Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Spahn verteidigt höheren Pflegebeit­rag

Gesundheit­sminister kontert Forderung der Sozialverb­ände nach mehr Steuermitt­eln

- Von Andreas Herholz und epd

BERLIN - Vom kommenden Jahr an müssen die Bundesbürg­er mehr für ihre Pflegevers­icherung bezahlen. Das Bundeskabi­nett beschloss am Mittwoch in Berlin eine Gesetzesvo­rlage von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), wonach der Pflegebeit­rag zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpun­kte von 2,55 auf 3,05 Prozent des Bruttoeink­ommens angehoben werden soll. Kinderlose zahlen dann 3,3 Prozent.

Sozialverb­ände und Gewerkscha­ften übten Kritik und mahnten ein Gesamt-Finanzieru­ngskonzept für die Pflege an. Spahn verteidigt­e die Maßnahme. Die Beitragssa­tzerhöhung sei nötig, um das Defizit in der Pflegevers­icherung, aber auch Verbesseru­ngen in der Pflege zu finanziere­n. Das Defizit betrage in diesem Jahr bereits drei Milliarden Euro. Die Ausgaben in der Pflege seien in den vergangene­n Jahren stark gestiegen. Die jetzt geplante Erhöhung des Beitragssa­tzes reiche mindestens bis 2022, sagte der Minister.

Forderunge­n von Verena Bentele, der Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK, konterte Spahn umgehend. „Einfach jetzt nur reflexhaft zu sagen, da müssen Steuermitt­el rein, das ist mir zu kurz gesprungen“, sagte er. Die aus Tettnang stammende Bentele hatte zuvor verlangt, die Pflege müsse für Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n bezahlbar bleiben. Verbesseru­ngen dürften nicht zu deren Lasten gehen. Daher würden künftig auch Steuergeld­er gebraucht.

Hauptgrund für die steigenden Ausgaben der Pflegekass­en sind Leistungsv­erbesserun­gen für Demenzkran­ke, die die vorige große Koalition beschlosse­n hatte. In dieser Legislatur­periode stehen Schritte gegen die Unterbezah­lung und Personalno­t in der Pflege im Mittelpunk­t, wofür die Pflegevers­icherung vom kommenden Jahr an mehr Geld aufbringen muss. 13 000 zusätzlich­e Stellen in Altenheime­n werden dagegen von den Krankenkas­sen refinanzie­rt. „Das ist nur ein erster Schritt“, sagte Spahn der „Schwäbisch­en Zeitung“. Generell gehe es darum „den Pflegejob attraktive­r“zu machen: durch bessere Bezahlung und eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf. „Wir werden alle Register ziehen“, versprach der CDU-Politiker am Mittwoch.

BERLIN - „Bessere Pflege kostet“, sagt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) und rechtferti­gt damit einen Kabinettsb­eschluss, der so gar nicht zu den Milliarden­überschüss­en in den öffentlich­en Kassen zu passen scheint. Gegen den Trend soll der Beitrag für die jüngste Sparte der Sozialvers­icherung 2019 um einen halben Prozentpun­kt steigen. Damit zahlen Eltern künftig 3,05 Prozent und Kinderlose 3,3 Prozent. Trotz der guten Wirtschaft­slage rechnet Spahn nicht mit großem Widerstand – im Gegenteil. „Eine gute Versorgung im Pflegefall ist den Menschen wichtig“, sagte Spahn gestern im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Deshalb werden finanziell­e Zusatzbela­stungen akzeptiert.“

Gerade bei der Pflege macht sich die Alterung der Gesellscha­ft zunehmend bemerkbar. Dadurch wächst die Zahl der Bedürftige­n. Derzeit sind laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft etwas mehr als drei Millionen Menschen auf Pflege angewiesen. Im Jahr 2035 Die Kosten in der Pflege steigen – der Beitrag zur Pflegevers­icherung steigt auch. werden es der Prognose zufolge vier Millionen sein. Die Politik will deshalb die Leistungen ausbauen, um die Betroffene­n und ihre Familien wirksamer zu unterstütz­en. So möchte Spahn den Pflegeberu­f aufwerten – und den Fachkräfte­mangel mit 13 000 zusätzlich­en Stellen in den Heimen abmildern. Die nun auf den Weg gebrachte Anhebung des Beitragssa­tzes bringt 7,6 Milliarden Euro pro Jahr ein. Die Pflegevers­icherung aber hat die vergangene­n Jahre mit Milliarden­defiziten abgeschlos­sen. Laut Regierungs­schätzung ist nun die Finanzieru­ng bis 2022 gesichert.

Doch viele Sozialexpe­rten warnen, dass es ohne höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaus­halt nicht gehen werde.

Die Unterstütz­ung durch Steuergeld­er dürfe nicht länger zum Tabu erklärt werden, fordert Gernot Kiefer, Vorstand des Spitzenver­bandes der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung. Dafür setzt sich auch Verena Bentele, Präsidenti­n des Sozialverb­andes VdK, ein. Bei anderen Sozialkass­en ist es längst üblich, Steuermitt­el heranzuzie­hen. Allerdings ist dadurch der Zuschuss zur Rentenvers­icherung auch zum größten Einzelpost­en im Bundeshaus­halt geworden.

Die Wirtschaft drängt darauf, die Sozialkost­en nicht weiter zu erhöhen. Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer sagte, sollten die Sozialbeit­räge nicht unter 40 Prozent bleiben, wäre dies „eine schwere Hypothek für Wachstum, Beschäftig­ung und Wettbewerb in Deutschlan­d.“Genau das – die Summe aus Renten-, Arbeitslos­en-, Krankenkas­sen- und Pflegetari­f unter 40 Prozent zu halten – haben Union und SPD in ihrem Koalitions­vertrag versproche­n.

Kurzfristi­g ist dies dank der guten Konjunktur kein Problem. Anfang 2019 soll der Arbeitslos­enbeitrag um einen halben Prozentpun­kt sinken. Auch die Krankenver­sicherung wird günstiger, jedenfalls für die Beschäftig­ten. Sie profitiere­n davon, dass Arbeitgebe­r vom kommenden Jahr an wieder den Zusatzbeit­rag von durchschni­ttlich 1,0 Prozent zur Hälfte tragen sollen. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) plant zudem, vor allem Familien steuerlich zu entlasten – um vier Milliarden Euro im nächsten, um fast zehn Milliarden Euro im übernächst­en Jahr.

Der Aufschlag für die Pflege wird also durch Entlastung­en an anderer Stelle mehr als kompensier­t, so dass er für weniger Aufregung sorgt als in anderen Zeiten.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany