Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tabeas Fortschritte sind ein „Weihnachtswunder“
Lindau hilft: Querschnittsgelähmte kommt dank optimaler Therapie wieder auf die Beine
LINDAU - Tabea läuft. Schritt für Schritt kämpft sie sich über den Flur. Die Anstrengung ist ihr anzusehen, die Schritte wirken noch etwas mechanisch, aber sie läuft. Für die junge Lindauerin, die vor etwas mehr als einem Jahr noch waghalsige Schrauben und Salti in der Luft drehte, sind die 50 Meter am Rollator mehr wert als jede Medaille. Für ihre Familie sind die großen Fortschritte, die Tabea macht, ein „Weihnachtswunder“.
Ein Sprung trennt Tabea Schoch von ihrem alten Leben. Das Leben einer ganz normalen 18-Jährigen, die sich gern mit Freunden trifft, Sport macht, Träume hat. Es endet jäh, als sie vor fast eineinhalb Jahren beim Trampolintraining verunglückt. Seither ist die junge Frau querschnittsgelähmt. Doch Tabea und ihre Familie bleiben mit ihrem Schicksal nicht allein. Freunde, aber auch wildfremde Menschen spenden Geld für eine teure Therapie, setzen sich für sie ein, machen ihr Mut. Lindau hält auf einmalige Weise zusammen. Jetzt feiert Tabea nach dem Unfall erstmals wieder zu Hause Weihnachten.
Das Schicksal schlägt am 5. Juli des vergangenen Jahres zu. Ein Sprung auf dem Trampolin missglückt, die damals 18-Jährige landet nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Gesicht. Als sie ihre Füße nicht mehr spürt, ahnt sie, was das bedeutet. Im Krankenhaus und eine OP später die Gewissheit: Das Rückenmark ist bei Wirbel fünf und sechs verletzt. Die Ärzte sind deutlich. „Tabea wird nie wieder was bewegen, war das Erste, was ein Mediziner zu mir sagte“, erinnert sich Mutter Cornelia Roller-Schoch. „Das Endgültige war so brutal.“
Doch Tabea wollte nichts von den 99,9 Prozent hören, zu denen sie ihr weiteres Leben im Rollstuhl verbringen wird. „Ich habe geweint und dann dem Arzt gesagt, dass ich es ihm zeigen werde.“
Mehr als ein Jahr lang ist sie in verschiedenen Kliniken. Sie macht Fortschritte, auch wenn die Ärzte immer wieder ihre Erwartungen dämpfen. Tabeas ganze Hoffnung liegt auf einer Pforzheimer Privatklinik, die optimale Therapiemöglichkeiten verspricht. „Ich hatte Angst, dass es daheim wieder schlechter wird“, sagt Tabea. Sie weiß, dass eine schnelle Reha am erfolgversprechendsten ist. Doch die hat ihren Preis.
„Allein nie gepackt“
Was Tabea damals noch nicht ahnt: In Lindau rollt eine einzigartige Welle der Hilfsbereitschaft an. Vereine, allen voran der EVL und der Förderverein Jump, der verunglückten Trampolinspringern hilft, sammeln Geld für Tabea. Schulen organisieren Spendenläufe, Chöre Benefizkonzerte, Kirchengemeinden und große Firmen spenden. Höhepunkt der Hilfsaktion war die Spendengala des EVL in der Eissportarena, bei der 50 000 Euro für Tabea zusammenkommen. „Das habe ich nie erwartet“, sagt Cornelia Roller-Schoch, die von diesem Ergebnis immer noch überwältigt ist. Und auch heute gehen immer noch Spenden ein. Die werden ausschließlich für die Therapie Tabeas Mutter Cornelia Roller-Schoch erinnert sich an die Zeit kurz nach dem Unfall. von Tabea verwendet, betont ihre Mutter. Tabea war bereits zweimal in Pforzheim, und auch die nächste Therapie im Sommer sei schon gesichert. „Das ist das Wichtigste“, sagt die Mutter erleichtert.
Sechs Stunden intensives Training mit zwei Therapeuten warten dort täglich auf sie. „Die versuchen alles möglich zu machen, dass es mit dem Laufen wieder wird“, sagt Tabea. Dafür muss sie üben, üben und noch mal üben. Mit einem Rollator geht sie Schritt für Schritt und über ihre Grenzen. 50 Meter schafft sie mittlerweile, „mit durchbeißen geht noch mehr“. Wer die junge Frau laufen sieht, glaubt nicht, dass ihre Beine gelähmt sind. Sie schafft es, vom Rollstuhl aufzustehen und sich aufs Bett oder ins Auto zu setzen. In Pforzheim ist sie sogar schon rückwärts die Treppe runtergelaufen. „Krass, was alles schon geht“, sagt selbst Tabea lachend. Doch ihr Blick geht immer nach vorn: „Ich glaube schon daran, dass ich wieder ein relativ normales Gangbild bekomme.“
Die Diagnose allein entmutigt sie nicht mehr. Es gebe 5000 gleiche Querschnitte, und 5000 gingen verschieden aus. Sie sei ohnehin noch gut dran, sagt die Lindauerin. Die Spastik in den Händen und ihre Schmerzen hielten sich in Grenzen. „Wenn man in diesen Kliniken ist, geht es einem ganz schnell gut“, sagt auch ihre Mama, die dankbar ist, dass sie noch ganz normal mit ihrer Tochter leben, reden und streiten kann. Tabea erzählt von jungen Männern und Frauen, die das nicht mehr können. Die nach Auto- und Motorradunfällen
„Tabea wird nie wieder was bewegen, war das Erste, was ein Mediziner zu mir sagte.“
„Ich glaube schon daran, dass ich wieder ein relativ normales Gangbild bekomme.“Tabea Schoch blickt zuversichtlich in die Zukunft.
nur noch im Bett liegen und gefüttert werden müssen. Die 20Jährige wohnt inzwischen allein in ihrer Lindauer Wohnung und macht auf der Abendschule ihr Abitur. Noch geht das nur mit Hilfe, noch ist alles sehr anstrengend. Ihre Mutter schaut jeden Morgen vor der Arbeit bei ihr vorbei, holt sie mittags ab, fährt sie zur Physio und abends in die Schule. Mal wieder etwas spontan und eigenständig zu machen, fehlt Tabea am meisten. „Ich mag mich nicht immer auf andere verlassen“, sagt sie. Deshalb freut sie sich jetzt schon sehr auf ihr Auto, das im Frühjahr kommt. Bis dahin muss sie so fit sein, dass sie den Rollstuhl allein verladen und selbstständig, sich an der Leiste festhaltend, zum Sitz laufen kann.
„Ich bin gar nicht so stark“, meint Tabea trotz all ihrer Fortschritte. Wenn sie einen Wunsch frei hätte, würde sie die Zeit zurückdrehen. „Dann würde ich nicht ins Training gehen.“Direkt nach dem Unfall brauchte sie Zeit, um „es mit sich auszumachen“. Und wenn es ihr heute mal so richtig schlecht geht, ist sie immer noch gern allein. „Die anderen verstehen es dann doch nicht so gut“, meint sie. Meistens zicke sie dann ihre Mama an. Heute weiß sie: Das Wichtigste sei, trotzdem „offen zu bleiben“.
Zwei riesengroße Schecks stehen stellvertretend für all die vielen Spenden auf Tabeas Kommode. „Ich bin sehr, sehr dankbar“, sagt sie. Für Tabea und ihre Familie ist es immer noch unglaublich, was hier, wo jeder jeden kennt, Vereine und Firmen auf die Beine gestellt hätten. „Wenn das in einer Großstadt passiert wäre, hätte das niemanden interessiert“, meint Cornelia Roller-Schoch.
Als Mutter hat sie sich für ihr Kind „natürlich was anderes gewünscht“, sagt Roller-Schoch. Aber sie hat auch erfahren, dass sich nach dem Unglück eine neue Tür geöffnet hat. „Es fügt sich gerade alles wieder“, meint auch Tabea. Ihre ersten selbstständigen Schritte sind für ihre Familie ein „Weihnachtswunder“. Ein Wunder, das sie vielen verdanken: „Allein hätten wir das nie gepackt.“
Weihnachtswunder www.schwaebische.de/ tabealäuft
Das
im Video:
zeigt die 20-Jährige, wie sie am Rollator bereits einige Schritte gehen kann.