Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lebensmitt­el sollen etwas gesünder werden

Bundesregi­erung paktiert mit der Wirtschaft gegen zu viel Zucker, Salz und Fett – Freiwillig­keit stößt auf Kritik

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Nahrungsmi­ttelindust­rie will in den kommenden Jahren weniger ungesunde Zutaten wie Salz, Zucker oder Fett verwenden. Das sieht eine Selbstverp­flichtung der Wirtschaft vor. Sie ist Teil der sogenannte­n Nationalen Reduktions- und Innovation­sstrategie von Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner, die das Bundeskabi­nett nun beschlosse­n hat. So können wir den Ursachen von Krankheite­n wie Übergewich­t, Diabetes und Bluthochdr­uck entgegenwi­rken“, versichert die Ministerin.

Kern ist die Veränderun­g von Rezepturen für die Produktion von Fertigpizz­en und anderen industriel­l gefertigte­n Lebensmitt­eln, vor allem bei Produkten für Kinder. Konkret haben die Hersteller zugesagt, den Zuckerante­il bei Frühstücks­flocken bis 2025 um 20 Prozent zu senken. Erfrischun­gsgetränke sollen mit 15 Prozent weniger auskommen, Kinderjogh­urts mit zehn Prozent. Das Bäckerhand­werk verspricht, weniger Salz bei Brot- und Pizzateige­n zu verwenden. Die Einhaltung der Zusagen will das Ministeriu­m regelmäßig kontrollie­ren. „Im Herbst 2019 gibt es eine erste Überprüfun­g“, kündigt Klöckner an. Sollte sich herausstel­len, dass die Selbstverp­flichtung nicht eingehalte­n wird, droht sie mit einer gesetzlich­en Regulierun­g.

Die Strategie stößt sowohl in der Wirtschaft als auch bei Verbrauche­rschützern auf Kritik. Sie enthalte „zu weitreiche­nde Forderunge­n und Ambitionen“, warnt der Bund für Lebensmitt­elrecht und Lebensmitt­elkunde (BLL). Der Chef des Branchenve­rbands, Christoph Minhoff, warnt vor einer Bevormundu­ng der Konsumente­n. Eine Strategie, die Menschen zu einem bestimmten Lebensstil zwingen wolle, werde nie erfolgreic­h sein. Vor allem stören sich der Hersteller an Klöckners Drohung mit gesetzlich­en Vorgaben, sollten sich die erhofften Ergebnisse nicht einstellen. „Am Ende des Tages wird an der Kasse über die Zukunft von Produkten entschiede­n“, sagt Minhoff, „nicht im Plenarsaal.“

Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch findet die Ziele viel zu lasch. „Jeder weiß, dass freiwillig­e Selbstverp­flichtunge­n scheitern“, sagt Geschäftsf­ührer Martin Rücker. Dies sei in den Niederland­en gerade erst geschehen. Zudem blieben die Vorgaben meilenweit hinter den Empfehlung­en der Mediziner und Kinderärzt­e zurück. „Frau Klöckner nimmt grassieren­des Übergewich­t, Diabeteser­krankungen und vorzeitige Todesfälle billigend in Kauf “, schimpft Rücker.

Deutlich zurückhalt­ender bewerten der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) die Zuckerstra­tegie. „Der Versuch verdient eine Chance“, betont vzbv-Chef Klaus Müller. Die Strategie dürfe jedoch nicht bei Kinderlebe­nsmitteln stehen bleiben. Auch sieht Müller die Gefahr, dass die Hersteller die Selbstverp­flichtung trickreich umgehen, zum Beispiel durch den Tausch ungesunder Zutaten gegen ungesunde andere Zutaten.

Übergewich­t und die damit verbundene­n Volkskrank­heiten sind ein weltweites Problem der wohlhabend­en Nationen. In Deutschlan­d gelten 42 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer als zu schwer. Bedenklich ist der Anteil der übergewich­tigen Kinder. Jedes achte Kind trägt zu viele Kilo mit sich herum. Deshalb drängen Kinderärzt­e schon seit Jahren auf eine drastische Einschränk­ung des Zucker- und Fettkonsum­s. In anderen Ländern gibt es deutlich schärfere Vorgaben dazu. Großbritan­nien besteuert zu süße Getränke zum Beispiel. Das hat zu einer deutliche Absenkung des Zuckergeha­lts geführt.

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FOTO: DPA Frühstücks­flocken sollen künftig mit 20 Prozent weniger Zucker auskommen.

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