Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Weniger Kinder wollen Sternsinger sein
Viele Familien in Tettnang möchten sich die freie Zeit nicht verplanen.
TETTNANG - Die Sternsinger plagen Nachwuchssorgen. „Da geht es uns wie allen anderen auch, die auf Freiwillige und Helfer angewiesen sind“, sagt Josef Hellmann. Er organisiert die Tettnanger Sternsingeraktion für die Kolpingfamilie. Die Folge: Immer weniger Sternsingergruppen kommen zusammen, also können immer weniger Haushalte in Tettnang besucht werden. In guten Jahren waren rund 100 Kinder und Jugendliche unterwegs, um im neuen Jahr als Caspar, Melchior und Balthasar durch die Straßen zu ziehen, den Menschen eine Freude zu machen, Haus oder Wohnung zu segnen und Geld für Hilfsprojekte zu sammeln. „Inzwischen freuen wir uns, wenn wir 80 Kinder zusammenbekommen“, sagt Josef Hellmann.
Die Gründe sind laut Josef Hellmann vielfältig, als wichtigsten Faktor aber nennt er eine abnehmende Bereitschaft, sich für andere zu engagieren. „Wir leben in einer Gesellschaft, die unterhalten sein möchte, die sich rauspickt, was Spaß macht“, so der Organisator, der sich Jahr für Jahr mit seinem Team bemüht, möglichst viele Familien anzusprechen und für die gute Sache zu gewinnen. Die Aktion geht in Tettnang 2019 in ihr 51. Jahr und so wissen viele Eltern noch aus eigener Sternsingererfahrung, wie es ist, als einer der Könige unterwegs zu sein. „Und wenn man sieht, was unser Geld bewirkt, die Dankesbriefe aus den Projekten liest, ist das schon sehr berührend und motivierend“, erzählt er. Kinder seien da oft gut ansprechbar und wären gerne bereit, sich für die Aktion zu engagieren. „Für viele Familien sind die Tage zwischen den Jahren aber auch Urlaubs- und Familienzeit, sie wollen sich nicht verpflichten“, so Josef Hellmann.
Einer der wichtigsten Multiplikatoren sind die Schulen und dort in der Regel die Religionslehrer. Das Sternsingerteam bringt einen Infoflyer und zusätzliches Material in die Grundschulen und auch in die drei weiterführenden Schulen, von dort geht es an die Lehrer weiter. Matthias Johler unterrichtet an der Realschule Tettnang. Er stellt das Projekt im Unterricht in den Klassen fünf bis acht vor und nutzt dazu auch das Material, das er über das Organisationsteam vor Ort vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“bekommt, dem Kinderhilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland. Unter anderem zeigt er einen Film, der darstellt, unter welchen Bedingungen hilfsbedürftige Kinder leben und was die Unterstützung aus der Sternsingeraktion bewirkt. „Damit kann man die Kinder gut erreichen, aber es funktioniert nur, wenn die Eltern dann auch dahinterstehen“, sagt er. Jolanta Dannhart unterrichtet katholische Religion am Montfortgymnasium und unterstützt die Aktion auch aus einem anderen Grund: „Das ist in Deutschland die größte Solidaraktion von Kindern für Kinder“, sagt sie – zudem seien die Sternsinger seit 2015 in die Liste der immateriellen Kulturerbe der Vereinten Nationen aufgenommen worden.
In Tettnang liegt die Höhe der gesamten Spenden aus der Sternsingeraktion seit mehreren Jahren immer bei mehr als 30 000 Euro. „Die Tettnanger kennen die Projekte, die wir gezielt seit vielen Jahren unterstützen“, erzählt Josef Hellmann. Es gebe viele persönliche Beziehungen zu den Spendenempfängern, sie seien in Tettnang immer wieder in der Öffentlichkeit präsent. Insofern wüssten die Spender auch, was mit dem Geld passiert und bringen den Sternsingerkindern das entsprechende Vertrauen entgegen. Durch ihre langjährige Arbeit und verlässliche Haltung profitieren die Organisatoren der Aktion in Tettnang also von einem Vertrauensvorschuss und können gute Ergebnisse erzielen. „Wenn ich dann jedes Jahr erlebe, wie notwendig unsere Hilfe in den Projekten ist, merke ich deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns als Team jedes Jahr anstrengen, um möglichst viele Kinder für die Sache zu gewinnen“, so Josef Hellmann.