Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mit den Augen hören
Der Schüler Tim lernt bei seinem Orientierungspraktikum in der Kreativwerkstatt der Stiftung Liebenau einen anderen Umgang kennen
ROSENHARZ (sz) - Der 14-jährige Tim absolviert sein Schulpraktikum in der Kreativwerkstatt Rosenharz. Das Orientierungspraktikum in den 8. Klassen des Bildungszentrums Bodnegg dauert ein Jahr und findet jeden Dienstagnachmittag statt. Tim ist der Umgang mit Menschen wichtig. Er hat sich für ein Praktikum in der Tagesförderstätte der Stiftung Liebenau entschieden.
Die Kreativwerkstatt beschäftigt 15 Frauen und Männer mit hohem Unterstützungsbedarf, heißt es in einem Schreiben der Stiftung. Das gemeinsame Mittagessen und die Kaffeepausen gehören auch dazu. Tim sieht, wer Hilfe beim Essen benötigt, setzt sich dazu, schenkt Kaffee nach und gibt jedem die Zeit, die er braucht. Anschließend ist der Tisch abzuräumen. Die einen lassen sich zum Mitmachen motivieren, andere schieben Tim das Geschirr hin. Der Schüler kennt sie und weiß: nicht jeder Tag ist gleich. Mal sind sie ausgeglichen, mal sind sie ihren Gefühlswelten ausgeliefert. Dann verschließt sich der eine, andere müssen sich bewegen oder unentwegt reden.
Worte zählen nicht
Tim kommt gern nach Rosenharz. Auch weil sich jeder Dienstagnachmittag anders gestaltet. Viele begrüßen ihn spontan, manche brauchen Zeit, lassen nur ein stilles Einverständnis erahnen: „Ich bin da. Du bist da.“Für Tim sind die Künstler der Kreativwerkstatt ganz besondere Sprachexperten. Denn es gibt keinen gemeinsamen Wortschatz, der alles umfasst. Da jongliert jeder mit seiner Sprache – behutsam die einen, mit dem größten Vergnügen die anderen. Tim hat gelernt, mit den Augen zu hören, nicht die Worte zählen, sondern der vehemente Wunsch, sich mitzuteilen.
So kreativ wie ihre Sprache, so kreativ und bunt ist die Arbeit in der Kreativwerkstatt. Die Künstler sind geduldige Lehrer. Der Umgang mit Pappmaché ist ihnen vertraut und bei der Formgebung sind sie großzügig. Jedes Huhn, das sie mit Tim kneten und kleben, ist anders. Der Umgang mit Hammer und Nagel ist genauso wichtig, wie der Mut zum kreativen Tun. Tim hat gelernt, auf die Bedürfnisse der Künstler zu hören. Da gilt es auch mal still daneben zu sitzen. Beeindruckend gelassen ist sein Umgang mit den Frauen und Männern, die oft rast- und ruhelos sind: „Die Menschen sind mir wichtig.“Tim kommt ohne Vorbehalte. Das spüren die Künstler.