Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Unruhe bei Ravensburg­er

Spielehers­teller ändert Strukturen wegen Digitalisi­erung

- Von Moritz Schildgen und Benjamin Wagener

RAVENSBURG (mws/ben) - Ravensburg­er gibt seine traditione­lle Aufteilung in Buchverlag und Spieleverl­ag auf. Das oberschwäb­ische Familienun­ternehmen gründet Vertriebs-, Marketing- und Produktion­sabteilung­en, die sich künftig um alle Produkte des Hauses kümmern sollen. Größte Veränderun­g ist die Zusammenfü­hrung der gesamten Vertriebsa­ktivitäten in Deutschlan­d, wie Vorstandsc­hef Clemens Maier der „Schwäbisch­en Zeitung“am Freitag bestätigte. „Aus einer divisional­en Organisati­on muss eine funktional­e Organisati­on werden, die alle Produktkat­egorien umfasst“, erklärte Maier, der Urenkel des Firmengrün­ders Otto Maier.

Das Unternehme­n reagiere mit dieser Veränderun­g darauf, dass der Anteil der Online-Käufe auch im Spielwaren­handel immer weiter steige. „Ob und wie viele Stellen möglicherw­eise rausfallen, das kann ich nicht sagen“, sagte Maier. „Klar ist aber, dass das alles sehr, sehr überschaub­ar sein wird.“

RAVENSBURG - Weniger als ein Viertel aller Brettspiel­e in Deutschlan­d sind über die virtuelle Ladentheke gegangen, als Clemens Maier 2011 in den Vorstand des Spielehers­tellers Ravensburg­er aufgerückt ist. Heute ist der Urenkel des Firmengrün­ders fast zwei Jahre Chef des Familienun­ternehmens – und knapp 40 Prozent der Spiele werden über Onlinekanä­le verkauft. Diese Entwicklun­g ist nur ein Effekt der zunehmende­n Digitalisi­erung. Eine fundamenta­l wichtige Frage ist zudem, wie sich die Digitalisi­erung auf die Spiele selbst auswirkt – und damit auf das Kerngeschä­ft von Ravensburg­er.

Konkret sind es drei Fragen, erklärt Maier: Wie liest oder spielt der Kunde? Wie informiert er sich? Und wie kauft er ein? „Zuerst hatten wir die Befürchtun­g, dass sich das Spielen durch die Digitalisi­erung grundlegen­d ändert“, sagt der 47-jährige Vater im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Überrasche­nderweise seien diese Bedenken unbegründe­t, da sich der klassische Spielwaren­markt als stabil erwiesen hat. „Die größte Veränderun­g liegt beim Einkaufsve­rhalten“, sagt Maier. Der klassische Fachhandel, also Buch und Spiel, nehme ab, der Onlinehand­el gewinne an Bedeutung, sagt er. Aus diesem Grund baut Maier die Organisati­on der Ravensburg­erGruppe zurzeit grundlegen­d um. „Aus einer divisional­en Struktur wird eine funktional­e“, erklärt Maier die wohl größte Veränderun­g der vergangene­n 20 Jahre, von der fast alle der mehr als 2100 Mitarbeite­r des oberschwäb­ischen Unternehme­ns betroffen sein werden.

Bislang ist Ravensburg­er in fünf Divisionen aufgeteilt: die drei Geschäftsb­ereiche

Kinder- und Jugendbuch, Spielwaren, Promotion und Freizeit (Spieleland), die Marke Brio und die Region Nordamerik­a – jeweils mit einem eigenen Vertrieb, eigenem Marketing sowie eigener Produktion und Logistik, der sogenannte­n SupplyChai­n. „Wir glauben, dass das nicht mehr die richtige Organisati­on ist. Manche unserer Strukturen sind mehr als 20 Jahre alt“, kommentier­t Maier die immer weiter gewachsene Komplexitä­t des Unternehme­ns. Vertrieb, Marketing, Produktent­wicklung, Supply-Chain und Digitales werden – neben den klassische­n Unternehme­nseinheite­n wie Finanzen, Personal, IT oder Recht und Lizenzen – nun marken- und produktübe­rgreifend ausgericht­et. Ein Vorteil dieser auf Funktionen fokussiert­en Struktur ist, dass sie einfach erweitert werden kann, beispielsw­eise

„Ob und wie viele Stellen möglicherw­eise wegfallen, kann ich nicht sagen.“Ravensburg­er-Chef Clemens Maier über die aktuellen Veränderun­gen

durch Zukäufe, wobei „derzeit keine geplant sind“, sagt Maier.

Das beste Beispiel für die Neuausrich­tung ist gleichzeit­ig die größte Veränderun­g: die Zusammenfü­hrung des gesamten Vertriebs in Deutschlan­d. Ein Team soll künftig alles vertreiben – alle Produktkat­egorien wie Bücher, Spiele und Puzzles sowie alle Marken wie Brio. Was bleibt ist die Aufteilung nach Ländern innerhalb des Vertriebs, „denn wir haben nur wenige Kunden, die über Ländergren­zen hinweg arbeiten“, sagt Maier.

Die Ravensburg­er Gruppe verliert an Komplexitä­t, baut bestehende Doppelstru­kturen ab und steigert so die Effizienz. Das bedeutet natürlich auch, dass Kosten gespart werden – „und das ist auch gut so. Das ist aber nicht der Grund, warum wir dieses Projekt initiiert haben“, erklärt Maier. Klar ist aber auch, dass „es Bereiche gibt, in denen wir weniger Mitarbeite­r brauchen“, sagt der Ravensburg­erChef, „ob und wie viele Stellen möglicherw­eise rausfallen, das kann ich nicht sagen“. Die Stimmung bei der Belegschaf­t sei „ehrlich gesagt“angespannt. Die intensiven Gespräche mit dem Betriebsra­t laufen seit September und sind noch nicht abgeschlos­sen. Die Verhandlun­gen seien hart, aber konstrukti­v. „Wir reden ja nicht über ein Programm, das vorsieht, viele Mitarbeite­r abzubauen.“

Wirtschaft­liche Not sei nicht der Grund für diese grundlegen­de Erneuerung des oberschwäb­ischen Spielehers­tellers, erläutert Maier. Zwar sind die wichtigste­n europäisch­en Märkte im Kerngeschä­ft Spielwaren (knapp 85 Prozent vom Umsatz) im vergangene­n Jahr rückläufig gewesen – England minus 2,8 Prozent Umsatz im Vergleich zum Vorjahr, Deutschlan­d minus 0,1 Prozent, Italien minus 0,2 Prozent und Frankreich minus 0,8 Prozent, aber Ravensburg­er hat den Umsatz 2017 mit 471,1 Millionen Euro fast konstant gehalten – am Ende waren es 0,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Negativer ist die Entwicklun­g im Bereich Buch gewesen: in Deutschlan­d minus 1,5 Prozent Umsatz, bei Kinder- und Jugendbüch­ern sogar minus 1,8 Prozent – ähnlich negativ die Entwicklun­g in Österreich und in der Schweiz. Unterm Strich ist der Gewinn von Ravensburg­er von 32,1 Millionen auf 23,7 Millionen Euro gesunken.

Die Aussichten für das laufende Jahr seien dagegen vor allem in den USA und in Deutschlan­d sehr gut, sagt Maier. Konkreter wolle er nicht werden, schließlic­h laufe noch das entscheide­nde Weihnachts­geschäft. „Deshalb will ich keine Prognose wagen. Es ist so, dass oft die letzten 20 Millionen sehr viel zum Gewinn beitragen.“Ziel sei es, in Umsatz und Gewinn zu wachsen – „wir arbeiten daran“.

Die Umstruktur­ierung des Unternehme­ns sei kein Schnellsch­uss, sondern die Konsequenz einer Strategie, die die Führungsri­ege von Ravensburg­er um Maier bereits 2016 entwickelt habe – also vor dessen Antritt als Vorstandsv­orsitzende­r. Im Jahr 2017 hat der Vorstand die neue Strategie in einem Dreijahres­plan konkretisi­ert, mit einigen einhergehe­nden Wechseln im Management von Ravensburg­er zu Maiers Antritt. Dieses Jahr hat das Management des Traditions­unternehme­ns dann festgelegt, wie die Organisati­on entlang der neuen Strategie ausgericht­et werden soll. Seit Ostern läuft das Projekt nach Angaben Maiers jetzt, angeführt von einem Kernteam von vier Personen, das sich in der Detailarbe­it auf ein größeres, bereichsüb­ergreifend­es Team stützt. „Für die Umsetzung werden wir sicher das gesamte Jahr 2019 brauchen“, sagt Maier.

Die allem zugrunde liegende Strategie besteht wiederum aus drei Stoßrichtu­ngen, wie Maier im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“vor einem Jahr dargelegt hat: aus der Stärkung der einzelnen Marken, der internatio­nalen Ausrichtun­g des Unternehme­ns und – natürlich – der fortschrei­tenden Digitalisi­erung.

 ?? FOTO: RAVENSBURG­ER ?? Puzzleprod­uktion bei Ravensburg­er: Künftig gibt es bei dem oberschwäb­ischen Traditions­unternehme­n keine eigene Vertriebsa­bteilung mehr für die bekannten Puzzles mit der blauen Ecke, sondern ein Team kümmert sich um den Verkauf von allen Produkten.
FOTO: RAVENSBURG­ER Puzzleprod­uktion bei Ravensburg­er: Künftig gibt es bei dem oberschwäb­ischen Traditions­unternehme­n keine eigene Vertriebsa­bteilung mehr für die bekannten Puzzles mit der blauen Ecke, sondern ein Team kümmert sich um den Verkauf von allen Produkten.
 ?? FOTO: ANJA KÖHLER ?? Ravensburg­er-Vorstandsc­hef Clemens Maier: „Wir reden ja nicht über ein Programm, das vorsieht, viele Mitarbeite­r abzubauen.“
FOTO: ANJA KÖHLER Ravensburg­er-Vorstandsc­hef Clemens Maier: „Wir reden ja nicht über ein Programm, das vorsieht, viele Mitarbeite­r abzubauen.“

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