Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tokio will wieder mehr Walfleisch auf den Tellern
Japan kündigt internationales Moratorium auf – Regierung will angeblich nationale Kultur erhalten
TOKIO - Vom nächsten Sommer an will Japan wieder Wale kommerziell jagen. Nicht nur Umweltschützer verurteilen das Verhalten der Regierung in Tokio.
Eine Überraschung ist der am Mittwoch verkündete Beschluss der Tokioter Regierung allerdings nicht. Schon bei der jüngsten Generalversammlung der Internationalen Walfangkommission (IWC) Anfang September in Brasilien hatte Japan angedroht, das seit 1986 mehr oder weniger verbindlich geltende Moratorium zum Walschutz zu verlassen, wenn es für seine Fänger keine Sonderkonditionen gibt. Einzelne Bestände – wie die Zwergwale – hätten sich inzwischen so weit erholt, dass ihre Erhaltung durch die Nutzung der Walressourcen nicht mehr gefährdet seien, argumentierten die Japaner. Die Kommission wies das zurück.
Künftig darf nun wieder kommerziell gejagt werden. Bisher hatte Japan nur darauf bestanden, eine limitierte Anzahl Wale zu „wissenschaftlichen Zwecken“abzuschießen. Zwar soll die Jagd auf die Meeressäuger zunächst auf Regionen vor der japanischen Küste beschränkt sein. „Wir werden nicht in den antarktischen Gewässern oder in der südlichen Hemisphäre jagen“, sicherte Regierungssprecher Yoshihide Suga zu. Gleichzeitig machte er jedoch klar, dass sich sein Land nicht mehr an irgendwelche Verpflichtungen gebunden fühle.
Umweltschützer sind entsetzt
Außer dem asiatischen Inselreich betreiben hauptsächlich noch Island und Norwegen Walfang, beide Staaten auch zu kommerziellen Zwecken. Norwegen – das Land, das die meisten Wale jagt – hatte gegen das Walfang-Moratorium Einspruch erhoben, Island Vorbehalte angemeldet.
Umweltschützer – auch im eigenen Land – sind entsetzt. Der Präsident von Greenpeace Japan, Sam Annesley kritisierte, dass sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt offen gegen die internationale Gemeinschaft stelle. Auch die Umweltschutzorganisation WWF zeigte sich „bestürzt“und rief Japan auf, in der IWC zu bleiben. Dass Japan „kommerzielle und nicht nachhaltige Walfanginteressen über globale Schutzbemühungen“stelle, erfolge zu einer Zeit, da Wale einer nie dagewesenen Bedrohung unter anderem durch Beifang, den Schiffsverkehr, Lärm, Plastik, chemische Verschmutzung und dem Klimawandel ausgesetzt seien, hieß es.
OceanCare befürchtet, dass Japans Austritt aus der IWC das Überleben einiger Walpopulationen auch im Nordwestpazifik gefährden wird. Sie widersprach zudem Japans Behauptung, bestimmte Walarten wie die Zwergwale hätten sich wieder deutlich erholt. Diese kämen in „komplexen Populationsstrukturen“vor. So gelte ein Zwergwalbestand im Nordwestpazifik als stark gefährdet. „Einer direkten kommerziellen Bejagung wird diese Population nicht Stand halten. Wir werden daher diese und vermutlich auch andere Walpopulationen verlieren“, kritisierte Nicolas Entrup, Ocean Policy Experte bei OceanCare. Der japanische Kabinettschefsekretär Yoshihide Suga machte hingegen kein Geheimnis daraus, dass künftig der Verzehr von Walfleisch in Japan nicht länger verschämt getarnt werde. Es gebe eine „reiche Walfang-Kultur, die an die nächste Generation weiter gereicht wird“, sagte der Regierungssprecher.
Einst wichtige Proteinquelle
Auch heftige Proteste konnten den Japanern den Kampf um ihr „Recht“auf Walfleisch bislang nicht verderben. Die weltweite Kritik prallt am nationalen Eigensinn wirkungslos ab. Zwar stimmt es durchaus, dass nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg die hungernde Bevölkerung Japans Walfleisch als wichtige ProteinQuelle genutzt hatte. Aber diese Notzeiten sind längst vorbei und der Appetit der Japaner auf anderen Fisch oder auch Fleisch dominiert die Speisepläne. Das wird sich nach Ansicht der Regierung in Tokio jedoch schnell ändern, sobald Japan vom kommenden Jahr an wieder kommerziell Walfang betreibt. Derzeit kämen jährlich „nur“rund 5000 Tonnen Walfleisch auf den Markt, hieß es. Vor Inkrafttreten des Moratoriums seien 20 000 Tonnen konsumiert worden.
Dass in den vergangenen Jahren weniger Wale auf den Tisch kamen, liegt aber vor allem daran, dass das Fleisch den Japanern eigentlich gar nicht schmeckt. Doch die Walfischerei-Lobby preist die angeblichen Vorzüge des tranig schmeckenden Walfleisches hartnäckig an. Ein wichtiges Argument: Ein japanisches Büro-Essen muss billig und nahrhaft sein, vor allem aber schnell gehen, denn die 30 Minuten Mittagspause sind kurz.