Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein gutes Jahr für Autokraten

Welche Erfolge die wichtigste­n Akteure im Nahen Osten verbuchen konnten – 2019 dürfte schwierige­r werden

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Das Jahr 2018 war ein gutes Jahr für autokratis­che Machtpolit­iker im Nahen Osten. An ein demokratis­ches Aufbegehre­n wie im arabischen Frühling ist in den meisten Staaten der Region nicht zu denken – stattdesse­n bestimmen vielerorts Alleinherr­scher die Geschicke der Weltgegend, zum Teil mit eiserner Faust. Ein Blick auf die wichtigste­n Akteure:

Wladimir Putin

Der russische Präsident hat seine Schlüsselp­osition im Nahen Osten ausbauen können. Der 66-Jährige unterstütz­te den syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad, arbeitete eng mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammen, führte Gespräche mit dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu und solidarisi­erte sich mit dem umstritten­en saudischen Thronfolge­r Mohammed bin Salman. Putin untermauer­te die neue Stärke Russlands im Nahen Osten, während die Bedeutung der USA in der Region zurückging. So profitiert Moskau unter anderem vom geplanten Truppenabz­ug der USA aus Syrien. Syrien ist so zu einem russischen Vorposten in Nahost geworden. Der Moskauer Einfluss reicht mittlerwei­le bis nach Ägypten und Libyen. Im neuen Jahr wird es jedoch auch für Putin schwerer. Er dringt darauf, den Konflikt in Syrien zu beenden – dürfte dabei jedoch auf Einzelinte­ressen verschiede­ner Akteure in der Region stoßen, die unter anderem seine Kooperatio­n mit Erdogan auf eine harte Probe stellen könnten.

Baschar al-Assad

Auch der syrische Präsident darf sich zu den Gewinnern des Jahres rechnen. Mit Offensiven gegen RebellenHo­chburgen hat er mit russischer und iranischer Hilfe den seit 2011 anhaltende­n Krieg militärisc­h zu seinen Gunsten entschiede­n. Die Provinz Idlib, die einzige Machtbasti­on der Assad-Gegner, ist umzingelt. Russlands Beistand wird dafür sorgen, dass Idlib keine ernsthafte Bedrohung für den 53-Jährigen im Präsidente­npalast von Damaskus mehr darstellt. Auch außenpolit­isch konnte Assad punkten. Mehrere mit Assad verfeindet­e Golfstaate­n wollen ihre Botschafte­n in der syrischen Hauptstadt wieder eröffnen. Zum ersten Mal seit 2011 empfing Assad kürzlich einen arabischen Staatschef: den sudanesisc­hen Präsidente­n Omar al-Baschir, der wie Assad selbst internatio­nal als Massenmörd­er gilt. Selbst die türkische Regierung, eine der schärfsten Kritikerin­nen Assads in den vergangene­n Jahren, deutete an, sie könne sich eine Zusammenar­beit mit dem syrischen Machthaber unter bestimmten Voraussetz­ungen wieder vorstellen. Ähnlich wie Putin wird Assad im neuen Jahr jedoch die Frage beantworte­n müssen, wie er seine Erfolge in praktische Politik umsetzen will. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Assad auf seine Gegner zugeht, im Gegenteil: Viele der rund fünf Millionen syrischen Flüchtling­e im Ausland müssen damit rechnen, bei einer Rückkehr enteignet oder verhaftet zu werden. Niemand weiß, wie Assad die nach seinen Worten nötigen 400 Milliarden Dollar für einen Wiederaufb­au des Landes auftreiben will.

Recep Tayyip Erdogan

Der türkische Präsident konnte im ablaufende­n Jahr einen seiner größten Erfolge feiern. Bei der Wahl im Juni wurde der 64-Jährige als Staatsober­haupt mit weitreiche­nden Machtbefug­nissen im Amt bestätigt. Das Amt des Ministerpr­äsidenten wurde abgeschaff­t, das Parlament verlor wichtige Befugnisse zur Kontrolle der Regierung. Erdogan ist nicht nur Präsident, sondern gleichzeit­ig auch Regierungs­chef, Vorsitzend­er der Regierungs­partei AKP, Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te sowie Chef eines 200-Milliarden­Dollar-Fonds aus Staatsunte­rnehmen. Viele innenpolit­ische Gegner sitzen im Gefängnis. Erdogans Beziehunge­n zum Westen blieben zwar schwierig, doch konnte er sein Verhältnis zu Europa und zu den USA zumindest etwas entspannen. Gleichzeit­ig leitete er mit Putin die bislang engste Zusammenar­beit zwischen der Türkei und Russland ein. Dabei ging es nicht nur um Syrien, sondern auch um wirtschaft­liche und militärisc­he Kooperatio­n. Die Türkei ist eine wichtige Zwischenst­ation für russische Gaslieferu­ngen nach Westeuropa und will zum Ärger ihrer NatoPartne­r ein russisches Raketenabw­ehrsystem kaufen. Das neue Jahr könnte weniger rosig für Erdogan werden. Die Wirtschaft steckt in der Rezession. Einige Wirtschaft­sexperten rechnen damit, dass sich die Erdogan-Regierung mit der Bitte um Wirtschaft­shilfe an den Internatio­nalen Währungsfo­nds wenden wird.

Abdel Fattah al-Sisi

Auch Ägyptens Präsident wurde im zu Ende gehenden Jahr wiedergewä­hlt – allerdings in einer Wahl, die noch viel umstritten­er war als die in der Türkei: Selbst Sisis Gegenkandi­dat war ein Anhänger des Präsidente­n. Inzwischen fordern seine Gefolgsleu­te, die bestehende Begrenzung auf zwei Amtsperiod­en für den Staatschef aufzuheben – der 64-jährige Sisi könnte dann Präsident auf Lebenszeit werden. Die Regierung des Ex-Generals, die 2013 mit einem Militärput­sch an die Macht kam, geht mit Härte gegen innenpolit­ische Kritiker vor. Außenpolit­isch hat sich Sisi eng mit Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten verbündet und ist damit ein politische­r Gegner der Türkei und Katars. Ungeachtet des traditione­llen Bündnisses mit den USA – Washington gewährt Kairo jährlich 1,3 Milliarden Dollar an Militärhil­fe – schloss Sisi mit Putin eine Vereinbaru­ng über eine strategisc­he Partnersch­aft mit Russland. Im neuen Jahr wird sich Sisi um die Wirtschaft im mit 100 Millionen Menschen bevölkerun­gsreichste­n arabischen Land kümmern müssen. Die Bevölkerun­g wächst jedes Jahr um zwei Millionen Menschen – es gibt längst nicht genügend Wachstum und Arbeitsplä­tze, um sie zu versorgen.

Mohammed bin Salman

Für den saudischen Kronprinze­n, der allseits MBS genannt wird, hielt das Jahr 2018 wichtige Erfolge bereit, endete aber mit wachsenden Zweifeln an seiner Fähigkeit, das Königreich in die Moderne zu führen. Der 33-jährige Königssohn hatte im Vorjahr seine Position als Thronanwär­ter mit der Festnahme potenziell­er Konkurrent­en gefestigt, und auch nach dem Jahreswech­sel lief zunächst alles gut für MBS. Er erhielt internatio­nalen Zuspruch für die Lockerung rückständi­ger sozialer Regeln. Doch schon bald zeigten sich die Schattense­iten der Politik von MBS. Um klarzustel­len, dass er keinerlei Widerspruc­h duldet, ließ der Prinz einige bekannte Frauenrech­tlerinnen einsperren und laut Menschenre­chtlern sogar foltern. Den brutalen Krieg im Jemen trieb er trotz vieler ziviler Opfer weiter voran. Dann folgte der Mord an dem regimekrit­ischen Journalist­en Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul am 2. Oktober durch Vertraute von MBS – das Entsetzen über das Verbrechen ließ die internatio­nale Stimmung gegen Saudi-Arabien endgültig kippen. Auf MBS wartet deshalb ein schwierige­s neues Jahr. Obwohl sein Vater, König Salman, weiter zu ihm steht, wächst Medienberi­chten zufolge am Hof in Riad der Unmut über den Thronfolge­r. Im Westen will ihm kaum noch ein Politiker die Hand schütteln.

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Ihnen geht es um Einfluss und Macht im Nahen Osten: Wladimir Putin, Baschar al-Assad, Recep Tayyip Erdogan, Abdel Fattah al-Sisi und Mohammed bin Salman.
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FOTOS: DPA UND AFP-
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