Schwäbische Zeitung (Tettnang)

US-Demokraten hoffen auf Anti-Trump-Welle

Bislang beherrscht die Republikan­ische Partei beide Kammern

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Es wäre der erste Sieg seit 1988

Am 6. November will der 46-Jährige O’Rourke die Senatswahl in Texas gewinnen. Gelänge ihm das, wäre es ein echter Coup, denn 1988 haben die Texaner zum letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikan­ische Amtsinhabe­r, war beim Kandidaten­rennen vor zwei Jahren Donald Trumps schärfster innerparte­ilicher Rivale gewesen. Ein wortstarke­r Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservati­v, weiß er das Gros evangelika­ler Christen auf seiner Seite, eine Macht, gerade in Texas. Cruz ist und bleibt Favorit. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des Lone Star State, befinde sich auf einem politische­n Selbstmord­trip.

O’Rourke schreckt das nicht ab. Bis zum Ende des Wahlrennen­s will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaa­ts Texas mindestens einmal besucht haben. Er fahre auch in Landstrich­e, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könne, scherzt er. Rot ist die Farbe der Republikan­er, und wenn ihm die Profis der Politikber­atungsbran­che WASHINGTON (AFP) - Zur Amtshalbze­it von Donald Trump wird der US-Kongress neu gewählt. Für den weiteren Verlauf seiner Präsidents­chaft sind die Wahlen am Dienstag von fundamenta­ler Bedeutung.

Wer und was gewählt wird:

Alle 435 Sitze im Repräsenta­ntenhaus werden neu besetzt sowie 35 der 100 Sitze im Senat. Bislang beherrscht Trumps Republikan­ische Partei beide Kammern.

Wie die Verhältnis­se sind:

Im Repräsenta­ntenhaus haben die Republikan­er derzeit 236 Mandate, die opposition­ellen Demokraten 193. Sechs Sitze sind wegen fünf Rücktritte­n und eines Todesfalls unbesetzt. entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservati­ves Milieu nur seine Zeit verschwend­e, erwidert er ungerührt: „Aus diesem Grund habe ich keinen politische­n Berater in meinem Team.“Texas ist ein Riesenstaa­t: Man braucht beispielsw­eise elf Stunden, um von O’Rourkes Heimatstad­t El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen. Man kann also ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Trotzdem will O’Rourke immer wieder vermitteln: Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizt­en politische­n Klima der USA.

Am Del Mar College ist das wohl auch so. Im Theatersaa­l findet sich kein freier Sitzplatz mehr, lange bevor der Kandidat auf die Bühne, nun ja, rollt. „Beto for Senate“steht auf Plakaten. Kein Familienna­me, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert, seine Familie hat irische Wurzeln, Einer der vakanten Plätze ist den Demokraten bereits sicher. Ihre Kandidatin Rashida Tlaib aus dem Bundesstaa­t Michigan hat keinen republikan­ischen Konkurrent­en und wird als erste muslimisch­e Frau in den Kongress einziehen. Unter dem Strich müssen die Demokraten also noch 24 zusätzlich­e Mandate für die Mehrheit gewinnen.

Im Senat haben die Republikan­er hingegen nur eine hauchdünne Mehrheit von 51 der 100 Sitze. Von den 35 zur Wahl stehenden Mandaten gehören 26 bislang der Opposition. Um die Mehrheit zu erringen, muss sie diese Sitze möglichst allesamt verteidige­n sowie den Republikan­ern mindestens zwei Mandate abringen. doch sein spanisch eingefärbt­er Spitzname klingt interessan­ter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich damit bei den Latinos anbiedern, die wohl irgendwann die Bevölkerun­gsmehrheit in Texas bilden werden.

„Wir richten uns gegen niemanden, und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist. Für die Vereinigte­n Staaten von Amerika.“Wenn er redet, grundsätzl­ich frei, rudert O’Rourke mit den Armen. Bei dieser Wahl gehe es nicht um Nuancen, sondern um Grundsätzl­iches. Um den Charakter der Nation. Wer man sein wolle, darum gehe es. Doch wohl sicher kein Land, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Trumps geschehen sei. O’Rourke sagt: „Was an der Grenze passiert, das sind nicht wir, das kann nicht unser Land sein.“

Was die Experten sagen:

Die Wahl dürfte in hohem Maße zur Abstimmung über Trump werden, der die US-Bevölkerun­g polarisier­t wie selten zuvor ein Präsident. Die Hoffnungen der Demokraten werden durch Trumps relativ schwache Popularitä­tswerte beflügelt. In der jüngsten Gallup-Umfrage sackte die Zustimmung zu seiner Amtsführun­g von 44 auf 40 Prozent ab.

Die Umfragen und Analysen geben den Demokraten bereits seit Monaten gute Chancen, zumindest das Repräsenta­ntenhaus zu erobern. Laut aktuellem Befund der Webseite realclearp­olitics.com besteht bei 43 der bisherigen republikan­ischen Sitze eine größere Chance, dass sie von den Demokraten gewonnen werden.

In seinem Programm fordert O’Rourke strengere Waffenkont­rollen, ohne privaten Waffenbesi­tz anzutasten, er will den staatlich garantiert­en Mindestloh­n auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Marihuana legalisier­en, bezahlbare Krankenver­sicherunge­n für alle.

Anstand als Markenkern

Edward Costley, ein Restaurant­besitzer, 52 Jahre alt, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikan­er, Demokraten, Libertäre. Die Konservati­ven, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freies Business, freien Handel. Bei Trumps Konservati­ven indes werde jeder Ideenstrei­t schnell persönlich, mit verbalen Schlägen unter die Gürtellini­e, deshalb baue er nun auf O’Rourke. Auf Anstand. Auf den Gegenentwu­rf. Die Studentin Zoe Perez, 18, erkennt Parallelen zu Barack Umgekehrt sind demnach nur fünf bisher demokratis­che Sitze in größerer Gefahr.

Die Eroberung des Senats ist hingegen eine wesentlich schwierige­re Aufgabe für die Demokraten. Es ist nicht einmal gesichert, dass sie ihre bisherigen Mandate allesamt verteidige­n können. Diese werden teilweise in konservati­v geprägten Bundesstaa­ten vergeben, die Trump vor zwei Jahren deutlich gewann.

Der auf Wahlanalys­en spezialisi­erte „Cook Political Report“sieht vier der bisherigen demokratis­chen Senatssitz­e akut auf der Kippe. Anderersei­ts haben sie zugleich konkrete Chancen, vier bisher von Republikan­ern gehaltene Mandate zu erobern. Obama. „Die klare Sprache, das Authentisc­he. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“

Anders als Obama stammt O’Rourke aus geordneten, zudem aus gut situierten Verhältnis­sen. Er konnte sich ausprobier­en, ohne ans Geldverdie­nen denken zu müssen. Während er an der prestigetr­ächtigen Columbia University in New York studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach der Uni machte er mal dies, mal jenes, eine Zeit lang transporti­erte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisi­ertes Fuhruntern­ehmen. Zurückgeke­hrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeve­rwaltung, sieben Jahre darauf ins amerikanis­che Repräsenta­ntenhaus. Dort profiliert­e er sich als einer, der auch mit Vertretern der Gegenparte­i kann.

O’Rourke hofft, übrigens ähnlich wie einst Trump, auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jüngeren, die bei den Kongresswa­hlen der vergangene­n Jahre größtentei­ls zu Hause geblieben waren. Selbst wenn er gegen Cruz verliert, dürfte er als potenziell­er Präsidents­chaftskand­idat des Jahres 2020 im Gespräch bleiben.

Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunde­n von Corpus Christi entfernt. Bevor er auf die Bühne eines Kongressze­ntrums eilt, beantworte­t O’Rourke noch schnell ein paar Journalist­enfragen. Warum er glaube, ausgerechn­et in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über ihr letztes Votum definieren lassen“. Texas, schiebt er hinterher, sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.

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