Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der Knüller
Wohin mit dem ganzen Berg von Geschenkpapier, das die Bescherung hinterlassen hat? Ab in die Papiertonne? Verbrennen? Oder bügeln fürs nächste Jahr? Als ich noch überlegte, rief die beste Freundin an. Die Freundin ist mit einer großen Familie gesegnet und an Weihnachten ist bei ihr immer einiges los. „Stell‘ dir vor“, sagte sie, „als ich gerade fertig war mit Christbaumaufstellen, kam in einem unbeobachteten Moment unser kleiner schwarzer Kater reingewitscht, stürzte sich auf den Baum und erlegte zwei große goldene Kugeln. Kaum war der Schaden beseitigt und die Geschenke schön verteilt unterm Christbaum, kam dann die Familie. Große Begrüßung! Keiner merkte, dass der Kleinste angefangen hatte, die Geschenke auszupacken. Mindestens bei der Hälfte der Päckchen, hatte er, bis es entdeckt wurde, schon das Papier abgerissen. Für sein Bilderbuch und den Traktor zeigte er nur wenig Interesse. Stattdessen saß er stillvergnügt den ganzen Abend auf einem großen Haufen Geschenkpapier, riss es in kleine Stücke und zerknüllte es dann. Ist das denn normal?“– „Ich kann dich beruhigen“, sagte ich, „neulich las ich über einen Doktoranden an der Harvard Universität, der nichts anderes tat, als Papier und Folie zu zerknüllen. Er wollte unbedingt wissen, ob und wie unterschiedlich die dabei entstehenden Knicke und Falze sind. Er hat also zerknüllt, was das Zeug hielt, anschließend das Zerknitterte gemessen und dabei festgestellt, dass die Gesamtlänge der Knicke und Linien fast gleich sind. Anscheinend zeigt alles, was knittert, wie man bereits weiß, ähnliche Muster: der Faltenwurf von Kleidern, die DNA im Zellkern, die Platten der Erdkruste. Dein Enkel ist seiner Zeit also weit voraus. Wer weiß: Vielleicht wird er sogar mal Professor der neuen Zerknüllungswissenschaft.“Zerknüllen oder nicht, das ist die Frage. Oder vielleicht gar nichts erst verpacken?