Chefin Andrea Nahles sagte in Berlin, wenn Maaßen die Gründe für seine Einschätzung nicht überzeugend darlege, sei er nicht länger tragbar. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, noch in dieser Woche etwas zum „Fall Seehofer und Maaßen“zu sagen.
Für Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, ist Maaßen an der Spitze der Behörde nicht mehr zu halten. Seine Partei wolle von Seehofer im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages wissen, ob er Maaßen grünes Licht für seine Mutmaßungen zu den Vorfällen in Chemnitz gegeben hat.
KÖTHEN (dpa) - Nach einem Streit mit tödlichem Ende im sachsen-anhaltischen Köthen ist zu den Hintergründen weiter wenig bekannt. Ein 22-Jähriger starb an Herzversagen, zwei Männer aus Afghanistan im Alter von 18 und 20 Jahren wurden verhaftet. Die Ermittler baten um Geduld. Bis zu 550 Menschen nahmen am Montagabend an einer weiteren Demonstration teil.
Der AfD-Abgeordnete Hannes Loth hatte die Demonstration unter dem Titel „Wir trauern“angemeldet. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler war es in der Nacht zu Sonntag an einem Spielplatz in Köthen zu einem Streit zwischen mindestens zwei afghanischen Staatsbürgern auf der einen und mindestens zwei deutschen Staatsbürgern auf der anderen Seite gekommen. Am Ende war ein 22-jähriger Deutscher tot, er starb nach Behördenangaben an Herzversagen. Dem Obduktionsergebnis zufolge seien Verletzungen nicht die Todesursache gewesen, sagte Landesjustizministerin Anne-Marie Keding (CDU). Auch Verletzungen, die von Tritten oder Schlägen gegen den Kopf herrührten, hätten nicht festgestellt werden können.
Einer der beiden festgenommenen Afghanen sollte schon vor Monaten abgeschoben werden. Einen Antrag auf Zustimmung habe der Landkreis Anhalt-Bitterfeld bereits Mitte April an die Staatsanwaltschaft gestellt, sagte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Wegen damals laufender Ermittlungen habe die Staatsanwaltschaft aber zunächst nicht zugestimmt. Nach Justizangaben ging es um eine Körperverletzung sowie zwei kleinere Delikte. Ende August habe der Kreis den Antrag auf Abschiebung erneut gestellt, am vergangenen Donnerstag habe die Staatsanwaltschaft zugestimmt. So kurzfristig sei eine Abschiebung aber nicht möglich gewesen.
Im sächsischen Chemnitz hatte auf den Tag genau zwei Wochen zuvor ein ähnlicher Fall wie in Köthen zu Spontandemos mit rechtsextremer Beteiligung und Gewaltausbrüchen geführt. Nach den ersten DemoTagen in Chemnitz waren mehr als zwei Dutzend Verletzte und
120 Straftaten inklusive Hitlergrüßen gemeldet worden. Am Sonntag waren zur Demonstration in Köthen 2500 Menschen gekommen. Die meisten waren Bürgerinnen und Bürger aus Köthen und Umgebung, die ihre Trauer bekunden wollten, schätzte Innenminister Stahlknecht ein.
Bisher zehn Anzeigen
Doch die Sicherheitsbehörden zählten auch bis zu 500 Rechtsextremisten. Darunter seien Mitglieder der rechtsextremen NPD sowie Kameradschaften gewesen, sagte LandesVerfassungsschutzchef Jochen Hollmann. Bei dem sogenannten Trauermarsch am Sonntag nahm die Polizei zunächst zehn Anzeigen auf. Es werde wegen des Verdachts der Volksverhetzung, der Beleidigung, Verstößen gegen das Versammlungsrecht sowie einer Körperverletzung gegen Pressevertreter ermittelt, sagte SachsenAnhalts Landespolizeidirektorin Christiane Bergmann. Derzeit werde das Demogeschehen auf weitere Straftaten hin ausgewertet.
Die Bundesregierung zeigte sich empört: „Dass es (…) am Ende des Tages in Köthen, wie ein Video zeigt, zu offen nationalsozialistischen Sprechchören gekommen ist, auch das muss uns betroffen machen und empören“, sagte Regierungssprecher Seibert.