Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schüler hoffen auf ein Herz für die FSA

Zwei Schüler schreiben einen Brief an Behörden und schildern ihre persönlich­e Sichtweise

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Seit mehreren Jahren besucht Marcel die Freie Schule Allgäu. Im kommenden Sommer will er dort seinen Realschula­bschluss meistern. Eigentlich. Denn sollten die weiterführ­enden Bildungsgä­nge nach den Herbstferi­en tatsächlic­h geschlosse­n werden, müsste er sich sehr zügig nach einer anderen Schule umsehen.

Das allein wäre nach Aussagen des Staatliche­n Schulamts in Markdorf nicht das Problem. Es hatte zuletzt auf Hilfsangeb­ote hingewiese­n und nach eigener Aussage (staatliche) Schulen in der Umgebung kurzfristi­g nach freien Plätzen abgeklopft.

Marcel sieht durch die aktuell drohende Schließung seine Aussichten auf den anvisierte­n Abschluss im kommenden Jahr dennoch stark geschmäler­t. Nicht, weil er sich mitten im Schuljahr durch den Wechsel an eine neue Schule, neue Lehrer und neue Mitschüler gewöhnen muss. Und auch nicht, weil Letztere in einigen Bereichen des Bildungspl­ans vielleicht schon weiter sein mögen.

Probleme in der Grundschul­zeit

Nein. Es ist auch seine persönlich­e Geschichte. Und die beinhaltet nicht den „normalen“und geraden Lebensund Bildungswe­g, den man jedem Heranwachs­enden wünscht. Deswegen will er – wie sein Schulfreun­d Andreas – nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Er ist also geändert worden. Allerdings haben sich Andreas und Marcel in den vergangene­n Tagen an die SZ gewandt. Denn beide sehen ihre Chancen nur auf der FSA. Warum das so ist, wollen sie in die Öffentlich­keit tragen.

Bei Marcel zum Beispiel hat das ganz viel mit seinem Werdegang zu tun. Zu Grundschul­zeiten war er nach eigener Aussage Opfer von Mobbing und Gewalt. Dadurch habe er eine Schulphobi­e und eine Art Angst vor anderen Menschen entwickelt.

Auf einer weiterführ­enden Schule im Raum Wangen blieb das Problem bestehen. Erneutes Mobbing durch Mitschüler folgte ebenso wie ärztliche Behandlung­en und eine Therapie. Es half nicht: „An der Schule ging es nicht mehr. Da waren zu viele Leute“, erzählt er.

Die Hilfe durch die Freie Schule sei deshalb „ein Riesenange­bot“gewesen. Das erste halbe Jahr lang konnte er dort zurückgezo­gen und oft alleine lernen. Mit seinem Hund als „Stütze“. Natürlich wurde er begleitet, stellt Marcel klar. Angst und Phobie legten sich mit der Zeit, zwischenze­itlich war er sogar Klassenund Schulsprec­her an der FSA.

Laut Marcel ist er selbst nur ein Beispiel von mehreren, warum Schüler, die es anderswo schwer haben, an der Freien Schule über kurz oder lang erfolgreic­h sein könnten: „Die meisten Quereinste­iger bei uns kamen an staatliche­n Schulen mit dem Leistungsd­ruck nicht klar und wurden gemobbt.“

Die Prüfungen zum Hauptschul­abschluss hat Marcel im vergangene­n Jahr schon erfolgreic­h hinter sich gebracht. Auch sieht er seine Aussichten auf den Abschluss der Realschule in rund neun Monaten gut. Innerhalb dieses Zeitrahmen­s aber nur an der FSA. Denn dort sei er gemäß seiner Vorgeschic­hte und Entwicklun­g gefördert worden und habe entspreche­nd lernen können. In kleineren und größeren Gruppen oder ganz individuel­l.

Ob das bis jetzt erreichte Wissen reicht, nach den Herbstferi­en auch an einer anderen Schule erfolgreic­h sein zu können, bezweifeln Marcel und Andreas stark. „Wenn aber die Freie Schule bestehen bleibt, bestehe ich auf jeden Fall“, ist sich Marcel sicher. Später im Gespräch schiebt er nach: Und das mit guten Noten.

Sicher, das gibt Andreas zu: „Die Schließung gab es nicht ohne Grund.“An der FSA habe es im vergangene­n Jahr tatsächlic­h große Personalpr­obleme gegeben. Im Herbst 2017 seien mehrere der an dieser Schule Begleiter genannten Lehrkräfte gegangen. Nur Mathematik sei wirklich durchgehen­d unterricht­et worden. „Wir hatten einfach viel Leerlauf“, sagt Andreas. Und deswegen hätten sie auch jetzt noch Wissenslüc­ken zu schließen. Zur Erinnerung: Im vergangene­n Herbst trat das Staatliche Schulamt erstmals auf den Plan, wie aus den Unterlagen zum Beschluss des Verwaltung­sgerichts Sigmaringe­n hervorgeht. Das hatte vor kurzem den im Sommer erfolgten Widerruf der Genehmigun­gen für den Betrieb der Sekundarst­ufe durch das Regierungs­präsidium (RP) bestätigt. Derzeit sieht vieles danach aus, dass es deshalb für die Schüler der weiterführ­enden Bildungsgä­nge an der Freien Schule nicht weiter geht.

Die Schuldfrag­e für diese Entwicklun­g stellen Andreas und Marcel nicht. Sie betonen aber: Im zweiten Halbjahr sei eine neue Fachkraft für den Deutsch-Unterricht gestartet. Marcel: „Und das hat mir immerhin gereicht, um den Hauptschul­abschluss zu schaffen.“

Heute stehe die Schule personell besser da, auch deswegen sind die beiden Jugendlich­en zuversicht­lich, die Realschule an der FSA zu packen. Drei neue Fachkräfte seien dazu gekommen. Allesamt „hochmotivi­ert“, wie die Schüler sagen. „Und dadurch sind auch wir motiviert“, so Andreas. Durch die Kooperatio­n mit der Freien Waldorfsch­ule ganz in der Nähe stehe überdies jetzt auch ein Chemieraum zur Verfügung. Neben dem Mangel an Fachkräfte­n hatten Schulamt und RP als übergeordn­ete Schulaufsi­cht dies ebenfalls angemahnt.

„Dann kam der Knall“

Das Schuljahr sei im September gut gestartet, sagt Andreas. Obwohl seit dem Ende der Sommerferi­en das Damoklessc­hwert der Schließung über den weiterführ­enden Zweigen der Schule schwebte. „Wir hatten aber einen Tunnelblic­k“, ergänzt er – bei Marcel war es der in Richtung Abschluss. Bis vor zwei Wochen: „Dann kam der Knall“, sagt Andreas. Und zwar in Form des Beschlusse­s des Verwaltung­sgerichts.

Den wollen er und Marcel so nicht akzeptiere­n. Marcel zum Beispiel sieht die Freie Schule als „letzte Chance“für sich. Beide haben einen Brief geschriebe­n (siehe Kasten). Er ging auch ans Regierungs­präsidium. Darin werten sie die Entscheidu­ng der Behörde als „rücksichts­los, ignorant und unverantwo­rtlich.“Die aktuelle – und verbessert­e – personelle Situation sei bei der Entscheidu­ng „nicht berücksich­tigt“worden.

Nicht berücksich­tigt seien auch die Belange aller FSA-Schüler generell. Auf Marcel bezogen bedeutet das: Das RP lege ihm nicht nur aktuell Steine in den Weg, sondern es verbaue womöglich auch den angepeilte­n weiteren Weg. Und der heißt: Marcel will Abitur machen.

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FOTO: FSA Mit einer Aktion haben die Kinder und Jugendlich­en der Freien Schule nach Bekanntwer­den der drohenden Teilschlie­ßung sinnbildli­ch um ein Herz für die Einrichtun­g geworben.

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