Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Verspätet, altbacken, unterfinanziert – und doch beliebt wie nie
Bahnchef Richard Lutz muss 2019 sein Unternehmen endlich in die Spur bringen
BERLIN - Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erwartet schnelle Verbesserungen im Angebot der Deutschen Bahn. Ob das tatsächlich möglich ist, werden die kommenden Monate zeigen. Mitte Januar müssen Bahnchef Richard Lutz und Netzvorstand Ronald Pofalla nach Informationen der „Welt am Sonntag“im Bundesverkehrsministerium Eckpunkte für Maßnahmen zur Verbesserung der Lage vorstellen. Die „Schwäbische Zeitung“analysiert die fünf großen Problem der Bahn.
Unzuverlässig: Nur sieben von zehn Zügen erreichen pünktlich ihr Ziel. Mal fallen Reservierungsanzeigen aus, mal ändert sich kurz vor dem Start die Wagenreihung, mal fahren überfüllte Züge am Bahnhof durch, mal fallen Toiletten aus. Immer wieder überrascht die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste mit neuen Widrigkeiten. Das ist aus Sicht der Bundesregierung die zunächst wichtigste Baustelle im Konzern. „Wir brauchen eine Bürgerbahn, die den Namen verdient“, fordert Scheuer. Die Qualität beim Bahnfahren müsse im neuen Jahr schnellstens wieder steigen. Ein Erfolg wird sich aber wohl eher langsam einstellen, da die Schwierigkeiten groß sind. Nur jeder fünfte ICE ist technisch voll einsatzfähig. Es fehlen derzeit rund 5800 Fachleute, unter anderem Lokführer und Werkstattpersonal. Das Unternehmen stellte zwar allein in diesem Jahr 20 000 neue Beschäftigte ein. Doch bis ein Bewerber zum Lokführer oder in anderen Fächern ausgebildet ist, vergehen Monate. Dazu kommen bis zu 800 Baustellen gleichzeitig, die für Verspätungen sorgen. Schließlich sind die großen Knotenbahnhöfe so überlastet, dass der Fahrplan schnell durcheinander gerät. Verspätungen in Köln, Hamburg oder München wirken sich schnell auf den Zugverkehr im ganzen Land aus. Besser werden kann die Koordination innerhalb der Bahn, zum Beispiel zwischen den Instandhaltungswerken und den Startbahnhöfen. Helfen wird auch das erweiterte Böschungsmanagement, mit dem Streckensperrungen durch umgefallene Bäume bei Stürmen verhindert werden können. Scheuer lässt all diese Gründe nur noch bedingt gelten. „Nun müssen konkrete Ergebnisse schnell dazu führen, dass die Leute sagen: Es hat sich verbessert“, stellte der Minister klar.
Unmodern: Da in den vergangenen ●
Jahrzehnten viel zu wenig in das System Schiene investiert wurde, sind weite Teile des Schienennetzes veraltet. Wichtigste Baustelle hier ist die Digitalisierung des Netzes und der Steuerungstechnik. Bis Mitte des kommenden Jahrzehnts will der Bahnvorstand wichtige Magistralen mit dem elektronischen Zugsteuerungssystem ETCS ausstatten. Davon erhofft sich das Unternehmen zusätzliche Verkehrskapazitäten. Es könnten 20 Prozent mehr Züge auf die Strecke gebracht werden. Pünktlicher wird es zudem, wie die im vergangenen Jahr eröffnete Neubaustrecke zwischen Berlin und München zeigt, auf der es diese Technik bereits gibt. Hier kommen neun von zehn Zügen fahrplangemäß an. Auch vermeintliche Kleinigkeiten sind noch nicht vollständig erledigt, zum Beispiel die Ausstattung der Weichen mit Heizungen für eisige Temperaturen.
Unterfinanziert: Doch die Digitalisierung ● kostet Milliardenbeträge, von denen noch niemand weiß, wer sie am Ende aufbringen kann. Zugleich werden hohe Investitionen in die Instandhaltung des Netzes, zum Beispiel für die Sanierung von maroden Brücken benötigt. Der Gewinn des Konzerns reicht nicht aus, um all diese Ausgaben zu bezahlen. Der chronisch defizitäre Güterverkehr und der Preiskampf mit Bussen und Flugzeugen im Fernverkehr sorgen für schrumpfende Überschüsse. Zudem ist die Bundesregierung für die Instandhaltung des Netzes finanziell verantwortlich. „Es gibt eine Finanzdebatte“, räumt Scheuer zwar ein. Doch erst wolle er Verbesserungen sehen. Die Bahn selbst will in den kommenden Jahren zusätzlich fünf Milliarden Euro in neue Züge und die Modernisierung des Netzes stecken. Bis zum März muss Bahnchef Richard Lutz seinem Aufsichtsrat erklären, woher das Geld kommen soll. Denkbar ist ein Teilverkauf der britischen Tochter Arriva, die allerdings hohe Gewinne erwirtschaftet und in die Konzernkasse überweist. Neue Schulden kann die Bahn nur noch in begrenztem Umfang aufnehmen. Mit 20 Milliarden Euro steht das Unternehmen schon in der Kreide. Damit ist die vorgegebene Obergrenze fast erreicht. Die wichtigsten Entscheidungen zur Finanzierung stehen 2019 an. Denn da handeln Bahn und Bund auch eine neue Finanzierungsvereinbarung für die Instandhaltung der Infrastruktur aus. Ohne eine ausreichende Finanzierung ist die politische Vorgabe einer Verdoppelung des Personenverkehrs bis 2030 zu erreichen, nicht realistisch.
Unstrukturiert: Aus der Bundesregierung ● wird auch Kritik an der Konzernstruktur laut. Die verschiedenen Geschäftsfelder arbeiten demnach mitunter eher gegeneinander als miteinander. Bahnchef Lutz hat es wie seine Vorgänger bisher nicht geschafft, aus der Mannschaft mit weltweit 300 000 Beschäftigten auch ein Team zu formen. Die Grünen und die FDP fordern eine Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn. Für die Trassen wäre dann der Staat alleine zuständig. Doch darauf will sich die Bundesregierung nicht einlassen. Auch die Bahn selbst und die Gewerkschaften sind dagegen.
Zu beliebt:
Ausgerechnet die wachsende Beliebtheit der Bahn bei den Reisenden wird zum Problem. Auch in diesem Jahr wird das Unternehmen wohl einen neuen Fahrgastrekord vermelden. Da jedoch Züge und Netzkapazitäten fehlen, drängeln sich die Passagiere immer häufiger in vollen Zügen oder kommen auf den Bahnsteigen der Knotenbahnhöfe kaum zu Fuß voran.