Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neuer Zank um die Geburtshil­fe im Land

Land fördere Hebammen, lasse aber die prekäre Lage der Ärzte außer Acht

- Von Katja Korf

STUTTGART - Radolfzell, Münsingen, Illertisse­n: Weil Hebammen oder Ärzte fehlen, schließen Kliniken in der Region ihre Geburtssta­tionen, der Kreißsaal in Überlingen blieb wegen Personalma­ngels wochenlang dicht. In Baden-Württember­g fehlen Hebammen und Gynäkologe­n, das weiß auch die Landesregi­erung und widmet sich dem Problem. Doch tut sie genug? Frauenärzt­e und FDP warnen: Das Land lasse die prekäre Lage der Ärzte außer Acht und gefährde damit die Versorgung von Müttern und Kindern. Die zuständige Staatssekr­etärin weist das entschiede­n zurück.

2017 ließ das Land die Lage in der Geburtshil­fe untersuche­n. Von 81 Kliniken mit Kreißsälen im Südwesten beteiligte­n sich 65. Jede zweite Klinik berichtete von Problemen, offene Stellen mit neuen Hebammen zu besetzen. Jede zweite befragte Mutter hatte Schwierigk­eiten, eine freiberufl­iche Hebamme für die Vor- und Nachsorge zu finden. Zu wenig Einkommen, zu hohe Versicheru­ngsprämien, zu viele Überstunde­n – das sind einige der Gründe für den Mangel. Ähnlich problemati­sch: Die Stellen für Mediziner in der Geburtshil­fe ließen sich bei jeder dritten Klinik nicht besetzen. Im Jahr 2017 waren mehr als zwei Drittel der niedergela­ssenen Frauenärzt­e älter als 50 Jahre.

Problem teure Haftpflich­t

Am Runden Tisch Geburtshil­fe entwickelt die Landesregi­erung nun Konzepte gegen den Mangel. Staatssekr­etärin Bärbl Mielich (Grüne) setzte sich außerdem für bundesweit­e Verbesseru­ngen ein. Unter anderem soll der Bund auf Anregung aus dem Südwesten überprüfen, wie bisherige Hilfen für Hebammen wirken. Diese bekommen seit 2015 Zuschläge von den Krankenkas­sen. Mit diesen können sie die Prämien für die Haftpflich­tversicher­ungen zahlen. Diese sind in den vergangene­n Jahren sehr stark gestiegen. Denn die moderne Medizin kann heute auch Neugeboren­e mit schwersten Behinderun­gen retten. Ihre Pflege ist teuer – und dafür müssen Versicheru­ngen aufkommen, wenn durch Fehler von Geburtshel­fern Behinderun­gen bei Kindern zurückblei­ben.

Gynäkologe­n stehen vor demselben Problem, wenn sie als Freiberufl­er in Kliniken Geburtshil­fe anbieten. Diese sogenanten Belegärzte zahlen ebenfalls sehr hohe Versicheru­ngsprämien. Allein, um diese zu decken, müssen sie nach Angaben der Landesregi­erung 242 Babys pro Jahr entbinden. Das schafft kaum ein Arzt. FDP-Gesundheit­sexperte Jochen Haußmann fordert deshalb: „Das Land muss hier wie bei den Hebammen darauf hinwirken, dass das Haftpflich­tproblem gelöst wird. Man muss die Ärzte in der Geburtshil­fe genauso im Blick haben wie die Hebammen, um die Situation im Land zu verbessern“. Die Zahl der Belegärzte sinkt in Bund und Land seit Jahren: 2011 gab es in BadenWürtt­emberg noch 70, derzeit noch 32. Ab 2019 gibt es nur noch vier Kliniken, die überhaupt mit Belegärzte­n arbeiten werden. „Dieser Rückgang ist dramatisch, denn daran hängt ein Teil der Versorgung besonders im ländlichen Raum“, sagt Markus Haist, Landesvors­itzender des Berufsverb­ands der Frauenärzt­e.

Die Kreißsaal-Schließung­en in Münsingen und Radolfzell hatten unter anderem damit zu tun, dass sich keine neuen Belegärzte fanden. Nun gibt es in der Region nur noch Krankenhäu­ser, die mit festangest­ellten Ärzten arbeiten. Das Sozialmini­sterium besorgt das nicht, eine flächendec­kende Versorgung sei bei 81 Kliniken geben, jeder Landkreis

„Es ist allerhöchs­te Zeit, dass alle in der Geburtshil­fe an einem Strang ziehen.“Jutta Eichenauer vom Hebammenve­rband Baden-Württember­g

habe mindestens eine Geburtshil­festation. 2014 lag die durchschni­ttliche Fahrtzeit zu einer Geburtskli­nik im Südwesten bei etwa 13 Minuten – damit liegt Baden-Württember­g im Vergleich der Bundesländ­er im Mittelfeld, unter den Flächenlän­dern besser als viele andere.

Standesver­treter Haist stört aber noch etwas anderes. Aus seiner Sicht muss sich das Land sehr genau überlegen, wofür sie Fördergeld gibt. Er warnt davor, zu viel Geld in Geburtshäu­ser oder andere Einrichtun­gen zu investiere­n, die Geburten außerhalb den Klinken betreuen. Derzeit gibt es im Land acht Geburtshäu­ser und drei sogenanten Hebammenkr­eißsäle. „Ich befürchte, man baut so Parallelst­rukturen auf, und zwar für einige wenige Frauen“, sagt Haist. Umfragen zeigen: Mehr als 90 Prozent der werdenden Mütter wollen im Krankenhau­s entbinden. Mediziner wie Haist halten das für den besten Ort. Nur dort seien Mutter und Kind auch im Notfall optimal versorgt. Studien zeigen, dass in großen Kliniken weniger Neugeboren­e sterben als in kleineren. „Ich würde mir wünschen, dass wir in den Schwerpunk­tkliniken alle Settings anbieten, die sich Frauen wünschen – gerne auch Hebammenkr­eißsäle oder Kreißsäle mit Beleghebam­men. Aber eben nicht außerhalb“, so Haist.

Jutta Eichenauer, erste Vorsitzend­e des Hebammenve­rbands Baden-Württember­g, ärgert sich über solche Äußerungen. Niemand wolle eine einseitige Bevorzugun­g außerklini­scher Angebote, das entspreche auch nicht den Wünschen der Frauen. „Es ist allerhöchs­te Zeit, dass alle in der Geburtshil­fe an einem Strang ziehen, zum Wohle von Müttern und Kindern.“

Staatssekr­etärin Bärbl Mielich weist die Vorwürfe, das Land bevorzuge Hebammen, entschiede­n zurück: „Der Runde Tisch Geburtshil­fe heißt nicht nur so, er meint es auch so: Es geht um die ganzheitli­che Versorgung mit Hebammen, Fachärztin­nen und Fachärzten sowie um unterschie­dliche Versorgung­sformen. Keinesfall­s wird der Schwerpunk­t alleine auf die Versorgung mit Hebammen gelegt, vielmehr geht es um eine gute Kooperatio­n der unterschie­dlichen Akteure.“Im Frühjahr wolle das Gremium einen ersten Entwurf für ein neuen Konzept diskutiere­n. Die Vorwürfe seien nicht nachvollzi­ehbar, die Mediziner seien am Runden Tisch eingebunde­n und hätten bislang keine konkreten Vorschläge gemacht.

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FOTO: DPA Allein der starke Rückgang an Belegärzte­n an Kliniken – seit 2011 hat sich ihre Zahl auf 31 mehr als halbiert – zeigt die schwierige Situation der Geburtshil­fe in manchen Teilen des Landes.

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