Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Spahn verteidigt höheren Pflegebeitrag
Gesundheitsminister kontert Forderung der Sozialverbände nach mehr Steuermitteln
BERLIN - Vom kommenden Jahr an müssen die Bundesbürger mehr für ihre Pflegeversicherung bezahlen. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch in Berlin eine Gesetzesvorlage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wonach der Pflegebeitrag zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte von 2,55 auf 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben werden soll. Kinderlose zahlen dann 3,3 Prozent.
Sozialverbände und Gewerkschaften übten Kritik und mahnten ein Gesamt-Finanzierungskonzept für die Pflege an. Spahn verteidigte die Maßnahme. Die Beitragssatzerhöhung sei nötig, um das Defizit in der Pflegeversicherung, aber auch Verbesserungen in der Pflege zu finanzieren. Das Defizit betrage in diesem Jahr bereits drei Milliarden Euro. Die Ausgaben in der Pflege seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die jetzt geplante Erhöhung des Beitragssatzes reiche mindestens bis 2022, sagte der Minister.
Forderungen von Verena Bentele, der Präsidentin des Sozialverbands VdK, konterte Spahn umgehend. „Einfach jetzt nur reflexhaft zu sagen, da müssen Steuermittel rein, das ist mir zu kurz gesprungen“, sagte er. Die aus Tettnang stammende Bentele hatte zuvor verlangt, die Pflege müsse für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bezahlbar bleiben. Verbesserungen dürften nicht zu deren Lasten gehen. Daher würden künftig auch Steuergelder gebraucht.
Hauptgrund für die steigenden Ausgaben der Pflegekassen sind Leistungsverbesserungen für Demenzkranke, die die vorige große Koalition beschlossen hatte. In dieser Legislaturperiode stehen Schritte gegen die Unterbezahlung und Personalnot in der Pflege im Mittelpunkt, wofür die Pflegeversicherung vom kommenden Jahr an mehr Geld aufbringen muss. 13 000 zusätzliche Stellen in Altenheimen werden dagegen von den Krankenkassen refinanziert. „Das ist nur ein erster Schritt“, sagte Spahn der „Schwäbischen Zeitung“. Generell gehe es darum „den Pflegejob attraktiver“zu machen: durch bessere Bezahlung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Wir werden alle Register ziehen“, versprach der CDU-Politiker am Mittwoch.
BERLIN - „Bessere Pflege kostet“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und rechtfertigt damit einen Kabinettsbeschluss, der so gar nicht zu den Milliardenüberschüssen in den öffentlichen Kassen zu passen scheint. Gegen den Trend soll der Beitrag für die jüngste Sparte der Sozialversicherung 2019 um einen halben Prozentpunkt steigen. Damit zahlen Eltern künftig 3,05 Prozent und Kinderlose 3,3 Prozent. Trotz der guten Wirtschaftslage rechnet Spahn nicht mit großem Widerstand – im Gegenteil. „Eine gute Versorgung im Pflegefall ist den Menschen wichtig“, sagte Spahn gestern im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Deshalb werden finanzielle Zusatzbelastungen akzeptiert.“
Gerade bei der Pflege macht sich die Alterung der Gesellschaft zunehmend bemerkbar. Dadurch wächst die Zahl der Bedürftigen. Derzeit sind laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft etwas mehr als drei Millionen Menschen auf Pflege angewiesen. Im Jahr 2035 Die Kosten in der Pflege steigen – der Beitrag zur Pflegeversicherung steigt auch. werden es der Prognose zufolge vier Millionen sein. Die Politik will deshalb die Leistungen ausbauen, um die Betroffenen und ihre Familien wirksamer zu unterstützen. So möchte Spahn den Pflegeberuf aufwerten – und den Fachkräftemangel mit 13 000 zusätzlichen Stellen in den Heimen abmildern. Die nun auf den Weg gebrachte Anhebung des Beitragssatzes bringt 7,6 Milliarden Euro pro Jahr ein. Die Pflegeversicherung aber hat die vergangenen Jahre mit Milliardendefiziten abgeschlossen. Laut Regierungsschätzung ist nun die Finanzierung bis 2022 gesichert.
Doch viele Sozialexperten warnen, dass es ohne höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nicht gehen werde.
Die Unterstützung durch Steuergelder dürfe nicht länger zum Tabu erklärt werden, fordert Gernot Kiefer, Vorstand des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dafür setzt sich auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, ein. Bei anderen Sozialkassen ist es längst üblich, Steuermittel heranzuziehen. Allerdings ist dadurch der Zuschuss zur Rentenversicherung auch zum größten Einzelposten im Bundeshaushalt geworden.
Die Wirtschaft drängt darauf, die Sozialkosten nicht weiter zu erhöhen. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte, sollten die Sozialbeiträge nicht unter 40 Prozent bleiben, wäre dies „eine schwere Hypothek für Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerb in Deutschland.“Genau das – die Summe aus Renten-, Arbeitslosen-, Krankenkassen- und Pflegetarif unter 40 Prozent zu halten – haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag versprochen.
Kurzfristig ist dies dank der guten Konjunktur kein Problem. Anfang 2019 soll der Arbeitslosenbeitrag um einen halben Prozentpunkt sinken. Auch die Krankenversicherung wird günstiger, jedenfalls für die Beschäftigten. Sie profitieren davon, dass Arbeitgeber vom kommenden Jahr an wieder den Zusatzbeitrag von durchschnittlich 1,0 Prozent zur Hälfte tragen sollen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) plant zudem, vor allem Familien steuerlich zu entlasten – um vier Milliarden Euro im nächsten, um fast zehn Milliarden Euro im übernächsten Jahr.
Der Aufschlag für die Pflege wird also durch Entlastungen an anderer Stelle mehr als kompensiert, so dass er für weniger Aufregung sorgt als in anderen Zeiten.