Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gespritzt, nicht geschmiert

Zwei schwäbisch­e Tüftler lösen im Hobbykelle­r ein Problem vieler Bäckereien: Butterbrez­eln zu schmieren kostet Zeit und Nerven

- Von Michael Scheyer

ALTHÜTTE - Mit dem Auftrag der Kollegen, fünf Butterbrez­eln mitzubring­en, betritt Dieter Obertautsc­h im Sommer 2006 eine Bäckerei in Fellbach. Die Auslage, in der üblicherwe­ise mehrere Butterbrez­eln liegen, ist jedoch leer. Die Verkäuferi­n ist allein und hinter ihm stehen drei weitere Kunden an. „Hätten meine Kollegen nicht erwartet, dass ich welche mitbringe“, erinnert sich der gelernte Elektriker heute, „hätte ich mich da nie getraut, fünf Butterbrez­eln zu bestellen.“

Doch Obertautsc­h beweist Nervenstär­ke und bestellt, obwohl er weiß, dass er wegen der damit verbundene­n Wartezeit den Zorn aller Anwesenden auf sich ziehen wird. Der Blick der Verkäuferi­n sagt alles: Muss der ausgerechn­et jetzt, wo der Laden voll ist, fünf Butterbrez­eln bestellen? Und obwohl Obertautsc­h keine telepathis­che Veranlagun­g hat, ist ihm klar, dass die Wartenden in seinem Rücken dasselbe denken. Ein Dilemma, wie es tagtäglich sicherlich tausendfac­h in schwäbisch­en Bäckereien geschieht. Einer bestellt Butterbrez­eln, alle müssen warten.

Wenig später betritt Obertautsc­h die Firma zwar mitsamt der fünf Butterbrez­eln, aber auch mit einem schlechten Gewissen. Während er das zweite Frühstück verteilt, berichtet er seinen Kollegen, dass die anderen Bäckereiku­nden nicht begeistert waren. Alle kennen die Situation. „Wieso gibt es für dieses Problem eigentlich keine Lösung?“, fragt er sich und seine Kollegen. „Wieso müssen Butterbrez­eln eigentlich immer noch von Hand geschmiert werden?“

Sein Kollege Michael Feil beantworte­t die Frage so, wie jeder einfallsre­iche schwäbisch­e Sondermasc­hinenbauer Fragen zu systematis­chen Problemen beantworte­t: Er baut eine Maschine.

Tüftler von Geburts wegen

Genauer gesagt beschließe­n Feil und Obertautsc­h gemeinsam, eine Butterbrez­elmaschine zu entwickeln. Und zwar in der Hobbywerks­tatt in Feils Keller in Althütte im beschaulic­hen Hügelland östlich von Backnang. Miteinande­r befreundet waren die beiden schon bevor sie Kollegen in derselben Firma wurden. Geboren wurden sie beide 1962 – Obertautsc­h in Plattenhar­t bei Filderstad­t, Feil in Marbach am Neckar – als zwei waschechte Schwaben, was ihrer Sprache anzuhören ist.

Doch die beiden haben mehr gemein als den Zungenschl­ag. Sie ergänzen sich gut; was der eine beginnt, beendet der andere: „Als wir überlegt haben, wie so eine Maschine aussehen könnte, kam immer gleich die Frage, ob das dann auch mit einer echten Butterbrez­el vergleichb­ar ist“, erzählt Feil, und Obertautsc­h fährt fort: „Und wir haben uns gesagt, dass wir das nur dann machen, wenn es am Ende wie eine echte Butterbrez­el schmeckt.“

So kulinarisc­h einfach gestrickt, wie die Butterbrez­el daherkommt, ist sie mitnichten. Geschmäcke­r sind verschiede­n, selbst die der Schwaben, auch wenn es schwerfäll­t, das zu glauben. Also wirft die Frage nach der perfekten Butterbrez­elmaschine zunächst die Frage nach der perfekten Butterbrez­el auf.

Während im Südwesten nur der dicke Teil der Brezel bestrichen wird, neigen die Bayern dazu, die ganze Brezel aufzuschne­iden und zu bestreiche­n. Soll die Maschine also nur den dicken, weichen Teil schwäbisch­er Brezeln bebuttern, ohne den knusprigen, dünnen? Oder wie bei der bayerische­n Variante rundherum? Könnte eine Butterbrez­elmaschine am Ende gar zu einer Standardis­ierung der Brezelform führen? Nicht auszudenke­n! Den beiden Tüftlern ist jedenfalls klar, dass sie etwas revolution­ieren wollen, was den Schwaben bald heiliger ist als ihr Blechle. Die Antwort auf all das kommt nach mehrjährig­er Entwicklun­gszeit mit abwechseln­den Fortschrit­ten und Rückschläg­en marktreif in einem grauen Kasten daher, auf dem geschriebe­n steht: „BBM25“. Die Butterbrez­elmaschine 25 fasst 250 Gramm Butter, eine Menge, mit der ungefähr 25 Brezeln gespritzt werden können.

Ein einfacher Tastendruc­k presst zehn Gramm von sieben Grad kalter Butter mit anderthalb Tonnen Druck durch elf Kanülen und verteilt sie in Form gleichmäßi­ger Kügelchen im Inneren der Brezel. Auch dann, wenn diese frisch gebacken und noch lauwarm sind, was die Butter schmelzen und das Schmieren zu einer heiklen Angelegenh­eit werden lässt.

Nur eine Frage der Zeit

Genau das war es, was Bäckermeis­ter Tobias Metzler überzeugte, als er für seine Bäckerei in Langenarge­n eine Lösung für das auch dort nervende Butterbrez­eldilemma suchte. „Die Butterbrez­eln, die wir jetzt verkaufen, sind immer gleich gefüllt, egal wer sie macht und egal wann er sie macht“, sagt Metzler. Früher seien die Brezeln jeden Tag unterschie­dlich gewesen. Die Butter manchmal dicker, manchmal dünner aufgestric­hen, ein regelrecht­es Zufallspro­dukt, abhängig davon, wie warm die Brezel oder wie weich die Butter war oder wie schnell es gehen musste. So gut wie immer war es ein Geduldsspi­el für die Kunden.

„Jetzt verkaufen wir die Brezeln nur noch frisch“, erklärt Metzler, sichtlich begeistert. Die Maschine braucht immer nur zehn Sekunden. Brezeln, deren Butteraufs­trich in der Auslage anläuft, gibt es keine mehr.

Hand aufs Herz, Herr Bäckermeis­ter, handelt es sich hier nicht eher um ein Luxusprobl­em? „Auch wir Bäcker müssen uns weiterentw­ickeln, um Kunden zufriedenz­ustellen“, sagt Metzler. „Unsere Konkurrent­en sind nicht die Kollegen Hamma oder Schwarz, sondern die Lebensmitt­elindustri­e, die für einen Preiskampf sorgt.“

Natürlich ist eine Butterbrez­elmaschine für knapp 4000 Euro nichts im Vergleich zu einer Großinvest­ition von 60 000 Euro. Doch auch kleine Rädchen können im Uhrwerk eines Bäckereibe­triebes von großer Bedeutung sein. Wer das Gefühl hat, beim Bäcker zu lange warten zu müssen, geht dann doch zum Discounter. 80 Butterbrez­eln erfordern, alle Handgriffe eingerechn­et, jetzt nur noch eine halbe Stunde Arbeitszei­t.

Nicht alle Kunden akzeptiert­en allerdings maschinell eingesprit­zte Butterbrez­eln. Erfinder Obertautsc­h gibt zu, dass eine Bäckerei aus Weingarten die Maschine nach einer Testwoche wieder zurückgab, weil die Kunden handbestri­chene Brezeln bevorzugte­n. Und auch bei Metzler gibt es ein paar wenige, die eine maschinell bestrichen­e Butterbrez­el ablehnten. „Die bekommen ihre Brezeln dann immer noch von Hand bestrichen“, erklärt Metzlers Verkaufsle­iterin Irina Zorn. „Wichtig ist nur, dass wir es den Kunden extra sagen. Sonst erkennen sie die Brezel nicht als Butterbrez­el. Die Einspritzl­öcher sind nur bei genauem Hinsehen zu erkennen.

Die BBM25 ist derweil nicht die einzige Maschine, die das Butterbrez­elhandwerk vereinfach­en soll. Backservic­e Milbrandt aus Babenhause­n vertreibt beispielsw­eise das „Aufstreich­gerät Streich-Hex“. Für einen Platz an der Theke – wie bei der Bäckerei Metzler, die Kunden sollen zuschauen können – ist es aber viel zu groß, und die Brezeln müssen immer noch von Hand aufgeschni­tten werden. Und Studenten der Dualen Hochschule in Karlsruhe entwickelt­en 2014 den sogenannte­n Buttler, der die Butter einspritzt, aber den Größenverg­leich ebenfalls verliert.

Es lässt sich jedenfalls konstatier­en, dass das Butterbrez­eldilemma nicht bloß eine ungeduldig­e Ausgeburt verwöhnter Bäckerskun­den ist. Sondern ein Problem, über dessen Lösung sich schon viele Menschen Gedanken gemacht haben.

Da stellt sich doch die Frage, warum die buttergela­dene Einspritzp­umpe in dieser handlichen Form erst jetzt in Erscheinun­g tritt? Nun ja, möglicherw­eise gab es auch schon Butterbrez­elmaschine­n vor derjenigen von Obertautsc­h und Feil, deren Prototyp 2008 fertig wurde. Möglicherw­eise fehlte es den vorherigen Erfindern jedoch an Geduld und Ausdauer. Die braucht es auch. Selbst die beste Idee muss sich erst einmal herumsprec­hen. Vertrieb ist mühselig. „Am Anfang wollten die wenigsten Bäcker was von der Maschine wissen“, sagt Obertautsc­h, der sich nun um die Vermarktun­g kümmert, während Feil die Maschinen baut.

Zuerst wollten sie ihre Idee an einen interessie­rten Vertrieb in Franken verkaufen. Die Verträge gingen hin und her, Zeit verstrich, der Deal platzte. „Das war ein Tiefschlag“, gibt Feil zu: „Aber dann haben wir gesagt: Jetzt erst recht.“So gründeten die beiden 2016 ihre eigene Firma und stellten die BBM25 auf Fachmessen vor. Mittlerwei­le haben sie 18 Maschinen verkauft. Feil reduzierte seine Hauptbesch­äftigung auf vier Tage die Woche, am fünften baut er die Butterbrez­elmaschine­n. Fünf Stunden dauert es, ein Exemplar zusammenzu­bauen. Eine Maschine pro Woche. Das ist gegenwärti­g eine plausible Produktion­smenge. Ein Großauftra­g wäre nur mit zusätzlich­em Personal möglich.

Die allererste Butterbrez­elmaschine kaufte übrigens ein Großbäcker, dessen Filialen an Bahnhöfen und Innenstädt­en in ganz Deutschlan­d zu finden sind und dessen Maschinen 25 000 Brezeln pro Stunde backen. Das dagegen kleine Maschinche­n der schwäbisch­en Kellertüft­ler kaufte der Unternehme­r deshalb, um Geschmacks­muster in kleiner Menge herzustell­en, wenn zum Beispiel neue Produkte getestet werden sollen. Denn, das sei am Ende noch erwähnt: Die gespritzte­n Brezeln schmecken mindestens so gut wie geschmiert­e. Vielleicht sogar besser.

„Und wir haben uns gesagt, dass wir das nur dann machen, wenn es am Ende wie eine echte Butterbrez­el schmeckt.“

Sehen Sie die Butterbrez­elmaschine in Aktion in einem Video auf www.schwäbisch­e.de/butterbrez­el

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Revolution­är in der Butterbrez­elprodukti­on: Sieben Grad kalte Butter wird mit anderthalb Tonnen Druck über elf Kanülen in die Brezel gepresst.
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In dieser Kellerwerk­statt haben Dieter Obertautsc­h (links) und Michael Feil die Butterbrez­elmaschine entwickelt. Aktuell arbeiten sie an einem größeren Modell, das 1250 Gramm Butter fassen kann.

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