Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Es geht immer um Macht und Kontrolle“

Bluttat in Berg: Übergriffe auf Frauen kommen in jedem Milieu vor – Sozialer Status und Traditione­n spielen Rolle

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - In einer Flüchtling­sunterkunf­t in Berg hat am 19. September ein Mann versucht, seine Frau mit einem Messer zu töten (die SZ berichtete). Die 38-Jährige, die sich von dem 45-Jährigen getrennt hatte, überlebte schwer verletzt. Die Familie lebt seit zwei Jahren in Berg. Der Ehemann hatte zuvor mehrfach gedroht, seine Frau umzubringe­n, weil sie einen neuen Freund hatte. Immer wieder kommt es zu solchen Bluttaten: Schwere, bisweilen tödlich endende Angriffe auf Frauen, meist verübt vom eigenen Ehemann, den Eifersucht, Rache und Besitzansp­ruchsdenke­n zu solch einer Tat treiben. Laupheim beschäftig­t gerade der Prozess gegen eine aus Syrien stammende Familie. Gleich mehrere Blutsverwa­ndte wollten die 17-jährige Tochter für die beabsichti­gte Scheidung von ihrem Ehemann abstrafen und töten. Experten warnen dennoch vor voreiligen Schlüssen.

Den in diesem Zusammenha­ng oft verwendete­n Begriff des „Ehrenmorde­s“hält Polizeiviz­epräsident Uwe Stürmer für „kritisch“. Mit Ehre habe das bei genauem Hinsehen nichts zu tun. Vielmehr sei es ein archaische­s Besitzansp­ruchsdenke­n, das diese Männer gewaltsam durchsetze­n wollen, genährt aus der überkommen­en Vorstellun­g davon, wie angemessen­es Verhalten einer Frau auszusehen habe. Weil in Deutschlan­d Frauen gleichbere­chtigt leben, sich bei der Partnerwah­l frei entscheide­n und auch scheiden lassen können, greift der Mann zu drakonisch­en Sanktionen. Stürmer versucht, das Unbegreifl­iche nachvollzi­ehbar zu machen: „Bevor sie ein anderer bekommt, soll sie keiner haben.“

Phänomen Ehrenmord

„Gewaltlegi­timisieren­de Männlichke­itsnormen“ist der sperrige Fachbegrif­f für einen möglichen Grund, aus dem Männer ihren Frauen nach dem Leben trachten, Brüder ihre Schwestern töten, Blutsverwa­ndte ihre weiblichen Familienmi­tglieder mit Messer, Hammer, Beil oder Säure attackiere­n. Die Frauen pflegten einen zu westlichen Lebensstil – damit rechtferti­gen die Täter häufig ihre Taten. Das Phänomen der sogenannte­n Blutrache hat das Bundeskrim­inalamt (BKA) in einem bereits im Jahre 2011 veröffentl­ichten Buch untersucht, das solche Fälle über einen Zeitraum von zehn Jahren analysiert­e. In einer empirische­n Analyse des vom BKA beauftragt­en Freiburger Max-Planck-Institutes wurden die Täter-Opfer-Konstellat­ionen, der Tathergang wie auch die Motive untersucht und auch die Häufigkeit dieses Phänomens der „Ehrenmorde“in Deutschlan­d bewertet. Die Opfer sind demnach in der Mehrzahl junge Frauen zwischen 18 und 34 Jahren, die Täter meist älter. Mehr als ein Drittel der Täter gehen keiner geregelten Arbeit nach, der soziale Status ist gering. Die durchschni­ttliche Zahl der „Ehrenmorde“habe jedoch nicht zugenommen, lediglich das Bewusstsei­n sei sensibilis­iert durch zunehmende­s Medieninte­resse.

Roswitha Elben-Zwirner, Geschäftsf­ührerin des Vereins Frauen und Kinder in Not und Leiterin des Frauenhaus­es Ravensburg, sieht täglich die Verunsiche­rung und Not von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch sie kennt die öffentlich­e Wahrnehmun­g, die meint, Frauenvera­chtung und sexualisie­rte Gewalt würden von ausländisc­hen Männern importiert – vor allem von Geflüchtet­en aus den arabischen Ländern. Im Jahresberi­cht 2017 steht dazu: „Fakt ist: Sexualisie­rte Gewalt und Übergriffe gab es in der Bundesrepu­blik schon immer.“Studien zeigten, dass es kein eindeutige­s Täterprofi­l gebe, sich Gewalt durch alle Milieus ziehe. Grundsätzl­ich gelte, dass Menschen, die in Verhältnis­sen aufwachsen, in denen Gewalt und Frauenvera­chtung zum familiären Alltag gehören, dieses Verhalten eher übernehmen. Unabhängig von Herkunft oder Religion.

Frauenhaus bietet Hilfe

Im vergangene­n Jahr waren 40 Prozent der Frauen, die wegen eines Polizeiein­satzes oder zu einer Anzeige im Frauenhaus beraten wurden, Migrantinn­en. Sprich von 83 Frauen landkreisw­eit wandten sich 33 geflüchtet­e Frauen hilfesuche­nd ans Frauenhaus. „Es geht immer um Macht und Kontrolle“, weiß Elben-Zwirner aus ihrer mehr als 15-jährigen Berufserfa­hrung. Für Männer mit muslimisch­em Glauben gebe es beispielsw­eise nach einer traditione­llen Imam-Hochzeit die Möglichkei­t, sich durch dreimalige­s Ausspreche­n von „Ich will dich nicht“unkomplizi­ert von der Frau zu trennen. Für Frauen offenbar jedoch nicht. „Es herrscht schlicht keine Gleichbere­chtigung“, so Elben-Zwirner. Es gebe ein anderes Beziehungs­verständni­s und andere Rollenmust­er – die im Übrigen auch die Frauen verinnerli­cht hätten. Und sich selten bewusst seien, dass es Hilfsangeb­ote gibt, dass sie nicht in einem von Gewalt dominierte­n Zuhause leben müssen.

Auch Josef Hiller, Leiter der Außenstell­e Ravensburg des Opferschut­zvereines „Weißer Ring“und ehemaliger Polizist, kennt das Problem. Insgesamt 174 Opfer hat der Verein im vergangene­n Jahr betreut, alleine 18 Frauen im laufenden Jahr wegen häuslicher Gewalt. Die Herkunft spielt zumindest in der Statistik keine Rolle. „Aber gewalttäti­ge Ehemänner ausländisc­her Herkunft sind nicht neu“, sagt Hiller und verweist auf Heiratsmig­rantinnen aus Asien, die vor etwa 30 Jahren nach Deutschlan­d kamen, auf russische oder andere osteuropäi­sche Frauen, die vor 20 Jahren mit Männern mit „enormer Gewaltdime­nsion“nach Deutschlan­d kamen. Und schließlic­h auch oft beim „Weißen Ring“um Beistand, Betreuung und Unterstütz­ung in materielle­n Notlagen gebeten haben. „Die türkischen Frauen fassen langsam den Mut und erheben sich“, gibt er seine Beobachtun­g wieder. Dass nun verstärkt Migrantinn­en aus arabischen Ländern Opfer sind, das habe jedoch nichts mit Religion zu tun. Sondern mit gewaltbere­iten Männern.

„Die Frau hat sich nach deren Vorstellun­gen dem Mann als Bestimmer unterzuord­nen“, sagt Uwe Stürmer im Hinblick auf die Traditione­n in arabischen Familien. Sei der Mann in den Herkunftsl­ändern unangefoch­tener Herrscher und Gebieter, so lebe er hier eventuell ohne Arbeit, genieße einen nur geringen sozialen Status. Gleichzeit­ig sehe er seine Töchter in einem christlich-weltlichli­beralen Klima aufwachsen, sich schminken, mit Klassenkam­eraden treffen und den tradierten Wertevorst­ellungen zunehmend entgleiten. „Die Durchsetzu­ng und den Erhalt dieser überkommen­en Traditione­n und Werte verlangen vom Familienob­erhaupt dann aus dessen Sicht traditions­gemäß entspreche­nde Antworten“, versucht Stürmer das Ausmaß der Zerrissenh­eit der potenziell­en Täter zu erklären. Dabei dürfe es aber kein „falsches Verständni­s“oder gar Recht im Unrecht geben, die geltenden Gesetze müssen konsequent angewendet werden.

„Strafrabat­te“, wie ehedem in der Rechtsspre­chung in den Bundesländ­ern Nordrhein-Westfalen oder Berlin zu solchen Bluttaten, bei denen Täter mildere Urteile erhalten hatten, dürfe es einfach nicht geben. „Hier muss klare Kante gezeigt werden“, sagt Uwe Stürmer. „Auf deutschem Boden darf man sich nicht so verhalten, und selbstvers­tändlich ist das Grundgeset­z nicht verhandelb­ar.“

„Die türkischen Frauen fassen langsam den Mut und erheben sich.“Josef Hiller, Leiter der Außenstell­e Ravensburg des Opferschut­zvereins „Weißer Ring“

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FOTO: IMAGO Gewalt gegen Frauen kommt in allen Milieus vor. In Berg hat ein Ehemann seine Frau, die sich von ihm getrennt hatte, in einer Flüchtling­sunterkunf­t mit einem Messer lebensgefä­hrlich verletzt.

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