Schwäbische Zeitung (Tettnang)
EU-Ratsvorsitz für Rumänien trotz Krise
Machtkämpfe und Korruptionsvorwürfe untergraben die Demokratie
Aus innenpolitischen Gründen
Opposition und mehrere Kommentatoren sehen im Ausstieg Österreichs aus dem UN-Pakt den größten Fehler des EU-Ratsvorsitzenden Kurz. Österreich steht nun international im Ruf, der antieuropäischen Rechtsliga anzugehören. Sogar Parteifreunde wie Ex-EU-Kommissar Franz Fischler fremdeln mit Kurz’ Entscheidung, die „vom Rest der Welt nicht verstanden worden“sei. Kurz entschied praktisch aus innenpolitischen Gründen: Er gab Strache, wie oft, aus Koalitionsräson nach. Der Kanzler düpierte damit seine eigenen Beamtenexperten, die maßgeblich an dem UN-Pakt mitgearbeitet hatten. Ausgerechnet als Ratsvorsitzender und selbsternannter „Brückenbauer“hat Kurz das Lager der Paktgegner vergrößert, weil mehrere EULänder dem Beispiel Österreichs folgten. „Kurz hat die Position der EU geschwächt“, warf ihm Guy Verhofstadt, der Chef der Liberalen im Europaparlament, vor.
Auch das Motto des Vorsitzes („Ein Europa, das schützt“) vermochte Kurz politisch nicht umzusetzen. Er nahm für sich die Führungsrolle in Anspruch, als er behauptete, in der EU einen „Paradigmenwechsel“eingeleitet zu haben: „Wir reden nicht mehr über die sinnlose Aufteilung von Flüchtlingen, sondern über den Schutz der EU-Außengrenze.“Der Kanzler kündigte die Aufstockung der Grenzagentur Frontex auf 20 000 Polizisten bis 2020 an. Jedoch hat der 32-jährige Kanzler die Möglichkeiten seiner Vorsitzrolle damit überschätzt: Die EU-Innenminister vertagten die Frontex-Aufstockung auf 2027. Vor allem das rechte Lager ließ ihn im Stich, allen voran Straches FPÖ, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und Italiens Innenminister Matteo Salvini: Sie würden Brüssel keine weiteren Souveränitätsrechte abtreten. „Die Migrationsfrage wurde viel zu hoch gespielt“, meinte Parteifreund Fischler in einem Interview mit der Austria Presse Agentur und kritisierte, wenn Kurz die gleiche Energie in den Klimaschutz und den EU-Annäherungsprozess der Balkanländer investiert hätte, „wären wir weiter“. Verhofstadt wirft Kurz vor, er habe sich als Ratsvorsitzender nicht um Rückhalt vom Europaparlament bemüht.
Um den Anschein eines „Brückenbauers“doch noch zu wahren, setzte Kurz zuletzt auf den EU-AfrikaGipfel Mitte Dezember in WIEN - Rumänien steckt seit Monaten in einer tiefen Staatskrise, dennoch soll es den nächsten EU-Ratsvorsitz führen.
Viele Rumänen fühlen sich immer mehr an finstere Zeiten erinnert, wenn sie den Namen Liviu Dragnea hören. Der neue Chef der postkommunistischen Sozialdemokraten (PSD) ist drauf und dran, 29 Jahre nach dem Umsturz die Demokratie abzuschaffen und seinem Machtstreben auch die Europa-Perspektive seines Landes zu opfern. Obwohl Dragnea kein Regierungsamt ausübt – wegen einer Vorstrafe bleibt ihm der Posten des Premiers versagt – ist er der starke Mann Rumäniens. Die eigentliche Regierungschefin Viorica Dancila, ihr Kabinett sowie der kleine nationalliberale Koalitionspartner Alde sind Dragneas Marionetten, die seine Allmachtsansprüche willig erfüllen. Der Niedergang der rumänischen Demokratie und der schleichende Abschied von Europa begann nach den Wahlen 2016. Dragnea bemüht sich seither nach Kräften, die Wien. Aber auch diese Gelegenheit verpuffte mangels hochkarätiger Präsenz, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten abgesagt.
Irritierender Russland-Kurs
So schrumpfte der Gipfel zu einem Forum, das führende westliche Medien nur am Rande vermerkten. Kurz’ Botschaft: „Wir dürfen den afrikanischen Kontinent nicht den Chinesen überlassen“, war wenig überraschend, entsprechend inhaltsleer blieb das Ergebnis. Justiz des Landes unter seine Kontrolle zu bringen, denn gegen ihn laufen mehrere Verfahren.
Staatsanwaltschaft ermittelt
So ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft gegen den 55-jährigen PSDChef, nachdem die EU-Korruptionsbehörde Olaf ihm nachgewiesen hatte, mit einer „kriminellen Gruppe“befreundeter Bauunternehmer 21 Millionen Euro Fördergeld mit gefälschten
Österreichs EU-Ratsvorsitz war von Anfang an unglücklich. Vor allem der übermäßig freundliche Russland-Kurs, den Straches FPÖ der Regierung auferlegt, irritierte und führte zu einer Belastung. Der Kniefall der Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) vor ihrem prominenten Hochzeitsgast, Kremlchef Wladimir Putin, hat Österreichs Ansehen im Ausland geschadet.
Dabei galt die ÖVP einmal als die „Europapartei“Österreichs, doch das hübsche Etikett ist verblichen, Kurz’ Image als Europapolitiker beschädigt. Dokumenten erschlichen zu haben. Dragnea bestreitet die Vorwürfe, zugleich aber will er noch im Januar eine „Strafrechtsreform“durchpeitschen, die künftig Korruption, Bestechung, Amtsmissbrauch und dergleichen praktisch straffrei macht, Ermittlungen der Strafbehörden mit allerlei Auflagen erschwert. Vorbestrafte und Verurteilte sollen staatliche Spitzenposten wieder besetzen dürfen. Geht diese Vorlage durch, wäre Dragnea am Ziel: Er könnte selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen und bliebe zugleich vor weiterer Strafverfolgung verschont.
Nun stellt sich die Frage: Kann ein Land, in dem der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird, die EU repräsentieren und einen Vorsitz professionell organisieren? Zumal im ersten Halbjahr 2019 wegweisende Entscheidungen anstehen (Brexit, Europawahl, EU-Budget). Danicla meint, ihre Regierung sei für den Vorsitz „bestens gerüstet“und wirft Brüssel und anderen EU-Regierungen vor, Rumänien als „EU-Land zweiter Klasse“zu diskriminieren.