Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Den kleinen Zeh kreisen lassen
Die Adventszeit naht. Und bei älter werdenden Menschen wie dem Autor dieser Zeilen ist es so, dass hier auch die Erinnerungen zurückkehren, mit welchem Staunen und welcher Ehrfurcht man als Kind in die Adventszeit ging, als das alles noch neu war. Über allem aber thront die Erinnerung an Tante Anneliese und ihren kleinen Zeh.
Denn mit dem Duft von Spekulatius, von Advent, von Weihnachten kam auch die Vorfreude auf ein jährlich wiederkehrendes Großereignis. Natürlich waren die Besuche bei den Großeltern schön, die zahlreicher scheinenden Kerzen auf dem Adventskranz, das Feierliche, das sehnsüchtige Warten. Doch um diese Zeit war es immer, da begannen wieder die ersten eigenen zaghaften Versuche in unbeobachteten Momenten, ob man das Kunststück in einigen Wochen nicht vielleicht auch selbst zeigen könne.
Aus heutiger Sicht und mit der Erfahrung der Lebensjahre könnte man das, was vor vielen Jahren immer beim großen Weihnachtsessen der ganzen Familie bei den Großeltern passierte, mehr dem Alkohol als einer Verpflichtung zur Tradition zuschreiben. Irgendwann, die Teller waren beiseite geräumt, Flaschen füllten den Tisch, zog Tante Anneliese Schuh und Socke aus, legte ihren Fuß unter Wehklagen aller Erwachsenen auf den Tisch und ließ uns Kinder darüber staunen, dass sie den kleinen Zeh kreisen lassen konnte. Jedes Jahr um diese Zeit kehrt die Erinnerung zurück – an dieses erstaunliche Wunder der Weihnachtsnacht.