Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lebensmittel sollen etwas gesünder werden
Bundesregierung paktiert mit der Wirtschaft gegen zu viel Zucker, Salz und Fett – Freiwilligkeit stößt auf Kritik
BERLIN - Die Nahrungsmittelindustrie will in den kommenden Jahren weniger ungesunde Zutaten wie Salz, Zucker oder Fett verwenden. Das sieht eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft vor. Sie ist Teil der sogenannten Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die das Bundeskabinett nun beschlossen hat. So können wir den Ursachen von Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck entgegenwirken“, versichert die Ministerin.
Kern ist die Veränderung von Rezepturen für die Produktion von Fertigpizzen und anderen industriell gefertigten Lebensmitteln, vor allem bei Produkten für Kinder. Konkret haben die Hersteller zugesagt, den Zuckeranteil bei Frühstücksflocken bis 2025 um 20 Prozent zu senken. Erfrischungsgetränke sollen mit 15 Prozent weniger auskommen, Kinderjoghurts mit zehn Prozent. Das Bäckerhandwerk verspricht, weniger Salz bei Brot- und Pizzateigen zu verwenden. Die Einhaltung der Zusagen will das Ministerium regelmäßig kontrollieren. „Im Herbst 2019 gibt es eine erste Überprüfung“, kündigt Klöckner an. Sollte sich herausstellen, dass die Selbstverpflichtung nicht eingehalten wird, droht sie mit einer gesetzlichen Regulierung.
Die Strategie stößt sowohl in der Wirtschaft als auch bei Verbraucherschützern auf Kritik. Sie enthalte „zu weitreichende Forderungen und Ambitionen“, warnt der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Der Chef des Branchenverbands, Christoph Minhoff, warnt vor einer Bevormundung der Konsumenten. Eine Strategie, die Menschen zu einem bestimmten Lebensstil zwingen wolle, werde nie erfolgreich sein. Vor allem stören sich der Hersteller an Klöckners Drohung mit gesetzlichen Vorgaben, sollten sich die erhofften Ergebnisse nicht einstellen. „Am Ende des Tages wird an der Kasse über die Zukunft von Produkten entschieden“, sagt Minhoff, „nicht im Plenarsaal.“
Die Verbraucherorganisation Foodwatch findet die Ziele viel zu lasch. „Jeder weiß, dass freiwillige Selbstverpflichtungen scheitern“, sagt Geschäftsführer Martin Rücker. Dies sei in den Niederlanden gerade erst geschehen. Zudem blieben die Vorgaben meilenweit hinter den Empfehlungen der Mediziner und Kinderärzte zurück. „Frau Klöckner nimmt grassierendes Übergewicht, Diabeteserkrankungen und vorzeitige Todesfälle billigend in Kauf “, schimpft Rücker.
Deutlich zurückhaltender bewerten der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) die Zuckerstrategie. „Der Versuch verdient eine Chance“, betont vzbv-Chef Klaus Müller. Die Strategie dürfe jedoch nicht bei Kinderlebensmitteln stehen bleiben. Auch sieht Müller die Gefahr, dass die Hersteller die Selbstverpflichtung trickreich umgehen, zum Beispiel durch den Tausch ungesunder Zutaten gegen ungesunde andere Zutaten.
Übergewicht und die damit verbundenen Volkskrankheiten sind ein weltweites Problem der wohlhabenden Nationen. In Deutschland gelten 42 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer als zu schwer. Bedenklich ist der Anteil der übergewichtigen Kinder. Jedes achte Kind trägt zu viele Kilo mit sich herum. Deshalb drängen Kinderärzte schon seit Jahren auf eine drastische Einschränkung des Zucker- und Fettkonsums. In anderen Ländern gibt es deutlich schärfere Vorgaben dazu. Großbritannien besteuert zu süße Getränke zum Beispiel. Das hat zu einer deutliche Absenkung des Zuckergehalts geführt.