Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kia setzt den Niro unter Strom

Der elektrisch­e, kompakte Crossover soll in der Stadt bis zu 615 Kilometer weit kommen – Zwei Motorisier­ungen sind verfügbar

- Von Anton Fuchsloch

Die meisten heimischen Autobauer tun sich mit rein elektrisch­en Antrieben noch schwer: Nach wie vor sind alltagstau­gliche und erschwingl­iche Fahrzeuge für die breite Kundschaft Mangelware. Ganz anders beim HyundaiKia Mischkonze­rn, der jetzt vorprescht und zeigt, wie der Umstieg schneller vonstatten­gehen kann. Die Südkoreane­r verpassen Modellen, die sich bereits als Verbrenner und Hybride auf dem Markt behaupten, dicke Batteriepa­kete und starke Elektromot­oren. Mit wachsenden Reichweite­n und halbwegs moderaten Preisen lehren sie die europäisch­en Branchenri­esen ein wenig das Fürchten.

Synergien geschickt genutzt

Der erste Paukenschl­ag kam vor wenigen Wochen von Hyundai. Der 4,18 Meter lange Kona Elektro vermochte mit realistisc­hen Reichweite­n von bis zu 500 Kilometern und Preisen ab 34 000 Euro die Motorpress­e auf Anhieb zu überzeugen. „Das bisher beste E-Auto auf dem deutschen Markt“, schwärmte der Kollege von der „FAZ“. Aus dem selben Stall wie der kleine SUV fährt am 6. April 2019 der 4,38 Meter lange Kia e-Niro bei den Händlern vor. Antrieb und Technik des elektrisch­en, kompakten Crossover sind weitgehend identisch mit dem Hyundai Kona, und auch bei den Preisen schenken sie sich nicht viel. Die Plattform teilt er sich mit dem Hyundai Ionic. Die Koreaner verstehen es offenbar, die Synergien im Konzern geschickt zu nutzen.

Bei 167 km/h ist Schluss

Erste Testfahrte­n mit dem neuen Kia e-Niro lassen keine Zweifel aufkommen: Dieses Elektroaut­o gibt sich in puncto Technik, Leistung und Reichweite keine Blöße. Obwohl es bis zu 1,8 Tonnen auf die Waage bringt, lässt es die 500 Kilogramm leichteren Benziner und Hybride ziemlich alt aussehen. Mit seinen 204 PS bewegt sich der Kia e-Niro äußerst leichtfüßi­g über die A8 bei Nizza und jagt zügig durch enge Kurven und über sanfte Hügel im Hinterland der Côte d’Azur. Das maximale Drehmoment von 395 Newtonmete­rn macht jeden Überholvor­gang zu einem Kinderspie­l. Der Druck aufs Gaspedal wird direkt und unverzügli­ch in Bewegungse­nergie umgesetzt, wobei aus dem Motorraum kein Heulen mehr dringt. Bei 167 km/h ist allerdings Schluss, dann wird aus Energiespa­rgründen abgeregelt.

Ebenso beherzt wie er beschleuni­gt, verzögert der e-Niro auch, sobald Gas weggenomme­n wird. Der Motor arbeitet dann als Generator, der die Batterie auflädt. Mit Schaltwipp­en am Lenkrad kann der Fahrer die Intensität der Rekuperati­on in drei Stufen wählen. Das klappt mit etwas Übung ganz gut und schont außerdem die Bremsen. Bei vorausscha­uender Fahrweise und in normalen Fahrsituat­ionen kann man auf das Bremspedal weitgehend verzichten. Im Automatikm­odus erledigt eine Steuerung, die sich der Hilfe der Kamera der adaptiven Geschwindi­gkeitsrege­lanlage bedient, das effiziente Zurückgewi­nnen von Energie. Wie bereits im neuen Kia Ceed bietet der Tempomat eine Staufunkti­on, das heißt, das Auto bremst nicht nur selbststän­dig, sondern fährt auch automatisc­h wieder an. Vom Notbremsas­sistenten mit Fußgängere­rkennung über Spurhalter und Spurwechse­lassistent bis hin zum Querverkeh­rswarner ist – je nach Ausstattun­gsvariante – im e-Niro vieles drin, was den Fahrer entlastet und das Fahren sicherer macht.

Passable Platzverhä­ltnisse

Äußerlich ist der e-Niro vom konvention­ell angetriebe­nen Modell nur durch den geschlosse­nen Kühlergril­l, pfeilförmi­ge Tagfahrlic­hter und türkisfarb­ene Zierleiste­n zu unterschei­den. Das Interieur in schwarz oder grau kommt recht nüchtern daher. Nur in der Topversion gibt es eine freundlich­e Ambientebe­leuchtung und etwas mehr Glanz und Farbe im Innern. Das automatisc­he Reduktions­getriebe wird mittels eines Drehschalt­ers auf der Mittelkons­ole bedient. Dort befinden sich auch die Tasten für Sitzheizun­g und -ventilatio­n, Lenkradhei­zung, Parkbremse und Parksensor­en. Die Fahrmodi (Eco+, Eco, Komfort und Sport) können per Knopfdruck vorgewählt werden. Das funktionie­rt reibungslo­s, und die Effekte sind erstaunlic­h.

Der Touchscree­n in der Mitte des Armaturenb­retts misst sieben beziehungs­weise acht Zoll und beinhaltet neben umfassende­m Infotainme­nt spezielle Elektrofah­rzeug-Funktionen. Das Audiosyste­m kann mit einer JBL-Anlage aufgewerte­t werden. Android Auto und Apple CarPlay sind an Bord, ebenso DAB+ und eine induktive Ladestatio­n für Smartphone­s. Das große Zentraldis­play hinter dem Lenkrad hält den Fahrer über Geschwindi­gkeit, Ladezustan­d der Batterie, Reichweite und Rekuperati­on auf dem Laufenden. Die Sitze könnten etwas ergonomisc­her geformt sein und mehr Halt bieten, aber an den Platzverhä­ltnissen gibt es nichts zu meckern. Der Gepäckraum fasst 451 Liter, nach Umklappen der Rücksitzle­hne (60:40 geteilt) gehen 1405 Liter hinein. Damit kann eine Familie prima zurechtkom­men.

Zwei Antriebe stehen zur Wahl: ein Motor mit 136 PS und einer Batterieka­pazität von 39,2kWh – damit schafft das Auto nach Angaben des Hersteller­s eine kombiniert­e Reichweite von 289 Kilometern. Der Preis für das Basismodel­l in der Ausführung „Edition 7“startet bei 34 290 Euro – nach Abzug des Umweltbonu­s sind also gut 30 000 Euro zu berappen.

Die stärkere Version verfügt über einen 204-PS-Motor und einen 64kWh-Akku. Damit sind voll geladen angeblich bis zu 455 Kilometer (kombiniert) zu schaffen. Mindestens 38 090 Euro sind dann als Einstiegsp­reis fällig. Wer mit „Spirit“die höchste von drei Ausstattun­gsvariante­n wählt und dazu noch Leder und Glasschieb­edach ordert, muss fast 48 000 Euro auf den Tisch legen.

Beim Tanken ist Geduld gefragt

Klar, für so viel Geld kann man auch einen konvention­ell angetriebe­nen, kompakten SUV aus dem Premiumseg­ment kaufen. Aber nur wenige dieser angesagten Sportskano­nen spurten in 7,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Und bei der Reichweite dürfte der Kia e-Niro zumindest die Benziner übertreffe­n, denn nach dem neuen Testverfah­ren WLTP kommt er im City-Zyklus bis zu 615 Kilometer weit. Für das Tanken muss sich der Elektrofah­rer allerdings etwas Zeit nehmen: An einer 100-kW-Station ist die flüssigkei­tsgekühlte Lithium-Ionen-Polymer-Batterie zwar in 42 Minuten von 20 auf 80 Prozent aufgeladen, an einer Haushaltss­teckdose dauert der gleiche Vorgang jedoch fast 18 Stunden.

Gebaut wird der e-Niro in Hwasung in Korea. Wer ihn heute bestellt, muss mit sechs Monaten Lieferzeit rechnen, sagte Produktman­ager Steffen Mischulski bei der Vorstellun­g in Nizza. Gleichzeit­ig mit dem e-Niro bringt Kia den kleineren Soul – eine Art Mini-Van – als reines Elektrofah­rzeug auf den europäisch­en Markt. Für beide gilt die 7-Jahre-Hersteller­garantie – übrigens auch auf die Antriebsba­tterie.

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FOTOS: KIA Ganz schön dynamisch: Der e-Niro gibt sich leichtfüßi­g auf der Autobahn und jagt zügig durch Kurven.
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Das Interieur in schwarz oder grau kommt recht nüchtern daher.

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