Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tierischer Stress durch Böller, Kracher und Raketen
Haustiere können aufs Feuerwerk mit Panik reagieren – So lotsen Sie Ihre Lieblinge durch die Silvesternacht
FRIEDRICHSHAFEN - Haustiere sind in der Silvesternacht besonderen Belastungen ausgesetzt. Was tun, wenn es knallt? Die SZ hat dazu den Häfler Tierarzt Andreas Thiele und Doris Philipp vom Tierheim Friedrichshafen befragt.
Lärm kann für Tiere ein Stresstest sein. Hunde zum Beispiel hören viermal so gut wie Menschen, Katzen sogar noch besser. „Das bedeutet aber nicht, dass ein Hund Geräusche viermal so laut wahrnimmt. Sondern er hört ein ganz anderes Frequenzspektrum“, sagt Andreas Thiele.
Was kann man tun, damit Hund oder Katze bei der Knallerei vor der Haustür nicht in Panik ausbrechen? Das Wichtigste ist erst mal, dass die Besitzer zu Hause sind und ein Auge auf ihre Tiere haben. „Das Tier komplett auf sich allein gestellt zu lassen, ist ein wenig verantwortungslos“, sagt der Tierarzt. „Wenn es dann überall knallt, kann eventuell die Welt zusammenbrechen.“So sieht das auch Doris Philipp vom Tierheim Friedrichshafen. Zwar versteht sie den Wunsch, Silvester auswärts zu feiern. Als Tierbesitzer sollte man aber doch zu Hause bleiben.
Dort für das Tier da zu sein bedeutet wiederum nicht, es in Watte zu packen. Zu große Aufmerksamkeit kann kontraproduktiv sein. „Wenn draußen die Raketen steigen und man wegen der Geräusche sofort den Hund im Auge hat, dann vermittelt das dem Tier: Herrchen ist unsicher“, weiß Andreas Thiele – auch, weil er selbst Hundebesitzer ist. Er empfiehlt, sich ganz normal zu verhalten. Jede Abweichung von der Normalität vermittle dem Tier, dass etwas nicht in Ordnung ist. Betonte Beruhigungsversuche und Aufmerksamkeiten können Tiere in ihren Ängsten noch bestätigen. „Wenn man selbst keine Angst hat, sollte man dem Tier nicht auf diese Weise künstlich Panik zuführen“, so Thiele. Letztlich sei ein Feuerwerk ja auch nichts anderes als ein bewusst herbeigeführtes starkes Gewitter.
„Das Tier komplett auf sich allein gestellt zu lassen, ist ein wenig verantwortungslos.“Tierarzt Andreas Thiele rät Tierbesitzern, Silvester zu Hause zu verbringen.
Keine Schallschutzboxen
Von besonderen Schutzmaßnahmen hält Andreas Thiele deshalb nichts. Vom Kauf einer schalldämpfenden Box für Haustiere, die im Handel erhältlich ist, rät er ab. „Denn wenn das Tier es nicht gewohnt ist, sich in dieser Box auch sonst aufzuhalten, kann das Eingesperrtsein darin es erst recht panisch machen.“Panik beim Tier kann auch durch den Verlust seines Gehörsinns in einer solchen Box eintreten. Damit provoziert die Schutzmaßnahme mitunter gerade den Effekt, dem sie vorbeugen soll.
Wichtig sind jedoch Rückzugsräume innerhalb der gewohnten Wohnung; Stellen, an denen sich Hund und Katze verkriechen können. Auch Meerschweinchen und Kaninchen brauchen in ihren Ställen solche Rückzugsorte – Häuschen, Höhlen oder Ähnliches. Mitunter kann es ratsam sein, an Silvester die Jalousien zu schließen oder die Rollläden herunterzulassen, „damit die Tiere das Geflacker nicht sehen“, sagt Thiele.
Wie ein Tier sich bei Lärm verhält, lasse sich an verschiedenen Tierarten nicht festmachen, weiß Thiele. Vieles ist von der jeweiligen Prägung abhängig. Ein Tier, das mit seinem Besitzer auch mal draußen in Gesellschaft ist, kommt mit Lärm besser zurecht als eines, das nur in ruhiger Atmosphäre gehalten wird“, sagt Andreas Thiele.
Rechtzeitig Gassi gehen
Erfahrungsgemäß beginnt die erste Knallerei bereits nach den Weihnachtstagen, sobald die Böller in den Geschäften erhältlich sind. Wer mit seinem Hund dann Gassi geht, sollte ihn nicht von der Leine lassen. Sonst läuft er möglicherweise, von einem Knall aufgeschreckt, davon. „Man sollte aber auch nicht versuchen, den Hund an jedem Lärm vorbeizuführen“, rät Thiele. „Dann trifft es ihn an Silvester erst recht.“
Doris Philipp vom Tierheim rät, mit Hunden in der Silvesternacht zeitig vor der Knallerei um Mitternacht die letzte Runde zu drehen. Es komme schon mal vor, dass im Tierheim Hunde abgegeben werden, die im Feuerwerk voller Angst ausgerissen sind und die Orientierung verloren haben. Dabei handle es sich aber um Einzelfälle.
Und Katzenbesitzer? Sie sollten die Entscheidung, ob sie ihr Tier am Silvesterabend vor die Tür lassen, von seinem jeweiligen Wesen abhängig machen. Bei einer Katze, die auf Spektakel eher neugierig reagiere, könne man es wagen, sie hinauszulassen, meint Thiele – weil sie weniger gefährdet sei, sich durch panisches Verhalten selbst in Gefahr zu bringen. „Erschreckte Katzen können perplex über Straßen rennen und in offenstehende Fenster oder Schuppen klettern, aus denen sie selbst nicht mehr herauskommen.“Ängstliche Katzen sollten deshalb unbedingt in der Wohnung gelassen werden. „Wenn das Tier auch sonst gern dabei ist, wenn man Musik hört, ist es eine gute Sache, es mit ruhiger Musik vom Lärm abzulenken“, sagt Andreas Thiele. Doris Philipp appelliert, Katzen an Silvester grundsätzlich nicht vor die Tür zu lassen.
Was Tieren in der Silvesternacht zum Verhängnis werden kann, sind also ihre panischen Reaktionen. Die unmittelbare explosive Kraft der Böller dagegen weniger. Das wiederum ist beruhigend: In seinen 14 Jahren als Tierarzt in Friedrichshafen hat Andreas Thiele noch nie ein Tier behandeln müssen, das von einem Kracher verletzt worden wäre. Wer sich in Tiere hineinversetzen kann, findet jedenfalls gute Gründe, an Silvester aufs Feuerwerk zu verzichten – auch wenn er kein eigenes hat.