Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Es geht immer um Macht und Kontrolle“
Bluttat in Berg: Übergriffe auf Frauen kommen in jedem Milieu vor – Sozialer Status und Traditionen spielen Rolle
RAVENSBURG - In einer Flüchtlingsunterkunft in Berg hat am 19. September ein Mann versucht, seine Frau mit einem Messer zu töten (die SZ berichtete). Die 38-Jährige, die sich von dem 45-Jährigen getrennt hatte, überlebte schwer verletzt. Die Familie lebt seit zwei Jahren in Berg. Der Ehemann hatte zuvor mehrfach gedroht, seine Frau umzubringen, weil sie einen neuen Freund hatte. Immer wieder kommt es zu solchen Bluttaten: Schwere, bisweilen tödlich endende Angriffe auf Frauen, meist verübt vom eigenen Ehemann, den Eifersucht, Rache und Besitzanspruchsdenken zu solch einer Tat treiben. Laupheim beschäftigt gerade der Prozess gegen eine aus Syrien stammende Familie. Gleich mehrere Blutsverwandte wollten die 17-jährige Tochter für die beabsichtigte Scheidung von ihrem Ehemann abstrafen und töten. Experten warnen dennoch vor voreiligen Schlüssen.
Den in diesem Zusammenhang oft verwendeten Begriff des „Ehrenmordes“hält Polizeivizepräsident Uwe Stürmer für „kritisch“. Mit Ehre habe das bei genauem Hinsehen nichts zu tun. Vielmehr sei es ein archaisches Besitzanspruchsdenken, das diese Männer gewaltsam durchsetzen wollen, genährt aus der überkommenen Vorstellung davon, wie angemessenes Verhalten einer Frau auszusehen habe. Weil in Deutschland Frauen gleichberechtigt leben, sich bei der Partnerwahl frei entscheiden und auch scheiden lassen können, greift der Mann zu drakonischen Sanktionen. Stürmer versucht, das Unbegreifliche nachvollziehbar zu machen: „Bevor sie ein anderer bekommt, soll sie keiner haben.“
Phänomen Ehrenmord
„Gewaltlegitimisierende Männlichkeitsnormen“ist der sperrige Fachbegriff für einen möglichen Grund, aus dem Männer ihren Frauen nach dem Leben trachten, Brüder ihre Schwestern töten, Blutsverwandte ihre weiblichen Familienmitglieder mit Messer, Hammer, Beil oder Säure attackieren. Die Frauen pflegten einen zu westlichen Lebensstil – damit rechtfertigen die Täter häufig ihre Taten. Das Phänomen der sogenannten Blutrache hat das Bundeskriminalamt (BKA) in einem bereits im Jahre 2011 veröffentlichten Buch untersucht, das solche Fälle über einen Zeitraum von zehn Jahren analysierte. In einer empirischen Analyse des vom BKA beauftragten Freiburger Max-Planck-Institutes wurden die Täter-Opfer-Konstellationen, der Tathergang wie auch die Motive untersucht und auch die Häufigkeit dieses Phänomens der „Ehrenmorde“in Deutschland bewertet. Die Opfer sind demnach in der Mehrzahl junge Frauen zwischen 18 und 34 Jahren, die Täter meist älter. Mehr als ein Drittel der Täter gehen keiner geregelten Arbeit nach, der soziale Status ist gering. Die durchschnittliche Zahl der „Ehrenmorde“habe jedoch nicht zugenommen, lediglich das Bewusstsein sei sensibilisiert durch zunehmendes Medieninteresse.
Roswitha Elben-Zwirner, Geschäftsführerin des Vereins Frauen und Kinder in Not und Leiterin des Frauenhauses Ravensburg, sieht täglich die Verunsicherung und Not von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch sie kennt die öffentliche Wahrnehmung, die meint, Frauenverachtung und sexualisierte Gewalt würden von ausländischen Männern importiert – vor allem von Geflüchteten aus den arabischen Ländern. Im Jahresbericht 2017 steht dazu: „Fakt ist: Sexualisierte Gewalt und Übergriffe gab es in der Bundesrepublik schon immer.“Studien zeigten, dass es kein eindeutiges Täterprofil gebe, sich Gewalt durch alle Milieus ziehe. Grundsätzlich gelte, dass Menschen, die in Verhältnissen aufwachsen, in denen Gewalt und Frauenverachtung zum familiären Alltag gehören, dieses Verhalten eher übernehmen. Unabhängig von Herkunft oder Religion.
Frauenhaus bietet Hilfe
Im vergangenen Jahr waren 40 Prozent der Frauen, die wegen eines Polizeieinsatzes oder zu einer Anzeige im Frauenhaus beraten wurden, Migrantinnen. Sprich von 83 Frauen landkreisweit wandten sich 33 geflüchtete Frauen hilfesuchend ans Frauenhaus. „Es geht immer um Macht und Kontrolle“, weiß Elben-Zwirner aus ihrer mehr als 15-jährigen Berufserfahrung. Für Männer mit muslimischem Glauben gebe es beispielsweise nach einer traditionellen Imam-Hochzeit die Möglichkeit, sich durch dreimaliges Aussprechen von „Ich will dich nicht“unkompliziert von der Frau zu trennen. Für Frauen offenbar jedoch nicht. „Es herrscht schlicht keine Gleichberechtigung“, so Elben-Zwirner. Es gebe ein anderes Beziehungsverständnis und andere Rollenmuster – die im Übrigen auch die Frauen verinnerlicht hätten. Und sich selten bewusst seien, dass es Hilfsangebote gibt, dass sie nicht in einem von Gewalt dominierten Zuhause leben müssen.
Auch Josef Hiller, Leiter der Außenstelle Ravensburg des Opferschutzvereines „Weißer Ring“und ehemaliger Polizist, kennt das Problem. Insgesamt 174 Opfer hat der Verein im vergangenen Jahr betreut, alleine 18 Frauen im laufenden Jahr wegen häuslicher Gewalt. Die Herkunft spielt zumindest in der Statistik keine Rolle. „Aber gewalttätige Ehemänner ausländischer Herkunft sind nicht neu“, sagt Hiller und verweist auf Heiratsmigrantinnen aus Asien, die vor etwa 30 Jahren nach Deutschland kamen, auf russische oder andere osteuropäische Frauen, die vor 20 Jahren mit Männern mit „enormer Gewaltdimension“nach Deutschland kamen. Und schließlich auch oft beim „Weißen Ring“um Beistand, Betreuung und Unterstützung in materiellen Notlagen gebeten haben. „Die türkischen Frauen fassen langsam den Mut und erheben sich“, gibt er seine Beobachtung wieder. Dass nun verstärkt Migrantinnen aus arabischen Ländern Opfer sind, das habe jedoch nichts mit Religion zu tun. Sondern mit gewaltbereiten Männern.
„Die Frau hat sich nach deren Vorstellungen dem Mann als Bestimmer unterzuordnen“, sagt Uwe Stürmer im Hinblick auf die Traditionen in arabischen Familien. Sei der Mann in den Herkunftsländern unangefochtener Herrscher und Gebieter, so lebe er hier eventuell ohne Arbeit, genieße einen nur geringen sozialen Status. Gleichzeitig sehe er seine Töchter in einem christlich-weltlichliberalen Klima aufwachsen, sich schminken, mit Klassenkameraden treffen und den tradierten Wertevorstellungen zunehmend entgleiten. „Die Durchsetzung und den Erhalt dieser überkommenen Traditionen und Werte verlangen vom Familienoberhaupt dann aus dessen Sicht traditionsgemäß entsprechende Antworten“, versucht Stürmer das Ausmaß der Zerrissenheit der potenziellen Täter zu erklären. Dabei dürfe es aber kein „falsches Verständnis“oder gar Recht im Unrecht geben, die geltenden Gesetze müssen konsequent angewendet werden.
„Strafrabatte“, wie ehedem in der Rechtssprechung in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen oder Berlin zu solchen Bluttaten, bei denen Täter mildere Urteile erhalten hatten, dürfe es einfach nicht geben. „Hier muss klare Kante gezeigt werden“, sagt Uwe Stürmer. „Auf deutschem Boden darf man sich nicht so verhalten, und selbstverständlich ist das Grundgesetz nicht verhandelbar.“
„Die türkischen Frauen fassen langsam den Mut und erheben sich.“Josef Hiller, Leiter der Außenstelle Ravensburg des Opferschutzvereins „Weißer Ring“