Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neuartige Hilfe für psychisch Erkrankte
Menschen mit eigener Psychiatrieerfahrung können sich zum Genesungsbegleiter ausbilden lassen
FRIEDRICHSHAFEN - Die Behandlung von psychisch Kranken ist Expertensache. Aber genügt das auch? Der Blick von Ärzten und Therapeuten auf die Krankheitsbilder kommt von außen. Anders als der von Rainer Schaff. Er hat wegen einer psychischen Erkrankung selbst Erfahrung mit der Psychiatrie gesammelt. Dazu steht er und er macht etwas daraus: Er ist Genesungsbegleiter für psychisch Kranke.
Mit seiner Innenperspektive kann er manche Erfahrungen von Menschen mit zum Beispiel einer Neurose vielleicht auf einer anderen Ebene verstehen als ein Therapeut. „Es ist sinnvoll, das Erfahrungswissen in die professionelle Psychiatrie mit einfließen zu lassen“, sagt er. Nicht in Konkurrenz zur psychiatrischen Medizin, sondern als Ergänzung zu ihr.
Dieser europaweite Ansatz verbreitet sich auch in Deutschland immer mehr. In Bremen fand 2006 der erste „EX-IN“-Kurs statt, in dem sich Betroffene zum Genesungsbegleiter ausbilden lassen konnten. Depressionen, Angststörung, Borderline, bipolare Störung, Schizophrenie, soziale Ausgrenzung – an Themenfeldern fehlt es nicht. „EX-IN“ist die Abkürzung für den englischen Begriff „Experienced Involvement“und bezeichnet die Einbeziehung von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung.
Am 10. Mai 2019 soll nun der erste EX-IN-Kurs in Friedrichshafen beginnen – im Zeppelin-Haus am See und im Don-Bosco-Haus. Angesprochen sind auch Interessierte aus Österreich und der Schweiz. Die Ausbildung zum Genesungsbegleiter verläuft in zwölf über den Zeitraum eines Jahres verteilten Wochenendkursen. Es gibt Teilnehmer, sagt Rainer Schaff, die danach eine Selbsthilfegruppe eröffnet haben. Andere machen die Genesungsbegleitung zum Beruf und arbeiten im Auftrag psychiatrischer Einrichtungen. „Das ZfP Südwürttemberg hat Bedarf für Genesungsbegleiter angemeldet“, sagt Rainer Schaff, der selbst auch Sprecher des Gemeindepsychiatrischen Verbundes Bodenseekreis ist. Zukünftige Arbeitsmöglichkeiten für Genesungsbegleiter sind sozialpsychiatrische Dienste, Begegnungsstätten oder Psychoedukationskurse.
Diese berufliche Perspektive ist wichtig, denn jeder der zwölf Wochenendkurse kostet 200 Euro. In der Summe belaufen sich die Kurskosten somit auf 2400 Euro. Sie müssen nicht unbedingt aus eigener Tasche bezahlt werden. So vergeben die Gemeindepsychiatrischen Verbünde Bodenseekreis, Konstanz oder Ravensburg Stipendien. Zum EX-IN-Kurs kann man sich nicht einfach anmelden. Die Plätze werden in einem Bewerbungsverfahren vergeben, in dem die Bewerber ihren Lebenslauf einreichen und angeben, was sie zu dieser Ausbildung motiviert.
Die Genesungsbegleiter bilden eine Art Scharnier. Sie sind nicht nur Ansprechpartner für den psychisch Erkrankten, sondern auch im Kontakt mit den behandelnden Ärzten. Natürlich ist das eine schwierige Zwischenstellung, weil Vertrauen die Basis zwischen dem Begleiter und dem Erkrankten bildet. Außerdem darf der Genesungsbegleiter nicht in einer akuten psychischen Krise sein.
Eigene Krisen werden Thema
Im Ausbildungskurs bildet die Thematisierung der Krankheitsgeschichte des künftigen Begleiters einen der Schwerpunkte. Die Krisenerfahrungen und ihre Bewältigungen sollen aufgearbeitet und für die Aufgabe der Genesungsbegleitung nutzbar gemacht werden. Die Ausbildung kann somit ein wichtiger Entwicklungsschritt für die Teilnehmer sein. Versucht ein Teilnehmer hingegen, den Kurs mit seinem Verhalten zu sprengen, sei das ein Ausschlusskriterium, sagt Rainer Schaff.
Interessenten empfiehlt Schaff den Besuch einer Informationsveranstaltung zum EX-IN-Kurs. Die erste ist am Dienstag, 27. November, um 17 Uhr im Gemeindepsychiatrischen Zentrum Friedrichshafen (Paulinenstraße 12). Eine weitere ist am Freitag, 30. November, um 17 Uhr in den Räumen des Vereins Arkade (Gartenstraße 3) in Ravensburg.
Informationen zum EX-IN-Kurs und zur Bewerbung bekommen Interessierte unter Telefon 07551 / 30 11 81 49 und im Internet unter
●» www-ex-in-bodensee.de