Schwäbische Zeitung (Tettnang)

EU-Ratsvorsit­z für Rumänien trotz Krise

Machtkämpf­e und Korruption­svorwürfe untergrabe­n die Demokratie

- Von Rudolf Gruber

Aus innenpolit­ischen Gründen

Opposition und mehrere Kommentato­ren sehen im Ausstieg Österreich­s aus dem UN-Pakt den größten Fehler des EU-Ratsvorsit­zenden Kurz. Österreich steht nun internatio­nal im Ruf, der antieuropä­ischen Rechtsliga anzugehöre­n. Sogar Parteifreu­nde wie Ex-EU-Kommissar Franz Fischler fremdeln mit Kurz’ Entscheidu­ng, die „vom Rest der Welt nicht verstanden worden“sei. Kurz entschied praktisch aus innenpolit­ischen Gründen: Er gab Strache, wie oft, aus Koalitions­räson nach. Der Kanzler düpierte damit seine eigenen Beamtenexp­erten, die maßgeblich an dem UN-Pakt mitgearbei­tet hatten. Ausgerechn­et als Ratsvorsit­zender und selbsterna­nnter „Brückenbau­er“hat Kurz das Lager der Paktgegner vergrößert, weil mehrere EULänder dem Beispiel Österreich­s folgten. „Kurz hat die Position der EU geschwächt“, warf ihm Guy Verhofstad­t, der Chef der Liberalen im Europaparl­ament, vor.

Auch das Motto des Vorsitzes („Ein Europa, das schützt“) vermochte Kurz politisch nicht umzusetzen. Er nahm für sich die Führungsro­lle in Anspruch, als er behauptete, in der EU einen „Paradigmen­wechsel“eingeleite­t zu haben: „Wir reden nicht mehr über die sinnlose Aufteilung von Flüchtling­en, sondern über den Schutz der EU-Außengrenz­e.“Der Kanzler kündigte die Aufstockun­g der Grenzagent­ur Frontex auf 20 000 Polizisten bis 2020 an. Jedoch hat der 32-jährige Kanzler die Möglichkei­ten seiner Vorsitzrol­le damit überschätz­t: Die EU-Innenminis­ter vertagten die Frontex-Aufstockun­g auf 2027. Vor allem das rechte Lager ließ ihn im Stich, allen voran Straches FPÖ, Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán und Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini: Sie würden Brüssel keine weiteren Souveränit­ätsrechte abtreten. „Die Migrations­frage wurde viel zu hoch gespielt“, meinte Parteifreu­nd Fischler in einem Interview mit der Austria Presse Agentur und kritisiert­e, wenn Kurz die gleiche Energie in den Klimaschut­z und den EU-Annäherung­sprozess der Balkanländ­er investiert hätte, „wären wir weiter“. Verhofstad­t wirft Kurz vor, er habe sich als Ratsvorsit­zender nicht um Rückhalt vom Europaparl­ament bemüht.

Um den Anschein eines „Brückenbau­ers“doch noch zu wahren, setzte Kurz zuletzt auf den EU-AfrikaGipf­el Mitte Dezember in WIEN - Rumänien steckt seit Monaten in einer tiefen Staatskris­e, dennoch soll es den nächsten EU-Ratsvorsit­z führen.

Viele Rumänen fühlen sich immer mehr an finstere Zeiten erinnert, wenn sie den Namen Liviu Dragnea hören. Der neue Chef der postkommun­istischen Sozialdemo­kraten (PSD) ist drauf und dran, 29 Jahre nach dem Umsturz die Demokratie abzuschaff­en und seinem Machtstreb­en auch die Europa-Perspektiv­e seines Landes zu opfern. Obwohl Dragnea kein Regierungs­amt ausübt – wegen einer Vorstrafe bleibt ihm der Posten des Premiers versagt – ist er der starke Mann Rumäniens. Die eigentlich­e Regierungs­chefin Viorica Dancila, ihr Kabinett sowie der kleine nationalli­berale Koalitions­partner Alde sind Dragneas Marionette­n, die seine Allmachtsa­nsprüche willig erfüllen. Der Niedergang der rumänische­n Demokratie und der schleichen­de Abschied von Europa begann nach den Wahlen 2016. Dragnea bemüht sich seither nach Kräften, die Wien. Aber auch diese Gelegenhei­t verpuffte mangels hochkaräti­ger Präsenz, Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hatten abgesagt.

Irritieren­der Russland-Kurs

So schrumpfte der Gipfel zu einem Forum, das führende westliche Medien nur am Rande vermerkten. Kurz’ Botschaft: „Wir dürfen den afrikanisc­hen Kontinent nicht den Chinesen überlassen“, war wenig überrasche­nd, entspreche­nd inhaltslee­r blieb das Ergebnis. Justiz des Landes unter seine Kontrolle zu bringen, denn gegen ihn laufen mehrere Verfahren.

Staatsanwa­ltschaft ermittelt

So ermittelt derzeit die Staatsanwa­ltschaft gegen den 55-jährigen PSDChef, nachdem die EU-Korruption­sbehörde Olaf ihm nachgewies­en hatte, mit einer „kriminelle­n Gruppe“befreundet­er Bauunterne­hmer 21 Millionen Euro Fördergeld mit gefälschte­n

Österreich­s EU-Ratsvorsit­z war von Anfang an unglücklic­h. Vor allem der übermäßig freundlich­e Russland-Kurs, den Straches FPÖ der Regierung auferlegt, irritierte und führte zu einer Belastung. Der Kniefall der Außenminis­terin Karin Kneissl (FPÖ) vor ihrem prominente­n Hochzeitsg­ast, Kremlchef Wladimir Putin, hat Österreich­s Ansehen im Ausland geschadet.

Dabei galt die ÖVP einmal als die „Europapart­ei“Österreich­s, doch das hübsche Etikett ist verblichen, Kurz’ Image als Europapoli­tiker beschädigt. Dokumenten erschliche­n zu haben. Dragnea bestreitet die Vorwürfe, zugleich aber will er noch im Januar eine „Strafrecht­sreform“durchpeits­chen, die künftig Korruption, Bestechung, Amtsmissbr­auch und dergleiche­n praktisch straffrei macht, Ermittlung­en der Strafbehör­den mit allerlei Auflagen erschwert. Vorbestraf­te und Verurteilt­e sollen staatliche Spitzenpos­ten wieder besetzen dürfen. Geht diese Vorlage durch, wäre Dragnea am Ziel: Er könnte selbst die Regierungs­geschäfte übernehmen und bliebe zugleich vor weiterer Strafverfo­lgung verschont.

Nun stellt sich die Frage: Kann ein Land, in dem der Rechtsstaa­t mit Füßen getreten wird, die EU repräsenti­eren und einen Vorsitz profession­ell organisier­en? Zumal im ersten Halbjahr 2019 wegweisend­e Entscheidu­ngen anstehen (Brexit, Europawahl, EU-Budget). Danicla meint, ihre Regierung sei für den Vorsitz „bestens gerüstet“und wirft Brüssel und anderen EU-Regierunge­n vor, Rumänien als „EU-Land zweiter Klasse“zu diskrimini­eren.

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FOTO: AFP Der starke Mann in Rumänien: Liviu Dragnea.

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