Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ägypten und die Politik der verbrannten Erde
Blitze schlagen niemals zweimal an der gleichen Stelle ein“, behauptete ein Südkoreaner, als er am Wochenende von einem ägyptischen Reporter gefragt wurde, warum er auch nach dem Terroranschlag auf einen Touristenbus am Freitag bei Kairo die Pyramiden von Gizeh besuche. Beim Bombenattentat waren drei vietnamesische Touristen und der Busfahrer getötet worden, elf Urlauber wurden zum Teil schwer verletzt.
Weniger als 24 Stunden später präsentierten die ägyptischen Sicherheitsbehörden unweit der überwiegend von Sinai-Beduinen bewohnten Stadt El Arisch bereits die Leichen von 40 mutmaßlichen Terroristen. Sie hätten Anschläge auf Einrichtungen der Regierung, koptische Kirchen und ausländische Touristen geplant. Ein Zusammenhang mit dem Terroranschlag vom Freitag, der in Kairo suggeriert wurde, konnte indes nicht nachgewiesen werden. Bei den „Terroristen“, die wie erlegtes Wild im Wüstensand zur Schau gestellt wurden, handelte es sich vermutlich um jene „üblichen Verdächtigen“, welche von der ägyptischen Armee und Polizei nach jedem Terroranschlag „ausgemerzt“werden. Ob womöglich Zivilisten unter den Opfern sind, spielt keine Rolle. Was zählt, ist die demonstrativ zur Schau gestellte Handlungsfähigkeit, die von Experten als gefährlicher Aktionismus eingestuft wird.
Es sei ein hinlänglich bekanntes Muster, nach dem die ägyptische Militärführung nach jedem der mehr als 2000 grösseren und kleineren Terroranschläge seit dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi vor vier Jahren vorgehe, betont der Mainzer Islamwissenschaftler und Ägyptenexperte Günter Meyer. Nicht selten würden ganze Siedlungen von Panzern oder gar der Luftwaffe angegriffen. Meyer spricht von einer „Politik der verbrannten Erde“, die zu zahllosen Opfern unter der beduinischen Zivilbevölkerung geführt habe. Je mehr Menschen ihre Amgehörigen und ihre Häuser verlören, desto eher seien sie bereit, sich terroristischen Organisationen anzuschließen.
Dieser Teufelskreis dürfte, wie es scheint, sobald nicht durchbrochen werden. Garant dafür ist Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, dem die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen systematische Folter vorwerfen. Spricht man mit Vertretern der ägyptischen Tourismusbranche hört man dagegen häufig Lob für „die harte Hand“des Generals. Seinem „konsequent-kompromisslosen Vorgehen“sei es zu verdanken, dass sich der Tourismus von den Folgen des Arabischen Frühlings von 2011 langsam erhole. Für das endende Jahr erwartet Ägypten mehr als neun Millionen Besucher, die höchste Zahl seit 2010. Der Terroranschlag vom Freitag kam daher zur Unzeit. Angriffe wie in Kairo würden halt passieren, versuchte Ägyptens Ministerpräsident Mustafa Madbouli zu beschwichtigen. Er räumte aber ein: „In der Zukunft könnte so etwas nochmal passieren.“