Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Erinnerung­sstück für Zuhause

- Von Roland Weiß

Die heutige Kirchenpfl­egerin Pia Litz-Kehr war zur Bauzeit ein Teenager und stand vor Barnsteine­rs an der Straße, als Kehlens Kirchturm fiel: „Das war ein ganz seltsames Gefühl. Erst mit dem Turm war auf einmal die Kirche weg. Das Wahrzeiche­n Kehlens war nicht mehr da. Der Ort, an dem wir unseren Glauben gelebt hatten. Danach folgte die Baustelle, wo Riesenhald­en von kleinen, leichten ,Kügele’ lagerten, die im Beton verarbeite­t wurden. Von Leichtbeto­n hatten wir bis dahin noch nie etwas gehört, und daraus sollte eine Kirche gebaut werden? Auch an die Grundstein­legung erinnere ich mich noch gut. Unser Schülercho­r hat mit dem Kirchencho­r gesungen, im Kirchenneu­bau, der nur Außenmauer­n hatte und kein Dach über dem Kopf. Damals erfolgte ein großer Umbruch vom traditione­ll Alten zu Neuem, nicht nur am Bau, auch in der Liturgie und im kirchliche­n Leben. Der Blick war zukunftsor­ientiert und weltoffen. Pfarrer Guntram hat die Vorgaben des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils zu 150 Prozent umgesetzt. Auf einmal stand der Pfarrer hinterm Altar und nicht mehr mit dem Rücken zu den Leuten. In der neuen Kirche wurden moderne Lieder und sogar einmal eine Jazzmesse gesungen. Mit der neuen Jugendgrup­pe unternahm Pfarrer Guntram Reisen oder Kulturfahr­ten. Von da an gab es auch einen Pfarrgemei­nderat.“

Walter Kühnle

war damals Hoffotogra­f von Kirche und Gemeinde, so wurde er genannt. Überall war er dabei, wenn sich etwas tat in Kehlen: „Diese alte Kirche würde man heute nie mehr abreißen. Die Mauern sind gar nicht leicht gefallen. Aber in die Ortsmitte wollte Pfarrer Guntram damals nicht ausweichen für eine neue Kirche. Teils herrschte große Traurigkei­t unter den Leuten. Weg war das Hoimelige der alten Kirche, und das Neue haben oft nur die Jungen akzeptiert. Aber die Rettung der Orgel hat viele wieder mit dem neuen Bau versöhnt. Ganz viele haben sich ein Erinnerung­sstück mit nach Hause genommen. Oft war es nur ein kleiner Steinsbroc­ken. Wir haben aus Kirchenbän­ken einen Werkstattb­oden für eine Flaschnere­i gebaut, die heute noch darauf steht. Der Blick über den Tellerrand war für viele schwer. Auch dass es kein Kreuz an der Kirche mehr gab, war ein Streitpunk­t, der bald nach Guntrams Weggang behoben wurde. Kirchengem­einderat Georg Kramer hat sich dafür stark gemacht und mit Pfarrer Hans Hänßlers Hilfe hing schon bald wieder ein Kreuz an der Kirche. Und das war sogar beleuchtet.“

war 1968 Mitglied in der Ortskirche­nsteuerver­tretung, die mit dem Kirchensti­ftungsrat den heutigen Kirchengem­einderat bildete: „Wir waren bei allen Arbeiten dabei, bei der Pflege des Kirchenwal­ds und natürlich beim Abriss und Neubau der Kirche. Kurz zuvor kam damals Pfarrer Guntram auf mich zu. ,Du bist doch Schreiner’, sagte er und bat mich mit drei weiteren Männern, die er mir zur Verfügung stellte, das Gehäuse der Orgel abzubauen. Das haben wir gerne übernommen. Die Pfeifen waren schon beim Orgelbauer. Natürlich wurde damals auch viel Geld gebraucht. So haben meine Frau Maria und ich 16 Jahre lang den Losstand beim Basar organisier­t und immer das ganze Jahr über dafür gebastelt. Auch ein Verenaflie­s, wie es heute in der Kirche liegt, haben wir Räte damals alle eines gekauft. Pfarrer Guntram hat viel vorangebra­cht, war fortschrit­tlich und sehr aufgeschlo­ssen.“(wie)

Bruno Fuchsloch

KEHLEN - Im Oktober vor 50 Jahren ist die katholisch­e Kirche St. Verena eingeweiht worden – was Kehlens Kirchengem­einde im September beim Verenafest beging. Das moderne Gotteshaus suchte in Oberschwab­en damals seinesglei­chen – und war für so manche Debatte gut gewesen. Dies sowohl im Mai 1965, als der Kirchensti­ftungsrat den Abbruch der alten Kirche beschloss, als auch im März 1967, als der Backsteinb­au teils gesprengt, teils abgerissen wurde.

 ??  ?? Licht und Schatten – unterschie­dlich ist Kehlens Kirche in der Anfangspha­se gesehen worden. Von dem modernen Bauwerk überzeugt war Pfarrer Guntram.
Licht und Schatten – unterschie­dlich ist Kehlens Kirche in der Anfangspha­se gesehen worden. Von dem modernen Bauwerk überzeugt war Pfarrer Guntram.
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Pia Litz-Kehr
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FOTOS: WIE Bruno Fuchsloch
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Walter Kühnle

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