Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mays schwierigste Tage stehen bevor
Nach der EU-Einigung soll in 14 Tagen im Unterhaus über den Brexit abgestimmt werden – Viel Widerstand
LONDON - Zu Beginn der entscheidenden zwei Wochen ihrer Amtszeit hat die britische Premierministerin Theresa May das am Sonntag verabschiedete EU-Austrittspaket als „bestmöglichen und einzigen Deal“verteidigt. „Die Briten wollen nicht noch mehr Zeit mit Streit über den Brexit verschwenden“, sagte sie nach der Einigung in Brüssel und appellierte direkt an die Bevölkerung. Sie werde mit aller Macht für ein positives Votum im Unterhaus kämpfen, damit der Austrittsvertrag und die Erklärung über die zukünftige politische Zusammenarbeit in Kraft treten könnten.
Sollte die konservative Minderheitsregierung die für 10. Dezember geplante Abstimmung verlieren, wäre die Position der 62-jährigen May wohl entscheidend geschwächt. Neuverhandlungen schloss EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausdrücklich aus. Großbritannien und der Club der verbleibenden 27 EU-Staaten könnten höchstens auf bereits bestehende Modelle, etwa die Verträge mit Norwegen, zurückgreifen. Dem Vernehmen nach würde dies eine Gruppe von Kabinettsmitgliedern um Finanzminister Philip Hammond vorschlagen für den Fall, dass die jetzt getroffene Vereinbarung keine Mehrheit im Londoner Parlament findet.
May hingegen setzt auf die Dynamik, die durch den Vertragsschluss von Brüssel entstanden ist. Sie werde sich „mit Herz und Seele“in die bevorstehende Auseinandersetzung begeben, sagte die Regierungschefin. Offenbar will May auch mit Belohnungen locken: Einem EU-feindlichen Abgeordneten hat sie gerade zum Ritterschlag verholfen, einigen Gesinnungsgenossen wurden Sitze auf Lebenszeit im Oberhaus angeboten für den Fall, dass sie sich der Fraktionsdisziplin beugen.
May erwartet viel Gegenwind
Bisher haben etwa 40 bis 60 konservative Brexit-Ultras Nein-Stimmen angekündigt. Das Gleiche gilt für jene rund zehn Torys, die den EU-Verbleib für die bessere Option halten. Fraktionseinpeitscher versuchen nun, diese Abgeordneten wenigstens zu einer Enthaltung zu bewegen. Die Opposition aus Labour, Liberaldemokraten sowie schottischen und walisischen Nationalisten hat erklärt, man wolle geschlossen mit Nein stimmen. Die Hoffnung auf Labour-Abweichler, die aus Sorge vor dem Chaos-Brexit („no deal“) dem Brüsseler Paket zustimmen könnten, ist in den vergangenen Tagen geringer geworden. Am Sonntag teilte beispielsweise die zuvor schwankende Abgeordnete Lisa Nandy mit, sie werde May die Zustimmung verweigern.
Angekündigt hat dies auch die erzkonservative Unionistenpartei DUP aus Nordirland, die im Unterhaus der konservativen Regierung als Mehrheitsbeschafferin dient. Auf dem Parteitag in Belfast sagte DUPChefin Arlene Foster am Samstag, man müsse das Bündnis mit den Torys überdenken. Hinter vorgehaltener Hand reden führende DUP-Leute der Norwegen-Lösung das Wort. Den Unionisten ist vor allem daran gelegen, die Auffanglösung für Nordirland zu vermeiden, die im Austrittsvertrag festgeschrieben ist.
Diese würde den britischen Teil der grünen Insel auch über die Übergangsphase bis Ende 2020 hinaus in der Zollunion und dem EUBinnenmarkt halten, solange sich Brüssel und London nicht auf neue Modalitäten oder gar einen Handelsvertrag verständigen. Dadurch wird sichergestellt, daß die Grenze zur Republik im Süden wie bisher offenbleibt.
Ganz verloren scheint die Sache der Premierministerin nicht, wenn man der Londoner Wettfirma William Hill glaubt: Erstmals notierten Mays Chancen auf Erfolg besser als die Quote für ein Scheitern.