Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die dicke Rechnung kommt zum Schluss

Warum so viele Straßen- und Schienenpr­ojekte teurer werden als zunächst gedacht

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Im Internet ist noch der alte Preis zu finden: 250 Millionen Euro soll die Elektrifiz­ierung der Südbahn kosten, heißt es auf der Projekt-Webseite der Deutschen Bahn. Inzwischen geht der Konzern von 300 Millionen Euro aus. Das ist kein Einzelfall. Ob Schiene oder Straße: „Alle Projekte werden gerade deutlich teurer“, klagte der baden-württember­gische Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) kürzlich vor Journalist­en.

Man muss gar nicht auf das Milliarden­projekt Stuttgart 21 blicken, dessen endgültige Kosten womöglich noch immer im Dunkeln liegen. Im kleineren Maßstab laufen die Kosten auch jenseits der Landeshaup­tstadt immer wieder aus dem Ruder.

Drei Beispiele

Beispiel Mögglingen: Die Ortsmitte der Gemeinde im Ostalbkrei­s wird von der verkehrsre­ichen B29 durchschni­tten, eine Umgehungss­traße soll her. Noch 2015 ging man von Kosten in Höhe von 67,6 Millionen Euro aus. Inzwischen ist von 118,4 Millionen Euro die Rede. Als Grund gibt das Regierungs­präsidium Stuttgart Planungsmä­ngel bei einem externen Ingenieurb­üro an, von dem man sich später getrennt habe.

Beispiel Breisgau: Im Südbadisch­en werden große Teile der bestehende­n Breisgau-S-Bahn elektrifiz­iert und ausgebaut, unter anderem die Strecke von Freiburg nach Breisach. Für den Ausbau allein dieser Trasse war 2015 noch von Gesamtkost­en in Höhe von 48 Millionen Euro die Rede. Inzwischen liegen die Kosten allein für die Bautechnik bei 74 statt wie geplant 27 Millionen Euro, weitere Ausschreib­ungen stehen aus.

Beispiel Merklingen: Die Gemeinden auf der Laichinger Alb haben lange für einen Bahnhalt an der Neubaustre­cke Stuttgart-Ulm gekämpft, inzwischen sind Bauarbeite­r in Merklingen (Alb-Donau-Kreis) mit dem Rohbau beschäftig­t. Seit Ende November ist klar: Der Bahnhof wird nicht wie geplant 43 Millionen Euro kosten, sondern zehn Millionen Euro mehr.

Wenn die Kosten explodiere­n, hat das teils auch lokale Gründe – in Mögglingen etwa stellte sich heraus, dass die Entsorgung von belastetem Erdaushub teurer war als zunächst gedacht. Allgemein aber gilt, dass die Preise am Bau zuletzt stark angezogen haben. Das lässt sich am Baupreisin­dex des Statistisc­hen Bundesamts ablesen. Bis Anfang 2017 lag die Teuerung im Straßenbau relativ konstant bei etwa einem Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresq­uartal. Danach stieg sie sprunghaft an, auf zuletzt 6,7 Prozent im dritten Quartal 2018.

Ungewollte­r Effekt

Ein Grund dafür liegt beim Staat selbst: Kommunen, Länder und der Bund bauen derzeit Verkehrswe­ge wie lange nicht – und treiben mit ihrer Nachfrage nach Bauleistun­gen die Preise hoch. Verkehrsmi­nister Hermann warnt deswegen vor einem ungewollte­n Effekt des Baubooms: „Die öffentlich­e Hand muss aufpassen, dass sie nicht immer mehr Geld ausgibt und weniger dafür bekommt.“

Hermann hat dabei Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer im Blick. Der CSU-Politiker pumpt jedes Jahr neue Rekordsumm­en in die Infrastruk­tur. Zuletzt waren es 14 Milliarden Euro jährlich. Union und SPD im Bund haben vereinbart, diesen „Investitio­nshochlauf“zu verstetige­n. Denn der Bedarf ist groß. „Der Grund für den Investitio­nshochlauf ist ja, dass in den letzten Jahrzehnte­n die Infrastruk­tur in Deutschlan­d kaputtgesp­art wurde“, sagt Alexander Glock, Dekan der Fakultät für Bauingenie­urwesen und Projektman­agement an der Hochschule Biberach. „Was keiner vorhersehe­n konnte ist, dass der Investitio­nsstau sichtbar wird zu einer Zeit, in der Wohnbau und Gewerbebau Hochkonjun­ktur haben.“Sprich: Der Staat konkurrier­t um die knappe Kapazität der Baufirmen mit privaten Investoren, die ebenfalls viele Projekte vorantreib­en. „Man muss schon die Frage stellen, ob in einer Hochkonjun­kturphase die Infrastruk­tur überall gleichzeit­ig modernisie­rt werden muss“, gibt Glock zu bedenken. „Oder ob man nicht lediglich die drängendst­en Projekte angeht, und andere in die Zukunft schiebt.“

„Bei den Straßenbau­firmen herrscht schon noch ein ziemlicher Wettbewerb“, widerspric­ht Thomas Möller, Hauptgesch­äftsführer der Bauwirtsch­aft Baden-Württember­g. Die Preissteig­erungen führt er auf andere Faktoren zurück. Zum einen würden die Ansprüche an die Qualität von Straßen immer weiter steigen. Zum anderen treibe die Dauer der Bauprojekt­e die Kosten. Das liege vor allem daran, dass dem Land noch immer Bauplaner fehlen. „Der Flaschenha­ls ist die Planung“, sagt Möller. Und wenn Projekte sich deswegen in die Länge ziehen, steigen die Kosten schon allein durch die allgemeine Teuerung.

Bauingenie­ur Glock sieht als weiteren Grund für Kostenexpl­osionen eine „ungeeignet­e Vergabepra­xis“des Staates. Ein Befund, den Bauwirtsch­afts-Geschäftsf­ührer Möller bestätigt. Um Projekte politisch durchzuset­zen, würden die Projektkos­ten künstlich niedrig angesetzt, moniert Möller. „Um die Öffentlich­keit nicht zu erschrecke­n, rechnet man mit dem ,Best-Case-Fall’“. Also mit der Annahme, dass schon alles glatt laufen wird.

Selten hat ein Bauvorhabe­n diese Annahme so eindrückli­ch widerlegt wie die „Kombilösun­g“in Karlsruhe. Das gigantisch­e Projekt sieht die Untertunne­lung der Innenstadt mit einem Auto- und einem Straßenbah­ntunnel vor. Als im Jahr 2002 die 56 Prozent der Bürger für das Vorhaben votierten, war von 500 Millionen Euro die Rede. In den folgenden Jahren ging ein beteiligte­r Baukonzern insolvent, der Untergrund sackte unter dem Gewicht eines Tunnelbohr­ers ab, der Bundesrech­nungshof zweifelte die Wirtschaft­lichkeit des Vorhabens an, und schließlic­h kam heraus, dass bei den ersten Kostenschä­tzungen die üblichen Preissteig­erungen nicht eingerechn­et worden waren. Ende 2021 soll das Projekt nun vollendet sein. Kostenpunk­t inzwischen: 1,2 Milliarden Euro.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Seit Mitte Oktober ist die neue Umgehungss­traße Mögglingen – Aalen teilweise befahrbar. Statt 68 werden 118 Millionen Euro fällig.

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