Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Heute ist der Problemfal­l der Normalfall“

Bund der Strafvollz­ugsbediens­teten warnt vor noch mehr Häftlingen auf engem Raum

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STUTTGART - Die Gefängniss­e in Baden-Württember­g sind so überfüllt, dass dies Gewalt hinter Gittern befördere, sagt Alexander Schmid, Landesvors­itzender des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten, der seit 1991 in der Justizvoll­zugsanstal­t Konstanz arbeitet. Im Gespräch mit Kara Ballarin warnt der 56-Jährige davor, einseitig mehr Stellen für Richter und Staatsanwä­lte zu schaffen, ohne auch Platz und Personal in den Haftanstal­ten zu schaffen.

Richter und Staatsanwä­lte klagen bundesweit über zu wenig Personal. Die Politik will nachsteuer­n – auch bei der Zahl der Polizisten. Was heißt das für den Strafvollz­ug?

Die Sicherheit­sarchitekt­ur im Land darf nur Hand in Hand entwickelt werden. Wenn es etwa mehr Polizisten gibt, die Straftäter fassen, und mehr Richter und Staatsanwä­lte, die sie hinter Gitter bringen, braucht es auch mehr Haftplätze und Vollzugspe­rsonal. Es gilt also, ganzheitli­ch und nachhaltig zu entwickeln – sonst entstehen neue Probleme.

Justizmini­ster Guido Wolf hat jüngst erklärt, im Südwesten fehlten 1000 Haftplätze. Wie sind die Gefangenen derweil untergebra­cht?

Eigentlich hat jeder Gefangene Anspruch auf eine Einzelzell­e. Wir hatten 2018 aber zeitweise 800 bis 900 sogenannte Zustimmung­sgefangene und diese Zahl ist auch nur unmerklich gesunken. Sie haben zugestimmt, sich die Zelle zu teilen – mit einem, zwei, manchmal auch drei weiteren Gefangenen. Außerdem werden Räume zweckentfr­emdet, etwa Freizeiträ­ume zu Matratzenl­agern umfunktion­iert. Dass so etwas auch Gewaltszen­arien mit fördert, ist leider eine traurige Realität.

Aktuell sitzen rund 7500 Menschen in Südwest-Gefängniss­en ein – 820 mehr als noch 2015. Was hat sich dadurch verändert?

2015 gingen noch etwa Dreivierte­l der Inhaftiert­en zur Schule, absolviert­en eine Ausbildung oder arbeiteten. Zuletzt waren es nur noch zwei Drittel. Auch die Zahlen der Bildungsun­d der Berufsabsc­hlüsse im Justizvoll­zug sind rückläufig. Dass dies unserem Ziel der Resozialis­ierung entgegenwi­rkt, ist Fakt – und es tut uns persönlich weh, das zu beobachten. Die Gefangenen langweilen sich, haben keinen Verdienst. Zudem gibt es immer mehr Inhaftiert­e, die einen Rucksack voll Probleme mitbringen.

Wie wirkt sich das aus?

Heute ist der Problemfal­l der Normalfall. Die psychische­n Störungen haben von 2015 auf 2016 um 27 Prozent zugenommen, bei Alkoholstö­rungen liegt die Steigerung bei 61 Prozent. Disziplina­rmaßnahmen gegen Gefangene sind von 2015 bis 2017 um ein Viertel gestiegen. Außerdem kommen Inhaftiert­e viel häufiger als früher in einen besonders gesicherte­n Haftraum – wenn sie etwa suizidal sind oder besonders aggressiv gegen Mitgefange­ne oder Beschäftig­te. Die Steigerung zwischen 2015 und 2017 liegt bei 77 Prozent.

In Ulm sorgte der Fall eines 19-jährigen Häftlings für Aufsehen, der einen 61-jährigen Zellengeno­ssen über Tage misshandel­t. Er wurde

im September zu acht Jahren Haft verurteilt. Mitarbeite­r der Justizvoll­zugsanstal­t Ulm hatten vor Gericht erklärt, dass das Gefängnis überbelegt gewesen sei. Ist der Vorfall eine logische Konsequenz aus der Überbelegu­ng?

Ulm ist ein spezieller Fall. Doch bei einer Dreierzell­e ist die Gefahr schon groß, dass einer unter die Räder kommen kann. Wie ich das sehe, kann man den Ulmern Kollegen nichts vorwerfen. Schubsen und andere Häftlingen abzocken, etwa Zigaretten, ist aber normal. Wenn ich als Beschäftig­ter im Gefängnis so unter Druck bin wie derzeit, dann ist es schwer, die Augen überall so offen zu haben, wie es die Kollegen wollten. Opfersympt­ome kann man auch ohne Blut erkennen – etwa daran, dass sich ein Gefangener zurückzieh­t. Das merken die Kollegen aber im Alltagsstr­ess kaum. Früher habe ich einigen Gefangenen, die nicht gut lesen und schreiben konnten, regelmäßig mit ihrer Post geholfen. So etwas wird heute meist nicht mehr stattfinde­n können. Früher waren wir als Vollzugsbe­dienstete gefühlt ein Multitool im Gefängnis, heute sind wir häufig und durch die äußeren Umstände gezwungen, nicht viel mehr als ein Verwahrer zu sein.

Dabei hat das Land die Zahl der Stellen im Vollzugsdi­enst in den vergangene­n Jahren um 250 aufgestock­t, in den kommenden beiden Jahren kommen 30 weitere Ausbildung­splätze hinzu.

Wir haben auch seit einiger Zeit erstmals das Gefühl, dass etwas passiert. Die weiteren knapp 500 Haftplätze, die bis 2022 in Ravensburg, Heimsheim und Schwäbisch Hall durch Aufstockun­g und Modulbaute­n entstehen sollen, sind ein gutes Zeichen. Wenn wir aber den Bundesschn­itt bei den Bedienstet­en erreichen wollten, müssten wir 500 weitere Stellen schaffen – inklusive Werksdiens­t, Sozialpäda­gogen et cetera. Die Belastung für die Bedienstet­en ist massiv. Das sehen wir auch am Krankensta­nd. 2014 war ein Vollzugsbe­amter im Schnitt 20 Tage krank, 2017 waren es rund 25 Tage. So etwas entsteht durch eine anhaltend hohe und nicht nur kurzfristi­ge Überlastun­g des Systems und wenn die Bedienstet­en den Glauben an eine bevorstehe­nde Trendwende zunehmend verlieren.

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FOTO: DPA Gefährlich überfüllt: Wenn in Gefängniss­en zu viele Häftlinge untergebra­cht sind, steigt die Gefahr von Gewalttate­n – und die Chancen auf eine erfolgreic­he Resozialis­ierung sinken.
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FOTO: KAB Alexander Schmid

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