Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im Ruhestand zum Doktortitel
Lilo Rademacher, ehemalige IG-Metall-Chefin in Friedrichshafen, hat ein hohes Ziel
FRIEDRICHSHAFEN - Wer in Rente geht, steckt sich meist neue Ziele: Mehr Reisen, ein besonderes Hobby oder Zeit für sich und die Enkelkinder. Neue Ziele hat auch Lilo Rademacher, die bis 2012 Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Friedrichshafen war und 2014 in den Ruhestand gegangen ist. 2015 hat sie die Arbeit an ihrer Doktorarbeit aufgenommen: „Es war schon immer ein Traum von mir, zu promovieren.“
Das Thema ist nicht weit weg von ihrer beruflichen Tätigkeit. „Es geht um den ERA-Tarifvertrag, unter geschlechterspezifischen Gesichtspunkten betrachtet“, erklärt Rademacher. Die Frage: Werden Frauen im ERA-Geltungsbereich, also in metallverarbeitenden Betrieben, genau so bezahlt und befördert wie Männer?
Dazu gebe es bisher so gut wie keine Informationen oder Quellen. Aus ihrer Zeit als ehemalige Chefin der IG Metall verfügt sie noch über gute Kontakte. Einige Unternehmen in der Region haben sich bereiterklärt, sie zu unterstützen. Dafür sind Gespräche mit Verantwortlichen in der Personalabteilung und den Betriebsräten erforderlich, für die sie zwei Fragebögen entwickelt hat. Schließlich sind für die Promotion belastbare Daten erforderlich.
Seminare in Darmstadt
Ab und zu trifft sich Rademacher mit anderen Doktoranden aus Weingarten zu einer Lesegruppe. Unterstützung bekommt sie für ihre Arbeit von Professor Ulrich Brinkmann von der Technischen Universität Darmstadt. Der Soziologe betreut sie als Doktorvater. Dafür fährt sie etwa vier- fünfmal im Jahr nach Darmstadt, wo am Wochenende Seminare für Promovierende stattfinden. Die größte Herausforderung? „Ich muss mich selbst völlig zurücknehmen, das ist mir besonders am Anfang sehr schwer gefallen“, gibt Rademacher zu. Überhaupt sei sie zu Beginn sehr ehrgeizig gewesen, aber zwischenzeitlich habe sie eine gute Balance gefunden.
Bis ihre Promotionsarbeit fertig ist, rechnet sie noch mit zwei Jahren. Auch sonst ist die 70-Jährige viel unterwegs. Sie ist immer noch als Schiedsstellenvorsitzende tätig und trägt damit zur außergerichtlichen Lösung von betrieblichen Konflikten zwischen Unternehmen und Beschäftigten bei. Außerdem arbeitet sie im Beirat einer Zeitschrift. Als Vorsitzende des Bundes der Antifaschistinnen und Antifaschisten Bodensee-Oberschwaben organisiert sie viele Veranstaltungen, darunter die jährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem KZ-Friedhof Birnau.
Bleibt da noch Zeit übrig? „Klar, schließlich gehe ich zwei- bis dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio“, sagt sie. Zum Freizeitprogramm gehört im Winter Skifahren und im Sommer Bergwandertouren, gerne auch mehrtägig. Über Silvester geht’s ins Montafon zum Skifahren. Die Promotion hat solange Pause.