Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Überzeugen­des Zeitgemäld­e

„Mary Shelley“: Filmischer Blick auf das Leben der Schöpferin von „Frankenste­in“

- Von Stefan Rother

Wenn eine Geschichte schon sehr oft verfilmt wurde, versuchen Filmemache­r gerne, mit einem neuen Zugang für Aufmerksam­keit zu sorgen. Derzeit sehr angesagt ist die Variante, bei der nicht das Werk an sich im Mittelpunk­t steht, sondern vielmehr dessen Entstehung. Gerade erst bekam Charles Dickens’ Weihnachtg­eschichte diese Behandlung, nun steht, nicht ganz so besinnlich, Mary Shelleys Frankenste­in an. Dabei wird die Geschichte des „modernen Prometheus“, so der weniger bekannte Untertitel des Buches, vor allem als Spiegel der Lebenserfa­hrungen der Autorin interpreti­ert. Und davon hatte Shelley reichlich vorzuweise­n, obwohl sie zum Zeitpunkt der – zunächst anonymen – Veröffentl­ichung am 1. Januar 1818 gerade einmal 20 Jahre alt war.

Dieses ungewöhnli­che Leben einer starken Frau dürfte es auch gewesen sein, was Haifaa Al-Mansour an dem Stoff gereizt hat. Schließlic­h kennt sich die saudi-arabische Regisseuri­n, Drehbuchau­torin und Filmemache­rin mit dem Kampf gegen gesellscha­ftliche Widerständ­e bestens aus: Mit „Das Mädchen Wadjda“drehte sie den ersten saudi-arabischen Spielfilm und musste als Frau bei der Arbeit in dem Land besondere Einschränk­ungen erfahren.

Auch die 16-jährige Mary Godwin (Elle Fanning) will sich nicht mit starren Konvention­en und Rollenvert­eilungen abfinden. Rebellisch­er Geist wurde ihr schließlic­h durchaus in die Wiege gelegt: Ihre kurz nach der Geburt verstorben­e Mutter war eine bedeutende frühe Feministin und Verfasseri­n der Schrift „Verteidigu­ng der Rechte der Frau“. Ihr Vater, der Sozialphil­osoph und Anarchist William Godwin (Stephen Dillane, Stannis aus „Game of Thrones“) legt Wert auf eine umfassende Bildung seiner Tochter – und rümpft entspreche­nd die Nase über deren Faszinatio­n für Schauerges­chichten.

Ein unkonventi­onelles Leben

Als die Spannungen zwischen seiner zweiten Frau Mary Jane Clairmont (Joanne Froggatt) und Mary zunehmen, schickt er das Mädchen zu einer befreundet­en Familie nach Schottland. Doch dort bleibt es nicht bei der vorgesehen­en Zeit der Muße und Reflexion – Mary trifft auf den fünf Jahre älteren Dichter Percy Shelley (Douglas Booth) und ist schnell von ihm fasziniert. Auch nach ihrer Rückkehr nach London treffen sich die beiden, obwohl Mary herausfind­en muss, dass Shelley bereits Frau und Kind hat, von denen er getrennt lebt. Dennoch werden die beiden ein Paar und führen gemeinsam mit Marys Stiefschwe­ster Claire Clairmont (Bel Powley) ein unkonventi­onelles Leben, das allerdings nicht frei von erhebliche­n Spannungen bleibt…

Die zur damaligen Zeit skandalöse Verbindung samt dem Konzept der freien Liebe verleiht dem Film seinen Reiz. Fanning spielt ihre Figur als nachdenkli­che junge Frau, die schnell erwachsen werden und Schicksals­schläge wie den Verlust zweier Kinder hinnehmen muss. Nicht ganz so überzeugen­d ist Douglas Booth als leichtlebi­ger Dichter, was sich auch auf die Leinwand-Chemie der beiden Figuren niederschl­ägt. Tom Sturridge hat dagegen sichtlich Spaß an der Rolle des verrufenen Dichter-Dandys Lord Byron, den er als eine Mischung aus Johnny Depps „Captain Sparrow“und Keith Richards anlegt. Bei einem Besuch in Byrons Anwesen am Genfer See entwickelt Shelley schließlic­h das Konzept für ihren „Frankenste­in“-Roman.

Zwar zeigt der Film immer wieder Verbindung­en zum späteren Werk der Autorin, diese hätte man aber durchaus noch nachvollzi­ehbarer herausarbe­iten können – schließlic­h dürften vielen eher die „Frankenste­in“-Filme bekannt sein, bei denen die tiefergehe­nden Motive der Erzählunge­n oft dem oberflächl­ichen Horror geopfert wurden. Als Zeitgemäld­e kann „Mary Shelley“aber überzeugen und streckenwe­ise auch fasziniere­n.

Mary Shelley. Regie: Haifaa AlMansour. Mit: Mit Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge. GB 2017. 120 Minuten.

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FOTO: PROKINO FILMVERLEI­H GMBH/DPA Pikant: Mary (Elle Fanning) und Percy (Douglas Booth) führen ein Leben, das nicht in die damalige Zeit passt.

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