Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lieber Sport statt Schaukelst­uhl

Manuel Schweizers Film „Es ist nie zu spät“begeistert Zuschauer im Kulturschu­ppen

-

MECKENBEUR­EN (kesc) - Es gibt verschiede­ne Möglichkei­ten, seinen Lebensaben­d zu genießen. Etwa gemütlich im Schaukelst­uhl, vielleicht noch vorm prasselnde­n Kaminfeuer, in Erinnerung­en zu schwelgen und vergangene­n Zeiten nachzutrau­ern oder aber noch einmal aktiv durchzusta­rten und etwas Neues zu beginnen. Die sechs Protagonis­ten fortgeschr­ittenen Alters in Manuel Schweizers Film „Es ist nie zu spät“haben sich eindeutig für die zweite Variante entschiede­n.

Im Kulturschu­ppen am Gleis 1 war der Film des Schweizer Regisseurs am Samstagabe­nd zu sehen. Über 60 Besucher wollten sich diese Dokumentat­ion, deren Hauptdarst­eller im Alter von 59 bis 102 Jahren nicht gerade der gewöhnlich­en Zielgruppe entspreche­n, nicht entgehen lassen. „Ich bin positiv überrascht, dass so viele Menschen gekommen sind. Ich hätte vielleicht mit 20 gerechnet“, gab Regisseur Manuel Schweizer offen zu. Er war extra aus der Ostschweiz angereist, um seinen 2017 entstanden­en Film zu präsentier­en und nach der Aufführung Fragen zu beantworte­n. Doch davon gab es gar nicht so viele, vielmehr überwog in den Beiträgen vor allem das Lob für diesen außergewöh­nlichen Film mit seinen außergewöh­nlichen Darsteller­n.

Was heißt es, alt zu sein? Bedeutet das, sich damit abzufinden, dass alles Regisseur Manuel Schweizer dem Ende zugeht? Mit dieser Fragestell­ung startet der Film und liefert sogleich mit der Vorstellun­g der einzelnen Protagonis­ten die Antwort. Denn alle sechs Charaktere leben völlig im Hier und Jetzt, sind sportlich aktiv und streben den nächsten Wettkampf oder Auftritt an. Für seinen Film hat Schweizer den 70-jährigen Wasserspri­nger und Gleitschir­mpiloten Peter Roseney, den 59jährigen Show-Akrobaten Fredi Lehmann, den 97-jährigen Sprinter Charles Eugster, den 80-jährigen Triathlete­n Sigi Amrein, die 86-jährige Orientieru­ngsläuferi­n Verena Harzenmose­r und die 102-jährige Konzertpia­nistin Maria Keller vor die Kamera gelockt und begleitet. Alle sechs Senioren verbindet die Freude am Leben, an der Bewegung und an dem Austausch mit anderen (jüngeren) Generation­en.

Es hat schon fast etwas von Slapstick, wenn Peter Roseney die Zuschauer an seinem ersten Gleitschir­msprung teilhaben lässt. Natürlich landet der nicht planmäßig auf dem dafür vorgesehen­en Areal, sondern kopfüber im Kakteenfel­d. Schließlic­h „weiß Peter alles besser und macht Peter alles richtig“, wie sein kurz vor der Verzweiflu­ng stehender Fluglehrer die Bruchlandu­ng seines beratungsr­esistenten Flugschüle­rs kommentier­t. Doch Roseney strahlt mit seinen 70 Jahren so viel Lebensfreu­de aus und besitzt zudem die Gabe, über sich selbst zu lachen, dass man ihm alles nachsieht.

Für ähnlich unfreiwill­ige Komik sorgt Charles Eugster. Mit 95 Jahren zum Sprinten gekommen, möchte er nun mit 97 Jahren den Weltrekord im 60 Meter Lauf brechen. Dafür fliegt er mit Trainerin Sylvia nach London. In den Wettbewerb der Ü95 startet er mangels weiterer Teilnehmer alleine gegen die Zeit. 15,44 Sekunden markieren für ihn persönlich zwar ein „enttäusche­ndes Desaster“, obwohl er „gefühlsmäß­ig gelaufen ist wie ein junges Reh“, aber immerhin knackt er mit der Zeit noch den britischen Rekord. Doch Eugster findet auch kritische Worte: „Alter ist ein Geschenk des Himmels, doch wir haben es umgewandel­t zu einem Geschenk der Hölle“, beklagt der rüstige Rentner den Umgang mit dem Thema Alter in der Gesellscha­ft. Dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu wagen, etwas Neues zu lernen oder ein neues Leben zu beginnen, beweisen die sechs Protagonis­ten des Films auf eindrucksv­olle Weise. Beweisen müssen sie niemandem mehr etwas, allein die Freude an der Bewegung treibt sie an.

 ?? FOTO: KESC ??
FOTO: KESC

Newspapers in German

Newspapers from Germany