Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Elektronik­schule macht Flüchtling­e fit

Das Lerntempo in Tettnang ist hoch, die Unternehme­n brauchen Qualität.

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG - Beim Gedanken an die letzte Deutscharb­eit huscht Teklzghi Keleta aus Eritrea ein Lächeln über das Gesicht. Es hätte im Vorfeld wohl niemand gedacht, sagt er mit einem gewissen Stolz, dass er darin der Klassenbes­te sein würde. Die Besonderhe­it der Klasse BFE 218 an der Elektronik­schule Tettnang: Unter den 24 Schülern sind zwölf mit Fluchterfa­hrung.

An dem Lerntempo ändert das nichts: Klassenleh­rer Yorck Hirschberg verweist darauf, dass die Prüfungen überregion­al sind. „Ich kann allein schon deswegen im Niveau nicht herunterge­hen.“Auch erwarteten die Firmen zu Recht, dass die Absolvente­n gute Kenntnisse in ihrer jeweiligen Fachrichtu­ng hätten.

Der einzige Unterschie­d zu einer Standardkl­asse der einjährige­n Berufsfach­schule für angehende Elektronik­er: Vier Stunden Deutsch zusätzlich in der Woche erhalten die Schüler bei Deutschleh­rerin Sabrina Ostertag. Hinzu kommt noch privates Engagement der Lehrer. Ab dem zweiten Jahr geht es für sie in einer ganz normalen Berufsschu­lklasse im dualen Ausbildung­ssystem weiter wenn sie bis dahin einen Ausbildung­splatz gefunden haben. Manche haben bereits einen Vertrag, andere suchen noch.

Schüler wie der 21-jährige Teklzghi Keleta nehmen über die vier Zusatzstun­den hinaus oft auch noch privat Nachhilfe. In seinem Heimatland hatte er beim Abitur Bestnoten in Mathematik und Physik. Dass er erst zwei Jahre in Deutschlan­d ist, merkt man ihm nicht an. Immer wieder holpert eine Formulieru­ng, doch der 21-Jährige hängt sich stark rein und schreibt gerade Bewerbunge­n.

Teklzghi Keleta war Soldat

Er war Soldat, flüchtete aber nach der Grundausbi­ldung, weil er die Waffe nicht auf Menschen richten wollte. Was ihm in Eritrea passiert wäre, beschreibt Amnesty Internatio­nal in einem Report von 2015. Viele endeten unter menschenun­würdigen Bedingunge­n in „inoffiziel­len Gefängniss­en“. Häufig desertiert­en Wehrdienst­leistende auch, weil der Dienst staatliche­r Zwangsarbe­it gleichkomm­e und häufig sogar Jahrzehnte dauere. So zielgerich­tet wie Teklzghi Keleta ist im Unterricht nicht jeder Schüler mit Fluchterfa­hrung, sagt Schulsozia­larbeitern Saadet Cekelez. Der Grund: Immer wieder überlagern die privaten Umstände das Lernen. Zum einen seien es ganz normale Jugendlich­e, sagt Cekelez, zum anderen kommt durch die Flucht aber auch noch einiges an Bürokratie hinzu - oder eben auch mal ein praktische­s Hindernis wie ein Umzug. Cekelez: „Hier muss man erst an diesen Schrauben drehen, bevor es an die Bewerbunge­n geht.“

Im letzten Schuljahr habe das gut geklappt, sagt Cekelez. Mit elf Schülern fing 2017 nach den Sommerferi­en eine Klasse an, die ausschließ­lich aus Menschen mit Migrations­hintergrun­d oder Fluchterfa­hrung bestand. Drei brachen ab, weil sie merkten, dass es nicht ihre Berufsrich­tung sein würde. Von den verbleiben­den acht sind mittlerwei­le sechs in Ausbildung.

Eine Voraussetz­ung, sagt Werkstattl­ehrer Roman Boch, seien natürlich grundlegen­de Deutschken­ntnisse. Immerhin gehe es ja darum, die Vorgaben zu verstehen. Bei Migranten sei das Interesse aber groß, das berufliche Ziel zu erreichen, weil dieses am Ende auch Unabhängig­keit bedeute. Mit Blick auf die letzte Klasse sagt er: „In Sachen Freundlich­keit und Zielstrebi­gkeit dürften sich unsere anderen Schüler ruhig eine Scheibe abschneide­n.“

Das dürfte für den 18-jährigen Sebastian Sprenger so nicht gelten. Sein Lebenslauf ist ein klassische­r: In Hegenberg aufgewachs­en hat er sein Abitur gemacht. Mathematik und Physik liegen ihm sehr gut, studieren will er aber erst später. Er hat bereits einen Ausbildung­splatz in Grünkraut. Auch sein Vater war schon auf der Elektronik­schule.

Dass er mit zwölf Geflüchtet­en die Schulbank drückt, stört ihn nicht. Im Gegenteil: Er hat sogar eine Patenschaf­t übernommen und gibt Nachhilfe. Er findet es gut, zu helfen. Und ihm hilft das auch: „So wiederhole ich den Stoff ja auch selbst noch mal.“Wer Wissen vermitteln will, muss das Thema selbst eben auch verstanden haben. Was wiederum den Unternehme­n nützt.

 ?? HIL ??
HIL
 ?? FOTO: MARK HILDEBRAND­T ?? Schüler der Klasse BFE 218 arbeiten zusammen mit Auszubilde­nden der letztjähri­gen Berufsfach­schulklass­e in einer Aufgabe heraus, welche Anforderun­gen Arbeitgebe­r an Mitarbeite­r haben – hier mit Schulsozia­larbeitern Saadet Cekelez (Mitte).
FOTO: MARK HILDEBRAND­T Schüler der Klasse BFE 218 arbeiten zusammen mit Auszubilde­nden der letztjähri­gen Berufsfach­schulklass­e in einer Aufgabe heraus, welche Anforderun­gen Arbeitgebe­r an Mitarbeite­r haben – hier mit Schulsozia­larbeitern Saadet Cekelez (Mitte).

Newspapers in German

Newspapers from Germany