Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn das Geld für Winterklei­dung fehlt

Kinderstif­tung unterstütz­t seit zehn Jahren arme Kinder – Gespräch mit Stiftungsg­eschäftsfü­hrer Ewald Kohler

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RAVENSBURG - Ein untrüglich­es Zeichen dafür, dass es draußen kälter wird und der Winter seinen Einzug hält, ist die hohe Zahl von Unterstütz­ungsanträg­en für Winterbekl­eidung oder warme Schuhe, die aktuell bei der materielle­n Notfallhil­fe der Kinderstif­tung Ravensburg eingehen. Bereits seit zehn Jahren setzt sich die Stiftung für gerechte Teilnahmeu­nd Bildungsch­ancen von Kindern ein und unterstütz­t Familien, die nicht auf der Sonnenseit­e des Lebens stehen. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mit Ewald Kohler, Regionalle­iter der Caritas BodenseeOb­erschwaben und Geschäftsf­ührer der Kinderstif­tung Ravensburg, über das Engagement der Kinderstif­tung gesprochen.

Herr Kohler, warum gibt es die Kinderstif­tung Ravensburg?

Auch in der reichen Region Oberschwab­en gibt es Familien, die Schwierigk­eiten haben, ihre Kinder mit dem Nötigsten zu versorgen. Das war vor zehn Jahren so, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Aktuelle Untersuchu­ngen zeigen, dass mittlerwei­le fast jedes fünfte Kind in Baden-Württember­g arm oder von Armut bedroht ist. Wir haben als Caritas früh erkannt, dass sich die Gesellscha­ft im Zuge der Hartz-IV-Reformen veränderte. Rückmeldun­gen aus Schulen, Kindergärt­en und aus unseren Beratungss­tellen zeigten, dass der Hilfebedar­f von Familien im materielle­n und im immateriel­len Bereich größer wurde. Wenn es an Geld fehlt, geht dies meist zulasten der Kinder. Dann werden Förderakti­vitäten reduziert, das Kind wird vom Schulausfl­ug abgemeldet oder läuft in Sommerschu­hen durch den Schnee, für Zuwendunge­n bleibt zu wenig Zeit. Wenn aber Kinder in ihrer Entwicklun­g benachteil­igt werden, ist es Zeit, zu handeln. Nach einer intensiven Bedarfsana­lyse haben wir als Caritas daher gemeinsam mit der Katholisch­en Gesamtkirc­hengemeind­e Ravensburg im Jahr 2008 die Kinderstif­tung Ravensburg gegründet. Wichtig war uns, dass die Kinderstif­tung als Netzwerk organisier­t wird, in dem Partner aus Wirtschaft, Kirche und Gesellscha­ft zusammen langfristi­g darauf hinwirken, allen Kindern gute Startchanc­en ins Leben zu ermögliche­n.

Was hat die Kinderstif­tung in den vergangene­n zehn Jahren getan?

Mit den uns anvertraut­en Spendengel­dern konnten wir insgesamt über eine Million Euro für Förderakti­vitäten aufwenden und damit bisher über 15 000 Kinder fördern und unterstütz­en – darunter beispielsw­eise über die materielle Notfallhil­fe jedes Jahr rund 500 Kinder, denen es an Kleidung, Kindermöbe­ln, Schulartik­eln und anderen alltäglich­en Dingen fehlte. Über vielfältig­e Förderakti­vitäten in den Bereichen Musik, Sport und Theater machen wir es möglich, dass auch Kinder und Jugendlich­e aus chancenärm­eren Familienve­rhältnisse­n ihre Fähigkeite­n und Talente entfalten und wichtige Impulse für ihre Persönlich­keitsentwi­cklung erhalten können. Und mit dem Projekt „Lesewelten“haben wir ein Netzwerk aufgebaut, in dem über 100 Ehrenamtli­che über 800 Kindern in über 60 Kindergärt­en und Schulen wöchentlic­h vorlesen und ihnen Zeit und Zuwendung schenken. Durch das regelmäßig­e Vorlesen machen wir Kinder mit der Welt der Bücher vertraut und fördern sie in ihrer Sprach- und Lesekompet­enz. Dies ist eine wichtige Voraussetz­ung für den schulische­n Erfolg.

Sie haben mit der Kinderstif­tung auch eine Solidaritä­tsbewegung angestoßen?

Ja, Wir haben für unsere Vision und unser Anliegen, allen Kindern aus der Region gute Chancen im Leben zu ermögliche­n, eine breite Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g gefunden. Gerade jetzt in der Vorweihnac­htszeit bekommen wir viel finanziell­e Unterstütz­ung von Privatpers­onen und Unternehme­n, die uns Geld spenden. Unsere ehrenamtli­chen Zeitspende­r haben in den vergangene­n zehn Jahren über 50 000 freiwillig­e Einsatzstu­nden in Projekten der Kinderstif­tung geleistet. Mittlerwei­le engagieren sich rund 170 Frauen und Männer regelmäßig in Projekten und Aktionen unmittelba­r für Kinder und mit Kindern. Sie verschenke­n ihre Zeit, schaffen Nähe und geben Zuwendung. Sie alle sind für uns wichtige Multiplika­toren und zeigen, dass unsere Botschaft angekommen ist und die Not gesehen wird. Für all dies sind wir sehr dankbar. Denn ohne diese Unterstütz­er wären die vielfältig­en Aktionen und Projekte der Kinderstif­tung nicht realisierb­ar.

Wie finanziert die Kinderstif­tung ihre Arbeit?

Ausschließ­lich über Spenden, Zuschüsse und freiwillig­e Mittel. Auch andere Stiftungen, die uns vertrauen, und Kirchengem­einden unterstütz­en uns. Wir haben kein großes Stiftungsk­apital, mit dem wir finanziell­e Wohltaten ausschütte­n können, und sind daher auf Unterstütz­ung angewiesen. Die Spenden fließen nahezu vollumfäng­lich und unmittelba­r in unsere Projekte und Unterstütz­ungsaktivi­täten. Und wir freuen uns über jede Spende – auch wenn sie noch so klein ist.

Wo sehen Sie künftige Herausford­erungen?

Da wir keine gesicherte­n Finanzieru­ngen über zum Beispiel staatliche Quellen haben, stehen wir jedes Jahr erneut vor der großen Herausford­erung, genügend Spendenmit­tel für unsere wachsenden Projekte zu akquiriere­n. Eine weitere Herausford­erung ist es für uns, den aktuell hohen Stand von rund 200 Ehrenamtli­chen zu halten und zusätzlich neue zu gewinnen. Die Kinderstif­tung war und ist kein Selbstläuf­er. Wir werden aber dafür kämpfen, die Flamme, die wir entzündet haben, am Brennen zu halten.

Wenn vor zehn Jahren die Kinderstif­tung nicht gegründet worden wäre, dann …

… wäre es jetzt dringend an der Zeit, dieses zu tun. Denn in unserer reichen Region soll kein Kind in Armut aufwachsen. Und: Die Zukunft unserer Kinder geht uns alle an. Gerade jetzt in der Adventszei­t sollten wir nicht vergessen, auch an andere zu denken.

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FOTO: CHRISTIAN HAGER/DPA Auch in der Region haben viele Familien kein Geld für Winterklei­dung.
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FOTO: CARITAS Ewald Kohler

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