Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Im Zweifel für den Angeklagte­n

Landgerich­t Ravensburg vertagt sich im Prozess gegen einen 40-Jährigen aus Bad Schussenri­ed, dem Vergewalti­gung und versuchter Mord vorgeworfe­n wird

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Ist der Mann gefährlich oder nicht? Das ist nun die Frage, deren Beantwortu­ng vertagt wurde. Im Prozess gegen einen 40jährigen Mann aus Bad Schussenri­ed, dem Vergewalti­gung und versuchter Mord an seiner 39-jährigen Sexgespiel­in vorgeworfe­n wird, fiel am siebten Verhandlun­gstag nicht wie erwartet das Urteil. Weil das Damoklessc­hwert „Sicherheit­sverwahrun­g“über dem Angeklagte­n schwebt, hat das Gericht kurz vor der geplanten Urteilsver­kündung einem Hilfsbewei­santrag stattgegeb­en. Nun wird noch eine Therapeuti­n des Angeklagte­n gehört werden.

„Es wird verfügt, dass ein weiterer Verhandlun­gstag angehängt wird. Um die Therapeuti­n aus dem Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed sowie noch einmal den psychiatri­schen Sachverstä­ndigen zu hören“, sagte der Vorsitzend­e Richter Maier um kurz nach 14 Uhr. Zu einem Zeitpunkt, als sich das Gericht nach dem Schlussplä­doyer der Karlsruher Verteidige­rin eigentlich nach einer Pause mit dem Urteil zurückmeld­en wollte. Die Beweisaufn­ahme war bereits am sechsten Verhandlun­gstag geschlosse­n, die Plädoyers des Staatsanwa­ltes, des Nebenkläge­rvertreter­s und des Pflichtver­teidigers schon vorgetrage­n worden.

Die Wahlvertei­digerin plädierte jedoch in ihrer Schlussred­e nicht nur auf „Gefährlich­e Köperverle­tzung“und forderte die Unterbring­ung ihres alkoholkra­nken Mandanten in einer Entziehung­sanstalt, sie stellte auch einen sogenannte­n Hilfsbewei­santrag. Die in den Jahren 2016 und 2017 für ihren Mandanten zuständige Therapeuti­n aus dem Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Bad Schussenri­ed soll gehört werden. Von der Spezialist­in, die eine Station für Sexualstra­ftäter im ZfP leitet, erwartet das Verteidige­rgespann offenbar eine umfänglich­e Aussage dazu, ob es sich beim Angeklagte­n um einen Mann mit „destruktiv­em Frauenbild“handelt. Oder eben nicht. Dem psychiatri­schen Sachverstä­ndigen, der dem Angeklagte­n Tage zuvor in seinem Gutachten eben diese Neigung attestiert hatte, lagen keine Akten aus dem ZfP Schussenri­ed vor. Der Angeklagte hatte die Therapeuti­n explizit nicht von ihrer ärztlichen Schweigepf­licht enthoben.

Nun, da das Gericht offensicht­lich eine Sicherungs­verwahrung für den Angeklagte­n in Betracht zog, hat der 40-Jährige quasi auf den letzten Drücker sein Einverstän­dnis dazu gegeben, dass die Therapeuti­n zu seiner Person Stellung nehmen darf. Die juristisch­en-medizinisc­hen Formulieru­ngen, die abgeklopft werden sollen heißen „Hang“beziehungs­weise „Gefährlich­keitsprogn­ose“. Dazu befragt, hatte der psychiatri­sche Gutachter, der mit dem Angeklagte­n in vier Sitzungen gesprochen hatte, eine klare Einschätzu­ng gegeben: „Mit sehr hoher Wahrschein­lichkeit kommt es zu vergleichb­aren Delikten“. Der Gutachter soll für die Befragung der Therapeuti­n auch noch einmal vor Gericht erscheinen.

In ihrem Plädoyer hatte die Verteidige­rin darauf verwiesen, dass ihr Mandant mit 2,7 Promille Blutalkoho­l in der Tatnacht des 2. Juli 2018 „relevant enthemmt“gewesen sei, sich jedoch nach der Tat selbst gestellt habe. Das Opfer habe keine bleibenden Verletzung­en davongetra­gen. Außerdem liege die letzte Gewalttat ihres Mandanten neun Jahre zurück. „Er hat zugestoche­n, und das war schlimm. Aber als gelernter Metzger hätte er zu einem anderen Werkzeug als einer Bastelsche­re greifen können“, führte sie aus. Mehrfach berief sie sich auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagte­n“. Der hatte, wie üblich, das vorerst letzte Wort. Und sagte: „Ausführen möchte ich nichts. Das ist nach wie vor ein trauriges Thema.“

Die Verhandlun­g wird am 8. Januar (14 Uhr) in öffentlich­er Sitzung fortgesetz­t. Nach den Aussagen der Therapeuti­n und einer etwaigen Ergänzung des psychiatri­schen Sachverstä­ndigen darf noch einmal plädiert werden.

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FOTO: DPA Abwägungss­ache: Justitia auf der Suche nach Gerechtigk­eit.

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