Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Deutsche Justiz massiv überlastet
Trotz aufgestocktem Personal schlagen Strafvollzugsbedienstete und Richterbund Alarm
STUTTGART/MÜNCHEN - Deutschlands Justiz stößt an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Viele Länder, darunter Baden-Württemberg und Bayern, haben reagiert und stocken das Personal bereits auf. Dennoch mangelt es vielerorts weiterhin an Personal: Richter und Staatsanwälte ächzen unter einer Klageflut etwa bei Asylverfahren. Strafverfahren ziehen sich oft hin oder müssen eingestellt werden. Haftanstalten sind oftmals überbelegt. Auch die Justizvollzugsbeamten arbeiten am Limit.
Alexander Schmid, Baden-Württembergs Landesvorsitzender des Bunds der Strafvollzugsbediensteten, spricht im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“von einer „anhaltend hohen Überlastung des Systems“. Der Deutsche Richterbund schlägt ebenfalls Alarm. „Die Arbeitsbelastung insbesondere in der Strafjustiz ist enorm hoch“, erklärte Geschäftsführer Sven Rebehn am Mittwoch. Insbesondere die Staatsanwaltschaften hätten sich „zum Nadelöhr bei der Strafverfolgung entwickelt“. Nach den Berechnungen des Verbandes braucht Deutschland 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte.
Strafverfahren sind laut Rebehn häufig viel aufwendiger als noch vor 10 oder 20 Jahren. Häufig hätten Strafverfahren Auslandsbezüge und richteten sich gegen international verzweigte Tätergruppen. Die auszuwertenden Datenmengen hätten sich vervielfacht. Verfahren werden eingestellt oder dauern länger. „Das sind deutliche Anhaltspunkte für eine überlastete Justiz“, sagte Rebehn. Oft entgehen mutmaßliche Kriminelle einem Prozess, weil Fristen nicht eingehalten werden. Immer wieder müssen Untersuchungshäftlinge trotz schwerer Tatvorwürfe auf freien Fuß gesetzt werden, weil die Gerichte nicht hinterherkommen.
Allein in Baden-Württemberg wurde die Justiz deshalb seit 2016 mit 700 neuen Stellen gestärkt. Seitdem gibt es 251 zusätzliche Richter und Staatsanwälte, dennoch fehlen Dutzende. Zur Bewältigung der vielen Asylverfahren sind 2019 weitere 80 Stellen für Verwaltungsrichter sowie 48 Stellen für Servicekräfte vorgesehen. Justizminister Guido Wolf (CDU) will sie mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 schaffen.