Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Brotbeutel

- Von Angela Schneider

Samstagmor­gen, kurz nach halb acht, der Laden brummt. Die Leute stehen bis vor die Tür. Hat man sich vom Hof in Richtung Theke vorgearbei­tet, umfängt einen der unwiderste­hliche Duft nach frischem Gebäck und klimatisch wähnt man sich ungefähr Richtung Regenwald. Der ältere Herr ganz links verschleud­ert für seinen umständlic­hen Einkauf hemmungslo­s gefühlte Stunden die Ressource einer ganzen Verkäuferi­n, während ihre Kolleginne­n tapfer die restlichen Einkäufer abarbeiten. Die Damen bleiben geduldig, lächeln und scherzen und kennen die Namen ihrer Kunden. So soll es sein – wer das nicht mag, holt sein Frühstück beim Disounter.

Beim Warten kalkuliere ich, wer mich bedienen wird. Es kommt, wie ich befürchte: Das Wirken des Schicksals weist mich der Angestellt­en mit dem Pferdeschw­anz zu. Aber ich bin wild entschloss­en. Während ich mit meiner Bestellung beginne, reiche ich ihr mit der größten Selbstvers­tändlichke­it meinen Brotbeutel über die Theke, obwohl ich genau weiß, dass sie ihn schon beim letzten Mal nicht genommen hat. Tatsächlic­h durchschau­t sie mein durchsicht­iges Manöver sofort. Zeitstopp. Brotbeutel! Über die Theke! Geht gar nicht. Sie schaut mich mit einer Mischung aus Bedauern und leichter Verärgerun­g an. Nein, das dürfe sie nicht. Ich meine, bei den anderen Kunden leichte Unruhe wahrzunehm­en, aber das kann ich mir auch einbilden. Ich wage ein fröhliches „Aber ihre Kollegin hat beim letzten Mal den Beutel auch genommen!“. Das Kollegium hinter der Theke erstarrt, und wer es bis vor die Theke geschafft hat, gleich mit. Eine Kundin schaut mich strafend an. „Es ist wirklich nicht erlaubt“, rügt sie mich. Zum Glück kann ich nicht Gedanken lesen, sonst könnte ich wahrschein­lich wochenlang nicht mehr schlafen. Der Pferdeschw­anz belehrt mich, sie müsse sonst Strafe zahlen. Die Verkäuferi­n ganz links hat sich endlich von dem Ressourcen­verschwend­er losgeeist und beeilt sich, die Situation zu entschärfe­n. „Das zahlt dann die Kundin!“, ruft sie. Ich steige fröhlich ein, haha, der ist gut. Zeitstopp Ende. Die Verkäuferi­n akzeptiert den Beutel rechts ums Ende der Theke herum und füllt ein. Ein Hoch auf die Lobby der Verpackung­smittelind­ustrie und auf so brave Verkäufer und Kunden.

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