Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Elektronikschule macht Flüchtlinge fit
Das Lerntempo in Tettnang ist hoch, die Unternehmen brauchen Qualität.
TETTNANG - Beim Gedanken an die letzte Deutscharbeit huscht Teklzghi Keleta aus Eritrea ein Lächeln über das Gesicht. Es hätte im Vorfeld wohl niemand gedacht, sagt er mit einem gewissen Stolz, dass er darin der Klassenbeste sein würde. Die Besonderheit der Klasse BFE 218 an der Elektronikschule Tettnang: Unter den 24 Schülern sind zwölf mit Fluchterfahrung.
An dem Lerntempo ändert das nichts: Klassenlehrer Yorck Hirschberg verweist darauf, dass die Prüfungen überregional sind. „Ich kann allein schon deswegen im Niveau nicht heruntergehen.“Auch erwarteten die Firmen zu Recht, dass die Absolventen gute Kenntnisse in ihrer jeweiligen Fachrichtung hätten.
Der einzige Unterschied zu einer Standardklasse der einjährigen Berufsfachschule für angehende Elektroniker: Vier Stunden Deutsch zusätzlich in der Woche erhalten die Schüler bei Deutschlehrerin Sabrina Ostertag. Hinzu kommt noch privates Engagement der Lehrer. Ab dem zweiten Jahr geht es für sie in einer ganz normalen Berufsschulklasse im dualen Ausbildungssystem weiter wenn sie bis dahin einen Ausbildungsplatz gefunden haben. Manche haben bereits einen Vertrag, andere suchen noch.
Schüler wie der 21-jährige Teklzghi Keleta nehmen über die vier Zusatzstunden hinaus oft auch noch privat Nachhilfe. In seinem Heimatland hatte er beim Abitur Bestnoten in Mathematik und Physik. Dass er erst zwei Jahre in Deutschland ist, merkt man ihm nicht an. Immer wieder holpert eine Formulierung, doch der 21-Jährige hängt sich stark rein und schreibt gerade Bewerbungen.
Teklzghi Keleta war Soldat
Er war Soldat, flüchtete aber nach der Grundausbildung, weil er die Waffe nicht auf Menschen richten wollte. Was ihm in Eritrea passiert wäre, beschreibt Amnesty International in einem Report von 2015. Viele endeten unter menschenunwürdigen Bedingungen in „inoffiziellen Gefängnissen“. Häufig desertierten Wehrdienstleistende auch, weil der Dienst staatlicher Zwangsarbeit gleichkomme und häufig sogar Jahrzehnte dauere. So zielgerichtet wie Teklzghi Keleta ist im Unterricht nicht jeder Schüler mit Fluchterfahrung, sagt Schulsozialarbeitern Saadet Cekelez. Der Grund: Immer wieder überlagern die privaten Umstände das Lernen. Zum einen seien es ganz normale Jugendliche, sagt Cekelez, zum anderen kommt durch die Flucht aber auch noch einiges an Bürokratie hinzu - oder eben auch mal ein praktisches Hindernis wie ein Umzug. Cekelez: „Hier muss man erst an diesen Schrauben drehen, bevor es an die Bewerbungen geht.“
Im letzten Schuljahr habe das gut geklappt, sagt Cekelez. Mit elf Schülern fing 2017 nach den Sommerferien eine Klasse an, die ausschließlich aus Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung bestand. Drei brachen ab, weil sie merkten, dass es nicht ihre Berufsrichtung sein würde. Von den verbleibenden acht sind mittlerweile sechs in Ausbildung.
Eine Voraussetzung, sagt Werkstattlehrer Roman Boch, seien natürlich grundlegende Deutschkenntnisse. Immerhin gehe es ja darum, die Vorgaben zu verstehen. Bei Migranten sei das Interesse aber groß, das berufliche Ziel zu erreichen, weil dieses am Ende auch Unabhängigkeit bedeute. Mit Blick auf die letzte Klasse sagt er: „In Sachen Freundlichkeit und Zielstrebigkeit dürften sich unsere anderen Schüler ruhig eine Scheibe abschneiden.“
Das dürfte für den 18-jährigen Sebastian Sprenger so nicht gelten. Sein Lebenslauf ist ein klassischer: In Hegenberg aufgewachsen hat er sein Abitur gemacht. Mathematik und Physik liegen ihm sehr gut, studieren will er aber erst später. Er hat bereits einen Ausbildungsplatz in Grünkraut. Auch sein Vater war schon auf der Elektronikschule.
Dass er mit zwölf Geflüchteten die Schulbank drückt, stört ihn nicht. Im Gegenteil: Er hat sogar eine Patenschaft übernommen und gibt Nachhilfe. Er findet es gut, zu helfen. Und ihm hilft das auch: „So wiederhole ich den Stoff ja auch selbst noch mal.“Wer Wissen vermitteln will, muss das Thema selbst eben auch verstanden haben. Was wiederum den Unternehmen nützt.