Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Praxis entscheidet über die Qualität
Gerold Abrahamczik erklärt in der Stiftung Liebenau den aktuellen Stand bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
MECKENBEUREN-LIEBENAU Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist seit Anfang 2017 in Kraft. Jetzt folgt die Umsetzungsphase auf kommunaler und Landesebene. Mit dem Systemwechsel von der pauschalen hin zur personenzentrierten Unterstützung kommt, nicht nur auf die Leistungsträger und Leistungserbringer, ein noch nicht absehbarer Aufwand zu. Auch für die Angehörigen und gesetzlichen Betreuer von Menschen mit Behinderungen ist dies der Fall. Gerold Abrahamczik, Sprecher des Beirates der Angehörigen im Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) informierte im Gallussaal der Stiftung Liebenau über den aktuellen Stand.
Abrahamczik, selbst Vater eines schwer mehrfachbehinderten erwachsenen Sohnes, war begeistert über den vollen Saal trotz der „schweren Kost“, heißt es in einem Presseschreiben der Stiftung Liebenau. Im Bereich der Umsetzung des BTHG ab 1. Januar 2020 auf Landesebene seien noch viele Punkte unklar. Für ihn sei daher sicher, dass es in der Anfangsphase auch zu Rechtsstreitigkeiten kommen werde. Der Deutsche Bundestag habe im Gesetz jedoch die Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen gestärkt: Unbestimmte Rechtsbegriffe im BTHG seien stets im Sinne der UN-Behindertenkonvention auszulegen.
Das BTHG hat zum Ziel, Menschen mit Behinderungen durch individuelle Unterstützung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Im Mittelpunkt steht die sogenannte Personenzentrierung. Die Fragen für den einzelnen Menschen mit Behinderung lauten künftig: Wo und wie will ich wohnen? Wie will ich leben? Wo will ich arbeiten? Wie will ich meine Freizeit verbringen?
„Informieren, informieren, informieren Sie sich“, sagte Abrahamczik. Neben unabhängigen Beratungsstellen liefern auch bestimmte Internetseiten aktuelle Infos. Wichtig sei es, die Anträge auf Grundsicherung und Eingliederungshilfe, und unter Umständen, auf Hilfe zur Pflege, rechtzeitig vor Ende des kommenden Jahres zu stellen. Erst ab dem Monat der Antragstellung würden Leistungen erbracht. Momentan könne man als Angehöriger noch nicht viel tun. „Schreiben Sie alles kleinteilig auf, was für Ihren Angehörigen wichtig ist. Mir ist wichtig, dass Sie sich auf die Bedarfsermittlung gut vorbereiten“, sagte Abrahamczik.
Die gravierendsten Veränderungen wird es im stationären Wohnen geben. Ab Januar 2020 ist jeder Mensch mit Behinderung selbst Mieter. Dafür bekommt er Grundsicherung für Miete, Mietnebenkosten und Essen. Die Fachleistungen – finanziert aus der Eingliederungshilfe – unterteilen sich in neun Lebensbereiche, unter anderem in Lernen und Wissensanwendung, Mobilität und häusliches Leben.
Die Ermittlung des jeweiligen persönlichen Bedarfs wird die große Herausforderung. „In Baden-Württemberg werden 33 Erprobungslandkreise mit je fünf Klienten Erfahrungen sammeln, darunter auch der Bodenseekreis“, sagte Christine Beck, Geschäftsleitung Bereich Wohnen der Stiftung Liebenau.
Gerold Abrahamczik ist nicht nur Sprecher der CBP, sondern auch des Sprecherkreises der Landesarbeitsgemeinschaft der Angehörigenvertretungen in Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen (LACB) sowie Mitglied im Elternund Betreuerbeirat der WfbM des Andreaswerks Vechta.