Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nagelsmann darf schon für Leipzig planen
Wieso Wechsel des Trainers von der TSG zu RB fast geplatzt wäre – Mittwoch Duell im DFB-Pokal
SINSHEIM - Mit der Realität ist es ja immer so eine Sache. Wahrnehmungen unterscheiden sich – oft nur um winzige Nuancen, manchmal aber auch – um im Bilde zu bleiben – um ganze Fußballfeldgröße. Hört man ausschließlich die Worte von VfBPräsident Wolfgang Dietrich, könnte die Welt anscheinend nur wenig schöner sein. Die Mannschaft? Sportvorstand Michael Reschke habe mit den sieben Neuzugängen „einen sehr ausgewogenen Kader zusammengestellt“. Die aktuelle Lage? „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass wir mit diesem Kader die Saison sehr gut bewältigen können.“Und die Zukunft? Das Ziel stehe fest: „in den nächsten drei Jahren im ersten Drittel der Tabelle“zu sein, sagte Dietrich im Sport1-Doppelpass.
Dass seine Mannschaft tags zuvor gegen die TSG Hoffenheim die zweite 0:4-Klatsche binnen einer Woche kassiert hatte, derzeit Tabellenplatz 17 abonniert hat und auch der Effekt des Trainerwechsels zu Chefcoach Markus Weinzierl verpufft scheint, möchte der Präsident vielleicht aber auch einfach nicht wahrhaben. Die übrigen Beteiligten dagegen scheinen unisono den Ernst der Lage vor Augen zu haben. „Brutal“war das Wort, das in jeder Aussage Verwendung fand. „Der Fußball ist in dieser Saison sehr brutal zu uns. Wir kriegen im Moment die volle Breitseite!“, klagte Stürmer Mario Gomez nach vier Gegentoren innerhalb von nur 12 Minuten. Die Schwaben stehen mit dem schlechtesten Bundesliga-Start der Clubgeschichte (fünf Punkte aus neun Spielen und ein Torverhältnis von minus 15) zusammen mit Fortuna Düsseldorf am Tabellenende. Joshua Brenet (48. Minute), Joelinton (51.) und zweimal Ishak Belfodil (57./ 60.) hatten mit ihren Toren für den Champions-League-Teilnehmer aus dem Kraichgau den VfB zerlegt.
Weinzierl stand zu dem Zeitpunkt längst reglos an der Seitenlinie oder verkroch sich auf seinem Stuhl. „Das hat uns natürlich brutal getroffen, wenn du 82 Minuten in Unterzahl spielst“, kommentierte der 43-Jährige den Platzverweis von Emiliano Insúa. „Der Mannschaft fehlt ein Erfolgserlebnis, ihr fehlt das Selbstverständnis und die Leichtigkeit.“Aber sein Team stelle sich der schwierigen Situation: „Es geht weiter.“
Was soll ein Trainer in solch einer Situation auch anders sagen. Vor allem einer, der erst seit zwei Spielen im Amt ist, vor weitreichenden Taktikveränderungen nicht zurückschreckt, bereits jetzt aber etwas angeknockt scheint. Die Karte Trainerwechsel hat der VfB sehr früh gezogen – der Effekt gleich null. Dass es vielleicht zu früh war, muss sich Reschke nun fragen lassen. Dass gerade gegen die Champions-LeagueTeams von Borussia Dortmund oder eben aus Hoffenheim der Bock umgestoßen werden könnte, war ja nicht unbedingt abzusehen. Ein Einstieg vor dem Duell gegen Eintracht Frankfurt wäre wohl dankbarer und für alle schmerzfreier gewesen. „Wir haben vorher schon bewusst gesagt, dass es ein Einstieg ist, bei dem du als Trainer den Mumm haben musst. Leider Gottes wartet jetzt mit Frankfurt die nächste große Herausforderung“, sagte Reschke mit Blick auf den Lauf der Hessen.
Aber auch dem Sportvorstand fielen nach der höchsten Derby-Niederlage nur Durchhalteparolen ein. „Fakt ist, dass erst ein Viertel der Saison gespielt ist. Fakt ist auch, dass wir nach wie vor von der Mannschaft überzeugt sind.“Das Problem ist, dass gerade diese Mannschaft zwar eine ordentliche erste Halbzeit ablieferte, mit Christian Gentner und Erik Thommy agressiv kämpfte und zu Chancen kam, nach der Pause und den schnellen Gegentoren aber komplett auseinander brach.
„Spieler sind richtig angeknockt“
Die Verunsicherung scheint das größte Problem. Die lange Verletztenliste ein weiteres. „Der Mannschaft fehlt ein Erfolgserlebnis, ihr fehlt das Selbstverständnis und die Leichtigkeit“, hat Weinzierl erkannt. Schon auf dem Platz war ab der 60. Minute eine laufende Galerie der ratlosen und enttäuschten Gesichtsausdrücke zu bewundern. Und so saßen in der Kabine hinterher eben nicht selbstbewusste Kicker, sondern sichtlich angegangene Fußballer. Dass sich mit Torwart Ron-Robert Zieler nur ein Akteur direkt am Anschluss stellte, sprach ebenso Bände. „Die Spieler hat das schon getroffen und angeschlagen, zwei mal 0:4 kostet richtig Substanz“, so Reschke, der sich vor der Saison sicher war, dass der VfB Stuttgart nichts mit dem Abstieg zu tun haben wird – „da lege ich mich fest“. Nach gut einem Viertel der Spiele ist das Makulatur.
„Es geht um nichts anderes mehr als mit dem VfB Stuttgart auch nächste Saison 1. Bundesliga zu spielen“, sagte Reschke und wandte sich an die Fans, die ihr Team mit Pfiffen verabschiedet hatten. „Ich kann wirklich nur appellieren: Gebt nochmal Gas. Schenkt der Mannschaft das Vertrauen.“Torwart Zieler meinte: „Langsam sollte auch der Letzte realisiert haben, dass wir erstmal voll gegen den Abstieg kämpfen.“Da kannte er die Aussagen von seinem Boss Dietrich allerdings noch nicht. SINSHEIM - Es ist nicht unbedingt als Kompliment des Gegners anzusehen, wenn eine Mannschaft ein Spiel locker austrudeln lässt. Doch war das beim 4:0 (0:0) der TSG Hoffenheim gegen den VfB Stuttgart der Fall. „Wir konnten dann schon einen Gang rausnehmen und Körner sparen“, sagte Abwehrspieler Kevin Vogt. Doch zeigte die TSG vier Tage nach dem furiosen 3:3 in der Champions League gegen Olympique Lyon und vier Tage vor dem DFB-PokalDuell bei Nagelsmanns künftigem Club RB Leipzig eine zerfahrene erste Halbzeit. Dass es nicht so weiter ging, lag wieder einmal auch an Trainer Julian Nagelsmann. „Der Coach hat mit uns in der Halbzeit sehr gut gesprochen und zwei bis drei Optionen mehr mitgegeben. Den Unterschied hat man dann gesehen“, erläuterte Doppeltorschütze Ishak Belfodil. Doch ist der designierte LeipzigTrainer Nagelsmann mit der TSG eben auf Abschiedstour.
Dass diese Verbindung durchaus auf wackeligen Beinen stand, verriet Ralf Rangnick der „Welt am Sonntag“. „Weil man im Fußball und gerade in einer Stadt wie Leipzig den Leuten nicht sagen kann, wir machen jetzt ein Übergangsjahr“, sagte RBSportdirektor und Trainer in Personalunion. „Wenn es sechs Jahre lang eigentlich immer nur bergauf ging bis hin zur Champions League und zur Europa League, dann kannst und möchtest du das auch nicht vermitteln“, erklärte Rangnick, der bis Juli 2019 den Platz warm hält, seine Doppelrolle jedoch auch kritisch sieht: „Für mich als Einzelperson ist es bestimmt mit einem gewissen Risiko verbunden. Du bist als Trainer kurzfristig angreifbarer als ein Sportdirektor“, sagte Rangnick.
Schon jetzt will der 60-Jährige bei Bedarf mit dem 31-Jährigen über die Kaderplanung reden. Generell sei das zwar nicht vorgesehen. „Aber natürlich, sollten wir in der Winterpause an den Punkt kommen, wo wir über die Verpflichtung eines Spielers für den kommenden Sommer entscheiden, würden wir das nicht komplett über seinen Kopf hinweg tun“, sagte Rangnick. Mit seinem Wunschkandidaten könne es dann auch gerne zu harten Auseinandersetzungen kommen. „Hinter verschlossenen Türen dürfen gerne mal die Fetzen fliegen. Was spricht dagegen?“, sagte Rangnick. Auch mit den früheren Trainern Alexander Zorniger und Ralph Hasenhüttl habe es kontroverse Diskussionen und Reibungspunkte gegeben: „Das wird mit Julian Nagelsmann nicht anders sein.“
Am Mittwoch treffen die beiden Clubs in der zweiten Runde des DFBPokals in Leipzig aufeinander. Und Rangnick ist sich sicher: „Es wird eines der Highlight-Spiele.“