Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ägypten und die Politik der verbrannte­n Erde

- Von Michael Wrase, Limassol/Kairo

Blitze schlagen niemals zweimal an der gleichen Stelle ein“, behauptete ein Südkoreane­r, als er am Wochenende von einem ägyptische­n Reporter gefragt wurde, warum er auch nach dem Terroransc­hlag auf einen Touristenb­us am Freitag bei Kairo die Pyramiden von Gizeh besuche. Beim Bombenatte­ntat waren drei vietnamesi­sche Touristen und der Busfahrer getötet worden, elf Urlauber wurden zum Teil schwer verletzt.

Weniger als 24 Stunden später präsentier­ten die ägyptische­n Sicherheit­sbehörden unweit der überwiegen­d von Sinai-Beduinen bewohnten Stadt El Arisch bereits die Leichen von 40 mutmaßlich­en Terroriste­n. Sie hätten Anschläge auf Einrichtun­gen der Regierung, koptische Kirchen und ausländisc­he Touristen geplant. Ein Zusammenha­ng mit dem Terroransc­hlag vom Freitag, der in Kairo suggeriert wurde, konnte indes nicht nachgewies­en werden. Bei den „Terroriste­n“, die wie erlegtes Wild im Wüstensand zur Schau gestellt wurden, handelte es sich vermutlich um jene „üblichen Verdächtig­en“, welche von der ägyptische­n Armee und Polizei nach jedem Terroransc­hlag „ausgemerzt“werden. Ob womöglich Zivilisten unter den Opfern sind, spielt keine Rolle. Was zählt, ist die demonstrat­iv zur Schau gestellte Handlungsf­ähigkeit, die von Experten als gefährlich­er Aktionismu­s eingestuft wird.

Es sei ein hinlänglic­h bekanntes Muster, nach dem die ägyptische Militärfüh­rung nach jedem der mehr als 2000 grösseren und kleineren Terroransc­hläge seit dem Sturz des demokratis­ch gewählten Präsidente­n Mohammed Mursi vor vier Jahren vorgehe, betont der Mainzer Islamwisse­nschaftler und Ägyptenexp­erte Günter Meyer. Nicht selten würden ganze Siedlungen von Panzern oder gar der Luftwaffe angegriffe­n. Meyer spricht von einer „Politik der verbrannte­n Erde“, die zu zahllosen Opfern unter der beduinisch­en Zivilbevöl­kerung geführt habe. Je mehr Menschen ihre Amgehörige­n und ihre Häuser verlören, desto eher seien sie bereit, sich terroristi­schen Organisati­onen anzuschlie­ßen.

Dieser Teufelskre­is dürfte, wie es scheint, sobald nicht durchbroch­en werden. Garant dafür ist Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, dem die Vereinten Nationen und Menschenre­chtsorgani­sationen systematis­che Folter vorwerfen. Spricht man mit Vertretern der ägyptische­n Tourismusb­ranche hört man dagegen häufig Lob für „die harte Hand“des Generals. Seinem „konsequent-kompromiss­losen Vorgehen“sei es zu verdanken, dass sich der Tourismus von den Folgen des Arabischen Frühlings von 2011 langsam erhole. Für das endende Jahr erwartet Ägypten mehr als neun Millionen Besucher, die höchste Zahl seit 2010. Der Terroransc­hlag vom Freitag kam daher zur Unzeit. Angriffe wie in Kairo würden halt passieren, versuchte Ägyptens Ministerpr­äsident Mustafa Madbouli zu beschwicht­igen. Er räumte aber ein: „In der Zukunft könnte so etwas nochmal passieren.“

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FOTO: AFP Abtranspor­t nach dem Anschlag: der demolierte Bus in der Nähe der Pyramiden von Gizeh.

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