Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Brotbeutel
Samstagmorgen, kurz nach halb acht, der Laden brummt. Die Leute stehen bis vor die Tür. Hat man sich vom Hof in Richtung Theke vorgearbeitet, umfängt einen der unwiderstehliche Duft nach frischem Gebäck und klimatisch wähnt man sich ungefähr Richtung Regenwald. Der ältere Herr ganz links verschleudert für seinen umständlichen Einkauf hemmungslos gefühlte Stunden die Ressource einer ganzen Verkäuferin, während ihre Kolleginnen tapfer die restlichen Einkäufer abarbeiten. Die Damen bleiben geduldig, lächeln und scherzen und kennen die Namen ihrer Kunden. So soll es sein – wer das nicht mag, holt sein Frühstück beim Disounter.
Beim Warten kalkuliere ich, wer mich bedienen wird. Es kommt, wie ich befürchte: Das Wirken des Schicksals weist mich der Angestellten mit dem Pferdeschwanz zu. Aber ich bin wild entschlossen. Während ich mit meiner Bestellung beginne, reiche ich ihr mit der größten Selbstverständlichkeit meinen Brotbeutel über die Theke, obwohl ich genau weiß, dass sie ihn schon beim letzten Mal nicht genommen hat. Tatsächlich durchschaut sie mein durchsichtiges Manöver sofort. Zeitstopp. Brotbeutel! Über die Theke! Geht gar nicht. Sie schaut mich mit einer Mischung aus Bedauern und leichter Verärgerung an. Nein, das dürfe sie nicht. Ich meine, bei den anderen Kunden leichte Unruhe wahrzunehmen, aber das kann ich mir auch einbilden. Ich wage ein fröhliches „Aber ihre Kollegin hat beim letzten Mal den Beutel auch genommen!“. Das Kollegium hinter der Theke erstarrt, und wer es bis vor die Theke geschafft hat, gleich mit. Eine Kundin schaut mich strafend an. „Es ist wirklich nicht erlaubt“, rügt sie mich. Zum Glück kann ich nicht Gedanken lesen, sonst könnte ich wahrscheinlich wochenlang nicht mehr schlafen. Der Pferdeschwanz belehrt mich, sie müsse sonst Strafe zahlen. Die Verkäuferin ganz links hat sich endlich von dem Ressourcenverschwender losgeeist und beeilt sich, die Situation zu entschärfen. „Das zahlt dann die Kundin!“, ruft sie. Ich steige fröhlich ein, haha, der ist gut. Zeitstopp Ende. Die Verkäuferin akzeptiert den Beutel rechts ums Ende der Theke herum und füllt ein. Ein Hoch auf die Lobby der Verpackungsmittelindustrie und auf so brave Verkäufer und Kunden.